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Einwurf

Sport für alle?

Dass Bewegung und Sport in allen Lebensaltern einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit und Lebensqualität beitragen kann, ist heute Allgemeinwissen. Mit Wissen ist es aber noch nicht gemacht, danach handeln ist eine andere Sache.

Bild: Walter Mengisen

Walter Mengisen

Unsere alle vier Jahre stattfindenden Untersuchungen zum Bewegungs- und Sportverhalten zeigen, dass sich rund ein Drittel der Schweizer Bevölkerung im Erwachsenenalter kaum oder sehr wenig bewegt. Dieser Anteil ist seit Jahren konstant. Wie wäre dies zu ändern?

Die Krankenkassen haben versucht, dies mit Anreizsystemen zu verändern wie Finanzierung von Mitgliedschaften in Fitnessklubs für ihre Kunden. Die Wirkung bestand vor allem darin, dass Leute, die bisher nur zum Beispiel joggten, nun auch Krafttraining im Fitnessklub machten. Was an und für sich positiv ist, aber nicht die Zielgruppe der Inaktiven erreichte. Aus vielen Untersuchungen wissen wir heute, dass soziale Herkunft und Bildungsgrad und Geschlecht mit dem Grad sportlicher Aktivität korreliert. Auf eine Kurzformel gebracht heisst dies, je tiefer die soziale Schicht, je weniger Schulbildung, desto weniger Sportaktivität im Generellen. Ein Migrationshintergrund verstärkt diesen Effekt noch. Was könnte ein Lösungsansatz sein?

Lebenseinstellungen werden sehr früh geprägt. Man geht heute davon aus, dass dies im Alter von vier bis fünf Jahren geschieht. Wer also bereits im frühen Kindesalter positive Erfahrungen im Bewegungs- und Sportbereich macht, hat grosse Chancen, dass er oder sie diese Erfahrung ins Erwachsenenalter mitnimmt. Dass hier das Umfeld eine ganz wichtige Rolle spielt und im speziellen die Eltern, ist offensichtlich. Mit der Frühförderung ist nicht sportliche Talenterfassung gemeint, was eh im frühen Kindesalter keinen Sinn ergibt, sondern eine Förderung der motorischen Fähigkeiten, die eng mit der kognitiven Entwicklung der Kinder verbunden ist. Die neuronale Vernetzung im Hirn hat eine direkte Abhängigkeit zur motorischen Aktivität. Das heisst unter anderem, dass Kleinkinder genügend Bewegungsraum benötigen, um sich austoben zu können. Deshalb sei die Frage gestattet, ob es sinnvoll ist, Kinder in Laufgitter zu stecken, um die teure Musikanlage zu schützen – oder es umgekehrt nicht sinnvoller wäre.

Gefragt sind nicht nur feinmotorische Bewegungen wie das Bedienen von Touchscreens, sondern grobmotorische Bewegungen wie laufen, werfen, springen. Was können wir tun, wenn diese wichtige Entwicklungsaufgabe aus welchen Gründen auch immer zu wenig wahrgenommen wird?

Ein traditionelles Angebot ist das Mutter-/Vater-Turnen, das zum Beispiel von vielen Turnvereinen angeboten wird. Solche Angebote erfüllen eine wichtige Funktion und sind niederschwellig, damit haben sie auch eine integrative Bedeutung. Wichtig wäre aber auch, dass sich alle Sportklubs dieser Bedeutung klar sind und entsprechende Kurse anbieten und – noch einmal betont – nicht zur Früherfassung von sogenannten Talenten, sondern im Sinne einer ganzheitlichen Förderung.

Das heisst auch, dass die Angebote für alle Kinder erschwinglich sind. Damit erfüllen die Sportvereine eine wichtige gesellschaftliche Funktion und rechtfertigen damit auch die staatliche Unterstützung. Das Heruntersetzen des J+S-Alters auf fünf Jahre beruhte auf diesen Überlegungen. Wenn alle Sportverbände und- vereine immer wieder die gesellschaftliche Wichtigkeit des Sports betonen, dann müssen sie mit entsprechenden Angeboten auch den Beweis antreten. Bewusstsein ist der erste Schritt, der entscheidende Schritt ist danach zu handeln.

Info: Walter Mengisen ist stellvertretender Direktor des Bundesamts für Sport Baspo und war langjähriger Präsident des SC Lyss.