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«So viele Einsätze habe ich nicht erwartet»

Vor dem Spiel gegen die Glasgow Rangers blickt Cédric Zesiger auf ein intensives Jahr zurück. Nach dem Abstieg mit GC erkämpfte sich der Seeländer bei Meister YB einen Stammplatz, stand zuletzt aber auch in der Kritik.

Kopfballstark: Seine beiden Tore für YB hat Cédric Zesiger per Kopf erzielt. Bild: Keystone

Interview: Michael Lehmann

Als YB im Sommer den Transfer von Cédric Zesiger vermeldet, gilt dieser bei Medien und Fans als Perspektivspieler. Der Vierjahresvertrag gibt dem Verein genug Zeit, den 21-Jährigen Schritt für Schritt an die erste Mannschaft heranzuführen. Wird angenommen. Es kommt anders. Nach guten Leistungen in den Tests steht der Seeländer im ersten Meisterschaftsspiel in der Startaufstellung. In der ersten Saisonhälfte bringt er es auf 20 Einsätze, in der gesamten letzten Saison waren es 25. Besonders intensiv ist Zesigers November. Zwischen dem 27. Oktober und dem 1. Dezember (36 Tage) bestreitet der 1,94 Meter grosse Innenverteidiger zehn Spiele – neun für YB und eins für die U21-Nationalmannschaft – jeweils über die volle Distanz.

Im Gespräch zeigt sich schnell, warum Zesiger nach Spielen oft für Fernseh-Interviews angefragt wird. Auf die Fragen antwortet er ohne zu zögern und selbstsicher.

Cédric Zesiger, normalerweise will ein Fussballer immer spielen. Waren Sie ausnahmsweise froh, dass Sie am vergangenen Samstag eine Pause erhalten haben?
Cédric Zesiger: Es war eine strenge Zeit zuletzt, daher tat es sicher weniger weh, mal auf der Bank Platz zu nehmen. Ausserdem ist es grundsätzlich normal, dass bei so vielen Partien in Meisterschaft, Cup und Europa League rotiert wird. Damit kann ich umgehen.

Als Sie im Sommer zu YB kamen, sagten Sie, dass Sie sich hier weiterentwickeln wollen. Dann verletzten sich jedoch einige Spieler und Sie wurden gleich ins kalte Wasser geworfen.
Ich finde nicht, dass das eine das andere ausschliesst. Gerade durch die vielen Einsätze konnte ich Fortschritte erzielen.

Zuletzt sind Sie aber auch vermehrt in Kritik geraten.
Wir haben viele Gegentore erhalten und ich weiss, dass ich in einigen Situationen nicht optimal reagiert habe. Wichtig ist, dass ich die Fehler nicht wiederhole. Mit dem Trainerstaff analysiere ich die Szenen, sodass ich beim nächsten Mal besser agiere. Aber ja, es stimmt, dass die Zeit dafür oft relativ knapp ist.

Wie gehen Sie mit negativen Kommentaren um?
Kritik bin ich von meiner GC-Zeit gewohnt. Man muss jedoch unterscheiden: Kommt sie von aussen, darf man sich nicht den Kopf darüber zerbrechen. Für mich zählt der Austausch mit dem Trainerstaff. Ich weiss, woran ich bin, was ich kann und was noch besser sein könnte.

Wie lautet Ihr Fazit nach einem halben Jahr YB?
Ich hätte sicher nicht erwartet, gleich so oft im Einsatz zu stehen – darunter auch in der Champions-League-Qualifikation und der Europa League. Aber das ist natürlich super für mich und meine Entwicklung als Fussballer. Es war nach den schwierigen letzten Jahren ein Schritt in die richtige Richtung. Ich fühle mich sehr wohl hier in Bern. Mannschaft, Trainer, Fans: Es könnte nicht besser sein.

