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Tennis

Verrücktes Tennisjahr erlebt speziellen Höhepunkt

In ungewöhnlichen Zeiten braucht es ungewöhnliche Massnahmen. Der Pro Cup am Wochenende in der Swiss Tennis Arena in Biel gehört dazu.

Aufschlag zu einem etwas anderen Turnier. Jil Teichmann. Bild: Keystone

Beat Moning

Swiss Tennis blickt auf turbulente erste sieben Monate im Jahr 2020 zurück. Beim Australian Open scheitert Stan Wawrinka im Viertelfinal an Alexander Zverev. und Roger Federer verliert im Halbfinal in drei Sätzen gegen den nachmaligen Sieger Novak Djokovic. Danach wird es sportlich ruhig um den Baselbieter: Er muss sich kurz nach Melbourne einer Knie-Operation unterziehen. Der Aufbau läuft nicht nach Wunsch. Anfang Juni eine Arthroskopie am operierten Knie und eine weitere Pause. Halb so schlimm, könnte man meinen. Denn wegen Corona fällt praktisch das ganze Tennisjahr aus. Dennoch bleibt die Frage: Wann und in welchem Zustand kehrt Federer zurück?

Im Davis Cup muss das Team von Severin Lüthi Anfang März eine bittere Pille schlucken. In Peru verliert das Team in der Weltgruppe 1 das Playoff-Abstiegsspiel 1:3. Das für Anfang September vorgesehene erste Aufstiegsspiel gegen Estland fällt vorerst ins Wasser. Ebenso das
Finalturnier der Frauen in Budapest, das auf 2021 verschoben worden ist. Für dieses Turnier qualifiziert sich das Fed-Cup-Team nicht zuletzt dank zwei Siegen von Jil Teichmann Anfang Februar in Biel gegen das ersatzgeschwächte Kanada.

Plötzlich geht nichts mehr

Fortan werden die Spielerinnen und Spieler von Corona arg gebremst. Teichmann sagt in einem Interview mit dem BT mit Vorahnung: «Wir haben es da mit etwas Grossem zu tun.» In der Tat. Anfang August soll es zwar mit teils neuen Turnieren weitergehen. Ohne Zuschauer, oder wie in anderen Sportarten nur mit einer beschränkten Anzahl. So wohl ist den Akteuren allerdings nicht. Gerade die Events in Amerika stossen auf Kritik, namentlich auch die verschobenen US Open. Roger Federer wird mit Sicherheit nicht dabei sein, von Stan Wawrinka hörte man in den letzten Wochen wenig bis nichts. Er ist inzwischen im Aufbau in Monaco. Belinda Bencic und Jil Teichmann, die 2019 in die Top 10 beziehungsweise Top 100 vorgestossen sind, haben natürlich grösstes Interesse daran, ihre Positionen zu konsolidieren – nicht zuletzt wegen der Start- und Preisgelder.

Pech haben die in der Weltrangliste der ITF U18 vorne klassierten Dominic Stricker, Jeffrey von der Schulenburg und Leandro Riedi, die in ihrem letzten
Junioren-Jahr stehen. Nach dem Australian Open fiel Wimbledon aus. Beim US Open sind keine Juniorenturniere vorgesehen. Offen bleibt das French Open Ende September. Das Trio wird zusammen mit Jérôme Kym in einem Direktvergleich (jeder gegen jeden) morgen und am Samstag noch zwei Qualifier für den Pro Cup ermitteln.

Nationale Serie als Übergang

Sportlich hat der Verband eine N-Turnierserie in der ganzen Schweiz ins Leben gerufen und ist dabei bei vielen Organisatoren auf offene Ohren gestossen. Das verkürzt das ansonsten sehr anspruchsvolle Programm mit internationalen Turnieren im In- und Ausland. In dieser Woche wird in Bulle gespielt. Das gibt etwas Preisgeld für die einen oder anderen Spitzenspielerinnen und Spitzenspieler, wird aber Härtefälle in diesem Ausfall-Jahr kaum verhindern können. Diverse Athleten haben zudem ab Ende Juli Gelegenheit im NLA-Interclub etwas Startgeld einzuheimsen. Sogar Belinda Bencic geht mit Chiasso ins Rennen. Daneben aber fielen einige ITF-Turniere in der Schweiz und die grossen ATP- und WTA-Turniere in Genf, Lausanne, Gstaad und Basel als Einnahmequelle aus.

