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Orientierungslauf

«So etwas hätte ich mir nie erträumen lassen»

Nach den drei gewonnenen Medaillen an ihrer ersten Elite-WM erholt sich Simona Aebersold zuhause von den Strapazen. Die 21-jährige Brüggerin hat ihren tollen Erfolg noch nicht so richtig realisiert und plant bereits die nächsten Grosstaten.

Simona Aebersold mit ihren drei Medaillen./Copyright: Aimé Ehi/Bieler Tagblatt

Interview: Francisco Rodríguez

Simona Aebersold, haben Sie sich gut erholt?
Simona Aebersold: Ja, es ist schön, wieder ein wenig zuhause zu sein. Auch wenn es manchmal schwierig ist, nach einer WM den Jubel und Trubel hinter sich zu lassen und in den Alltag zurückzukehren. Erstaunlicherweise läuft aber auch hier noch recht viel.

Kein Wunder, nach drei WM-Medaillen dürfte das Interesse an Ihrer Person gross sein.
Ja, schon. Mein Verein hat mir einen schönen Empfang bereitet. Das Schweizer Fernsehen möchte auch noch ein Interview mit mir machen. Zudem dürfte es noch ein paar weitere Termine geben, von denen ich im Moment noch nichts Konkretes weiss. So habe ich auch zuhause etwas zu tun, das ist doch cool.

Zwei Silber- und eine Bronzemedaille gleich bei Ihrer ersten WM-Teilnahme bei der Elite: Haben Sie Ihren Grosserfolg inzwischen realisiert?
Nein. Ich dachte, spätestens zuhause beim Anschauen der Videos würde ich meinen Erfolg realisieren. Aber so richtig bewusst ist er mir noch nicht. Im Vorfeld der WM hatte ich mir Topten-Plätze erhofft und dachte, wenn alles zusammenpasst, könnte vielleicht ein Diplom drinliegen. Dass es aber gleich drei Medaillen geben würde, hätte ich mir nie erträumen lassen. Klar, mit der Staffel war ein Podestplatz das Ziel gewesen, aber im Einzel sicher nicht.

So ganz überraschend war aber der Erfolg auch nicht. Haben Sie im Vorfeld nicht bewusst tiefgestapelt, um ohne Erfolgsdruck an ihrer ersten Elite-WM zu starten?
Das sicher auch. Schon nur als ich als Ziel den Diplomrang genannt hatte, wurde mir fast ein wenig angst und bange. Denn ich realisierte, wer alles an der WM starten und wie stark die Konkurrenz sein würde. Die Besten der Welt waren da und die Läufe fanden in Norwegen statt, wo die Skandinavierinnen besonders dominant sind. Hatte ich mir da nicht ein zu hohes Ziel gesetzt? Denn ich wollte ja am Ende nicht enttäuscht nach Hause reisen müssen. Letztlich habe ich mir aber gesagt, es ist ja gut, wenn man sich hohe Ziele steckt. Und jetzt habe ich diese hohen Ziele sogar übertroffen.

Wo sehen Sie die Gründe dafür?
Wir waren mit dem Kader immer wieder in Norwegen im Trainingslager, wo wir uns gezielt auf die WM vorbereitet hatten. Auch ich persönlich war schon oft in Skandinavien, auch für eine längere Zeit, und konnte in diesem Gelände viel Erfahrung sammeln. Das hat mir sehr geholfen. Als ich an die WM kam, merkte ich sofort, dass mir das Gelände sehr vertraut ist. Doch die Gründe für den Erfolg gehen noch weiter zurück. Ich habe sehr früh mit dem OL begonnen. Schon als kleines Kind nahmen mich meine Eltern immer an die OL-Wettkämpfe mit (ihr Vater, Christian Aebersold, war dreimal Weltmeister mit der Staffel, die Red.) So bin ich von klein auf mit dieser Sportart in Kontakt gekommen.

Was macht eine Weltklasseorientierungsläuferin wie Sie aus?
Man muss sicher physisch stark sein. Auch technisch braucht es viel, das man sich nur erarbeiten kann, wenn man oft im entsprechenden Gelände ist. Für die richtige Routenwahl ist es wichtig zu wissen, wie das Gelände beschaffen ist. Man muss sich zum Beispiel entscheiden, ob man durch einen Sumpf laufen soll, was körperlich sehr anstrengend ist, oder doch besser den längeren Umweg in Kauf nimmt, dafür aber auf festerem Untergrund schneller laufen kann. Eine gute physische Grundlage ist sicher das Wichtigste, damit man sich auf den technischen Aspekt konzentrieren kann.
 
Gibt es spezielle Trainings, um das räumliche Vorstellungsvermögen zu verbessern?
Wir studieren immer wieder Karten und versuchen herauszufinden, mit welchen Routen wir am schnellsten sind. In den OL-Trainings müssen wir dann unter Zeitdruck entscheiden, wie wir navigieren sollen. Das lernt man schon früh und wird immer wieder trainiert.

Hilft Ihnen Ihr gutes räumliches Vorstellungsvermögen auch im Alltag?
Ja, sicher. Wenn ich in einer Stadt bin, die ich nicht kenne, schaue ich mir den Stadtplan an und finde mich sofort gut zurecht. Ich lese die Karte und kann mir genau vorstellen, wie es dort aussieht.
 