Höhepunkt dürfte das Heimspiel gegen St. Gallen gewesen sein.
Es war ein unglaublich emotionales Spiel für mich. Der Spielverlauf allein war bereits verrückt (YB gewann nach zweimaligem Rückstand 4:3, die Red.). Ausserdem waren über 100 Personen von meinem Juniorenklub FC Müntschemier im Stadion und ausgerechnet in dieser Partie schiesse ich zwei Tore. Ich habe ich meinen Vater nach einem Spiel noch nie so aufgewühlt erlebt. Und mir ging es genau gleich.

Ist Ihr Vater an jedem Spiel dabei?
An fast jedem. Auch meine Mutter, meine Schwestern und meine Freundin sind oft im Stadion. Nach dem Wechsel zu YB ist für sie der Weg ja kürzer geworden. Dass ich immer auf Ihre Unterstützung zählen kann, bedeutet mir viel. Meistens tausche ich mich nach Spielschluss mit ihnen aus. Ausser ich habe schlecht gespielt, dann gehe ich gleich in die Kabine (lacht).

Auch der Sieg mit dem U21-Nationalteam in der EM-Qualifikation gegen Frankreich dürfte zu den grossen Momenten dieses Jahres gehört haben.
Das war auch sehr speziell. Die Franzosen sind mit einem enorm starken Kader angetreten. Das Niveau war schon fast mit einem Europa-League-Spiel vergleichbar.

Haben Sie eigentlich Kontakt mit Vladimir Petkovic?
Bis jetzt nicht. Allerdings bin ich schon sehr stolz, mit der U21 spielen zu dürfen. Mit vier Siegen sind wir toll gestartet, und ich hoffe, auch im nächsten Jahr zu einer erfolgreichen Qualifikation beitragen zu können.

Im Sommer sind Sie vom Absteiger zum Meister gewechselt. Eine Möglichkeit, die wohl kein Spieler abgelehnt hätte. Hatten Sie dennoch ein bisschen ein schlechtes Gewissen, das sinkende Schiff zu verlassen?
Ich habe den Klub in einem schwierigen Moment verlassen, ja. Es ist klar, dass nicht alle Freude daran hatten. Davor habe ich jedoch drei Jahre lang alles für den Verein gegeben. Auch in der Zeit, als ich nur wenig Einsatzzeit erhalten habe. Theoretisch hätte GC auf meinem laufenden Vertrag beharren und eine hohe Ablösesumme fordern können. Doch selbst der Klub hat gesehen, dass dies eine riesige Chance für mich ist, und hat mir deshalb keine Steine in den Weg gelegt, wofür ich dankbar bin. Ein schlechtes Gewissen habe ich daher nicht.

Wie sehr haben Sie die Fan-Ausschreitungen damals geprägt?
Es war schwierig. Als Spieler willst du ja auch immer gewinnen, aber es gibt einfach Phasen, in denen es nicht wie gewünscht läuft. Dir dann anhören zu müssen, du seist nicht motiviert genug, ist bitter.

Auch als die Reaktionen zunehmend aggressiver wurden, sind Sie hingestanden und haben mit den Zuschauern diskutiert. Weshalb?
Man muss etwas Verständnis für die Fans aufbringen. Sie nehmen sich viel Zeit und geben viel Geld aus, um uns zu unterstützen. Wenn wir verlieren, sind sie schlicht frustriert. Uns Spielern geht es nicht anders. Das Verständnis geht aber nur so weit, solange die Situation nicht eskaliert. Dass ein Spiel abgebrochen werden musste, war natürlich inakzeptabel. Es wäre aber falsch, den gesamten Anhang anzuklagen. Meistens ist es eine kleine Gruppe von fünf bis sechs Leuten, die solche Dinge anzettelt.

Zurück zur Gegenwart und damit zur nächsten Europa-Reise. Wie sieht eine solche in Ihrem Fall aus?
Im Flugzeug spielen wir meistens Spiele mit Jasskarten. Vor Ort fahren wir direkt ins Hotel, wo wir etwas essen und ausruhen, bis am Abend das Abschlusstraining stattfindet. Eigentlich geht alles ziemlich schnell vorbei und doch habe ich das Gefühl, dass durch die gemeinsame Zeit die Mannschaft mit jeder Reise noch näher zusammenrückt.

