Sie sind hier

Abo

Automobil

Surrende Zukunftsmusik

Sébastien Buemi ist beim E-Prix von Bern auf den 3. Rang gefahren. Was für den Romand zur Normalität gehört, ist für viele Motorsportfans noch ungewohnt: der Klang der Elektrofahrzeuge. Auch Neel Jani stand im Einsatz – für einmal neben der Strecke.

Die Formel-E-Autos surren durch Bern. «Eine idyllische Kulisse», meint der Seeländer Rennfahrer Neel Jani. Bild: Keystone

Moritz Bill

Es ist der eine Unterschied, der sofort hervorsticht, beziehungsweise hervorklingt: der Sound. Wer schon mal ein Rennen besucht hat, bei dem sich von Verbrennungsmotoren betriebene Autos hinterherhetzen, denkt an diesem Samstag in Bern, er sei im falschen Konzert gelandet. Dieses hochfrequente Surren der Elektromotoren, das bei der Beschleunigung in einen Mix von Pfeifen und Heulen übergeht, hat mit dem tiefen, unverkennbaren und deshalb beliebten Motorenbrüllen nichts gemein.

Ansonsten kommen die Motorsportfans unter den Zaungästen am E-Prix in Bern auf ihre Kosten. Die 340-PS-Elektroboliden erreichen Spitzengeschwindigkeiten von 280 Stundenkilometern. Die Fahrer – viele mit Formel-1-Vergangenheit – beweisen schon in den Trainingsfahrten am Vormittag ihre Lenkkünste, indem sie ihre Fahrzeuge durch die engen Gassen manövrieren. An manchen Stellen scheint nur eine Fingerbreite den Reifen von der Leitplanke zu trennen.

«Die Kurven sind brutal eng», sagt auch Neel Jani. Der Jenser Rennfahrer begutachtet die Strecke am Morgen zu Fuss, zuvor hat er sie auf dem Simulator gefahren. An seiner Zeit werden sich später an einem Firmenevent Hobbypiloten messen. Es ist einer von zahlreichen PR- sowie Presseterminen, die Jani an diesem Tag wahrnimmt. Der künftige Formel-E-Fahrer ist beim Stopp des Rennzirkus in der Schweiz ein gefragter Mann. Kommende Saison wird er mit Porsche in der Elektrorennserie starten.

Ein enges Auf und Ab
Vorerst interessiert seine Expertise. Mehrmals analysiert der Seeländer im mobilen «Mysports»-Studio bei Steffi Buchli die Geschehnisse des Trainings und Qualifyings, das Rennen co-kommentiert er später – wie schon während der ganzen Saison – aus dem Studio in Erlenbach. Jani kennt also die Eigenheiten der verschiedenen Stadtkurse ohne Auslaufzonen. Neben der Schmalheit macht das Gefälle die Berner Strecke speziell. «Solche Höhenunterschiede sind ungewöhnlich, das bietet den Teams die Möglichkeit, beim Runterfahren Energie zu sparen, die sie anderorts einsetzen können», sagt Jani.

Platz für grosse Experimente bezüglich der Energieeffizienz bietet die Formel E vor Ort nicht. Um aus den gewonnenen Daten Schlüsse zu ziehen, bleibt den Rennställen zwischen den verschieden Läufen kaum Zeit. Wie üblich wird auch in Bern das ganze Rennprogramm an einem Tag abgespult. Jani weiss: «So ein Tag ist sehr stressig für das ganze Team.»

Das hat ihm auch schon André Lotterer erzählt, in der Langstrecken-WM waren die beiden Teamkollegen. Der Deutsche bestreitet seine zweite FE-Saison für Techeetah und ist ein Kandidat für das zweite Porsche-Cockpit. Lotterer klassifiziert Bern als schwierigste Strecke der Saison. Nebst den zuvor erwähnten Eigenheiten vor allem auch wegen der vielen Unebenheiten. Der Asphalt ist vom täglichen Strassenverkehr gezeichnet, diese Spuren und die vielen Strassenmarkierungen machen die Fahrt holprig. «Das kann man im Simulator zwar recht gut simulieren, doch real fühlt sich das dann nochmals anders an. Das ist vergleichbar mit einer Fahrt auf Pflastersteinen», erklärt Jani.