Was fasziniert Sie am Orientierungslauf?
Dass ich nicht nur laufe, sondern mit dem Lesen der Karte auch navigiere und technisch etwas leisten muss. Jedes Mal ist es wieder eine neue Herausforderung. Man steht am Start und hat keine Ahnung davon, was einem genau erwartet. An der WM hatten wir im Vorfeld für die Vorbereitung nicht einmal alte Karten. Die Route war für uns etwas völlig Neues, nachdem wir uns mit Luftkarten und Grundlagendaten wie Höhenkurven nur ein ungefähres Bild machen konnten. Es ist aber faszinierend, wenn Du am Start stehst und nicht weisst, was da kommt. Dann erhälst Du die Karte, und los geht es!

Wie gross ist Ihr Aufwand im Training?
Am meisten trainieren wir die Physis, während für den technischen Aspekt zwei Trainings sowie der Wettkampf aufgewendet werden. Dauerläufe und Intervalltrainings machen den grössten Teil der Vorbereitung aus. In der Woche komme ich so auf rund elf bis 14 Trainingsstunden.

Wie bringen Sie Ihr Sportstudium an der Universität Bern und Ihre OL-Karriere unter einen Hut?
Die Prüfungen musste ich jetzt schon zum zweiten Mal verschieben. Man kommt mir aber an der Uni sehr entgegen, auch was die Vorlesungen betrifft. Ich darf mehr fehlen als eigentlich erlaubt wäre. Weiter geht es für mich in Bern nach den Semesterferien Mitte September.

Wie sieht Ihre weitere Laufbahn aus?
Da ich an der WM die Bestätigung erbracht habe, dass ich auch bei der Elite voll dabei bin, will ich mich vermehrt auf den Sport fokussieren. Daneben brauche ich aber weiterhin einen guten Ausgleich, der mir mein Studium bietet. Wenn man zweimal am Tag morgens und abends trainiert, will man etwas anderes dazwischen machen. Wann ich aber mein Studium abschliessen werde, weiss ich nicht. Bis dahin kann ich mir überlegen, in welche Richtung es gehen soll. Der wissenschaftliche Bereich und im Speziellen die Leistungsdiagnostik interessieren mich sehr. Nächstes Jahr möchte ich zunächst die Spitzensportler-RS absolvieren. Sie erlaubt es mir, OL als Profisportlerin zu machen.

Kann man vom OL alleine überhaupt leben?
Nein, es sind vor allem die Sponsoren, die es einem erlauben, voll auf den Sport zu setzen.

Auch in Skandinavien?
Ja, alle Topathletinnen machen etwas daneben und sind meistens wie ich Studentinnen.

Welches sind Ihre nächsten sportlichen Ziele?
Ende September und Oktober starten wir am Weltcup, in Laufen und danach in China. Der Weltcupfinal ist nach der WM sicher noch einmal ein grosses Ziel.

Was liegt dort drin?
Nach der WM müssten die Top-3 als Ziel formuliert werden. Ich bleibe aber lieber bei meiner Top-6-Vorgabe.

Letztes Jahr starteten Sie in der Wettkampfpause trainingshalber auch am Bürenlauf und am Internationalen Bieler Waldlauf. Wird man Sie wieder an den Volksläufen im Seeland sehen?
Wenn es terminlich passt, werde ich sicher bei dem einen oder anderen Volkslauf in der Region mitmachen.

2023 in Flims Laax wird die Schweiz zum vierten Mal Gastgeberin einer Orientierungslauf-WM sein. Was lösen die Gedanken an die ferne Heim-WM bei Ihnen aus?
Die Vorfreude ist bei mir bereits gross. In vier Jahren sollte es dann schon ein Ziel sein, eine WM-Goldmedaille zu gewinnen. (überlegt) Ja, das ist mein grosses Ziel, und wir werden alle daraufhin arbeiten.

Vielleicht werden Sie ja schon vorher Weltmeisterin.
Ja, wer weiss schon. 2021 in Tschechien ist die nächste Chance, um im Wald Weltmeisterin zu werden. Mal schauen, was bis dahin alles passiert. Nächstes Jahr ist ja noch die Sprint-WM in Dänemark. Ich bevorzuge zwar die Wald-Weltmeisterschaften und laufe lieber in der Natur, doch in der Stadt gibt es auch Medaillen zu holen.

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Zur Person

Name: Simona Aebersold
Geburtsdatum: 13. April 1998
OL-Klubs: ol.biel.seeland, Tampereen Pyrintö (Fin)
Trainer: Roland Schütz (Physis), Christian Aebersold (Technik), Vroni König-Salmi (Nationateam)
Grösste Erfolge: Bei der Elite: Drei WM-Medaillen letzte Woche in Norwegen (jeweils Silber über die Mitteldistanz und mit der Staffel, Bronze über die Langdistanz), EM-Bronzemedaille letztes Jahr im Tessin. – Bei den Juniorinnen von 2015 bis 2018 neunfache Weltmeisterin und zweifache Vizeweltmeisterin.
Ausbildung: Matura, Studium Sport und Biologie Universität Bern fri