Mit wem teilen Sie das Zimmer?
Da wir beide neu im Team waren, tat ich mich zu Beginn mit Vincent Sierro zusammen. Das war immer lustig. Seit er sich leider verletzt hat, haben die Zimmerkollegen immer wieder gewechselt.

Gegen die Glasgow Rangers geht es sportlich sowie finanziell um viel.
Wir wissen, was auf dem Spiel steht. Ich erwarte einen starken Gegner und eine eindrückliche Stimmung. Gegen Rotterdam war es ähnlich. Dort haben wir gezeigt, dass wir auch auswärts bestehen können (die Partie endete 1:1, die Red.).

Zuletzt schien das Team jedoch nicht mehr ganz auf der Höhe. Machen sich am Ende der ersten Saisonhälfte die vielen Ausfälle doch noch bemerkbar?
Klar haben einige Spieler aufgrund der langen Verletztenliste schon viele Partien bestritten. Aber sobald du ein solches Stadion mit all den Zuschauern betrittst, spürst du die Müdigkeit in den Beinen nicht mehr.

Die fast 50'000 Zuschauer, die im Ibrox Stadion erwartet werden, dürften Ihr Team eher nicht warm empfangen.
Jeder Fussballer träumt davon, vor solch einer Kulisse spielen zu dürfen. Mich persönlich spornt es jedenfalls zusätzlich an, wenn uns die gegnerischen Fans auspfeifen.

Danach steht noch ein Spiel in der heimischen Meisterschaft an, die mal wieder richtig spannend ist.
Es war klar, dass es kaum möglich sein würde, eine Rekordsaison wie die letzte anzuhängen. Und nochmals: Während andere Teams die ganze Zeit aus dem Vollen schöpfen konnten, haben wir teils nur knapp 18 Spieler aufs Matchblatt gebracht. Es spricht für die Qualität in unserem Team, dass wir dennoch den ersten Rang belegen. Ich denke, dass wir noch zwei bis drei Gänge höher schalten können, wenn mal alle fit sein sollten.

Dann die Winterpause. Etwas, was es in England oder auch in Deutschland nicht oder nur kurz gibt. Wie stehen Sie zum Unterbruch der Meisterschaft?
In unserem Fall kommt er sicher nicht ungelegen. Allerdings ist auch für uns die Pause kurz. Das erste Training steht bereits am 3. Januar auf dem Programm.

Wie verbringen Sie die freien Tage?
Ich verreise, tanke ein bisschen Sonne und lasse den Kopf durchlüften.

Sie weichen dem weihnächtlichen Familienschlauch aus.
Das erste Mal seit Langem. Einerseits, weil ich seit dem Wechsel zu YB die Familie auch sonst wieder öfter sehe und andererseits, weil ich wie erwähnt eine ziemlich intensive Zeit hinter mir habe.

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Zur Person
Cédric Zesiger ist am 24. Juni 1998 geboren und in Treiten aufgewachsen.

Vom FC Müntschemier schaffte er als Elfjähriger den Übertritt in die U12 von Neuchâtel Xamax, wo er alle weiteren U-Stufen durchlief.

2015 gab der Verteidiger sein Debüt in Xamax’ erster Mannschaft. Nach etwas mehr als einem Jahr in der Challenge League wechselte Zesiger zu GC. Bei den Zürchern kam er in drei Spielzeiten zu 46 Einsätzen in der Super League (2 Tore).

Nach dem Abstieg wechselte Zesiger 2019 zu YB. Die Berner interessierten sich nicht zuletzt für den Abwehrspieler, weil er polyvalent einsetzbar ist. Bisher ist er jedoch ausschliesslich als Innenverteidiger aufgestellt worden (2 Tore).

In der U21-Nationalmannschaft hat Zesiger seit 2017 neun Spiele bestritten.

Zu seinen Hobbys gehörte lange Skifahren, auf das er jedoch seit gut fünf Jahren verzichtet, weil die Verletzungsgefahr zu gross ist. In seiner Freizeit schaut er Serien (derzeit «The Blacklist») oder trifft sich mit Freunden.
 

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