Grosse Neugier
Trotz oder eben gerade wegen dieser Schwierigkeiten wäre Jani gerne selbst mitgefahren. Zudem sei die Kulisse sehr idyllisch. Aber er werde sicher noch dazu kommen, einen Heim-E-Prix bestreiten zu können, blickt der Porsche-Werksfahrer optimistisch voraus. Nächste Saison fehlt die Schweiz bekanntlich im provisorischen FE-Kalender, doch Jani geht davon aus, dass spätestens im Jahr darauf in Zürich (wie schon 2018) oder Genf ein Rennen angesetzt wird.

Wo auch immer, die Rennserie mit den Elektrofahrzeugen nimmt an Bedeutung zu. Mittlerweile in der fünften Saison angekommen, ist das Interesse stetig gestiegen. Auch in Bern ist die Neugier von Leuten, die wohl noch nie an einem E-Prix waren, gross. Schon am frühen Morgen sind die Strecke und das Fan-Village gut besucht. «Das Bedürfnis ist vorhanden und die Relevanz auch. Die Erkenntnisse von der Rennstrecke fliessen in die Strassenfahrzeuge von morgen. Ob sich die batteriebetriebenen Autos letztlich durchsetzen oder doch der aufkommende Wasserstoffantrieb, ist heute schwierig abzuschätzen», sagt Jani. Das ist Zukunftsmusik, ein Wasserstoffauto hat jedenfalls auch einen eigenen Sound.

**********************************************************************

Nach Neustart wegen Massenkollision: Buemi fährt aufs Podest
Sébastien Buemi fuhr am Swiss E-Prix hinter dem Franzosen Jean-Eric Vergne und dem Neuseeländer Mitch Evans auf den 3. Platz. Dies, nachdem das Rennen in Bern zwei Mal gestartet werden musste. Beim ersten Anlauf war es wenige Sekunden nach dem Start zu einer Kollision mit mehreren Autos gekommen. Ort des Zwischenfalls war die enge Schikane nach der Start-/Zielgeraden – jene Passage, die schon im Vorfeld nicht nur bei den Fahrern für Unverständnis gesorgt hatte. Die Karambolage ausgelöst hatte der Deutsche Maximilian Günther, der seinem Landsmann Pascal Wehrlein ins Heck gefahren war.

Danach verlief das Rennen ziemlich ereignislos. Wegen der engen Streckenführung (siehe auch Haupttext) hatten Überholmanöver Seltenheitswert. Erst der kurz vor Schluss einsetzende Regen sorgte für etwas Abwechslung. Buemi verteidigte aber auch auf der fortan rutschigen Piste seine 3. Position von der Startaufstellung bis ins Ziel. Eine Genugtuung, denn lange hatte Buemi in der aktuellen Saison unten durch müssen. In neun Rennen hatte er sich vergeblich um eine Klassierung unter den ersten drei bemüht. Oft hatte er dabei das Wettkampfglück nicht auf seiner Seite gehabt. Vor vier Wochen in Berlin klappte es dann endlich mit einem Ergebnis, das seiner Klasse entspricht. Der Waadtländer wurde Zweiter.

Und nun, in Bern, holte Buemi vor heimischer Kulisse nach, was er im vergangenen Jahr in Zürich mit Rang 5 verpasst hatte. «Das Ganze war ziemlich emotional für mich», sagte der erleichterte Romand nach seinem Podestplatz. «Ich wollte keine Fehler machen und unbedingt aufs Podium kommen.» Dass er ohne Makel blieb, war vor allem in der rutschigen Schlussphase nicht selbstverständlich.

Er hoffe, in den nächsten Tagen nun etwas zur Ruhe zu kommen, sagte Buemi weiter, und Zeit für sich und für die Familie zu haben. Zeit, die ihm als «Kämpfer verschiedenen Fronten» im Normalfall fehlt. Buemi, der vor einer Woche in einem Toyota zum zweiten Mal hintereinander den 24-Stunden-Klassiker in Le Mans gewonnen und sich ebenfalls zum zweiten Mal den Titel in der Langstrecken-WM gesichert hat, ist nach wie vor auch als Testfahrer für die Formel-1-Equipen von Red Bull und Toro Rosso tätig.

Sieger Jean-Eric Vergne ist drauf und dran, seinen Meistertitel erfolgreich zu verteidigen. Mit seinem dritten Sieg in der laufenden Saison baute der frühere F1-Fahrer seinen Vorsprung als Führender in der Gesamtwertung deutlich aus. Vor dem Finale von Mitte Juli mit zwei Rennen in New York hat Vergne 32 Punkte mehr auf dem Konto als sein erster Verfolger, sein deutscher Teamkollege André Lotterer. bil/sda