Die Tennisfans gucken ebenso in die Röhre und müssen sich mit Showevents und Rückblicken zufrieden geben. Nicht aber am Samstag, wenn die Frauen und Männer diesen Pro Cup bestreiten und sogar mit Martina Hingis und Patty Schnyder ein Legendenmatch stattfindet. Bei den Männern fehlen Roger Federer und Stan Wawrinka, der zuletzt angeschlagene Henri Laaksonen sollte mit von der Partie sein.

Schutzmasken-Pflicht

Der Aufwand für dieses Promotion-Turnier ist relativ hoch. Allein, was die Infrastruktur in der Halle anbetrifft. Da wurden beide Tribünen herausgezogen und Werbebanden installiert. Das Schweizer Fernsehen überträgt live, da muss alles stimmen. Auch die Schutzkonzepte müssen eingehalten und vom Sicherheitspersonal überwacht werden. Auf dem Sitz – es darf nur jeder zweite belegt werden – darf die Schutzmaske abgenommen werden. Wer sich dahin und von dort wegbewegt, muss die Schutzmaske überstreifen. Es werden rund je 200 Personen auf jeder Tribünenseite mit separaten Ausgängen das Geschehen verfolgen. Zugelassen sind nur Sponsoren, Angehörige, spezielle Supporter, Medien und Verbandsangestellte, die dem OK namentlich bekannt sind. Tests für jene Spielerinnen und Spieler, die aus dem Ausland anreisen, sind nicht vorgesehen. Allerdings werden die Mediziner vor Ort die Akteure untersuchen.

Jetzt kann Günthardt kommen

Bis gestern konnte einer nicht dabei sein, jetzt ist er es: Fedcup-Coach Heinz Günthardt wohnt bekanntlich mit seiner Familie in Schweden. Jetzt ist die obligate Quarantäne aufgehoben und eine Einreise ohne Einschränkungen möglich. Die frühere Bieler Fed-Cup-Spielerin Christiane Jolissaint und der neue U23-Nationalcoach und
Ex-Davis-Cup-Spieler Michael Lammer hätten ihn ersetzt. Die andere Gruppe der Frauen und Männer coacht Davis-Cup-Captain Severin Lüthi.

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Wie gross wird der Verlust?

Der Tennisverband mit Sitz in Biel hat es trotz Kurzarbeit, abgesagten Turnieren und vom Frühling in den Herbst verschobenem Interclub-Programm nicht völlig durchgerüttelt. Dennoch sagte Verbandspräsident René Stammbach im April, dass er sicher mit einem Verlust in sechsstelliger Höhe rechne und erwähnte eine halbe Million Franken. Im schlimmsten Fall sollten Sponsoreneinnahmen von bis zu zwei Millionen Franken ausfallen. Das wäre bei einem Umsatz von 14 Millionen Franken happig. 2019 wies der Verband einen Gewinn von 170 000 Franken aus. Das Eigenkapital beträgt knapp elf Millionen Franken. Aus dem Jubiläumsfonds (Swiss Tennis feiert 2021 sein 125-Jahr-Jubiläum) wurden von den vorhandenen 650 000 Franken 500 000 Franken herausgelöst. Kommunikationsleiterin Sandra Perez gibt jedoch weitgehend Entwarnung. «Es gibt Einbussen bei den Mitglieder- und Lizenz-Einnahmen. Es ist aber überschaubar.» Und die Sponsoren? «Wir haben gute Verhältnisse zu all unseren Partnern und es sieht Stand heute nicht so aus, als hätten wir da grosse Rückzüge.» Berücksichtigen könne man auch die speziellen Pakete, die für finanzgeplagte Verbände mit dem Bund geschürt werden können. Die Eingaben müssen bis Ende August erfolgen. bmb

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Programm Pro Cup

Samstag 
15.30 Bencic - Teichmann
16.20 Vögele - Golubic
17.10 Hingis - Schnyder
18.00 Bencic/Vögele - Teichmann/Golubic 
Sonntag 
13.00 Nikles - Ehrat 
14.00 Laaksonen - Hüsler 
15.00 Doppel (Paarung offen)
16.30 Jakub Paul vs. Qualifier 
17.30 Bellier vs Qualifier. Gespielt wird nach «Fast 4» mit normalem Tie-Break bei 4:4 und Champions-Tie-Break im 3. Satz. Die durchschnittliche Spieldauer beträgt ungefähr 45 bis 50 Minuten pro Match.

Der Securitas Pro Cup der Frauen vom Samstag wird live auf den SRG-Sendern übertragen. Der Event der Männer kann im Livestream mitverfolgt werden. Für den Event werden keine Tickets öffentlich verkauft. Das Budget beträgt 170 000 Franken, getragen von Verband und Sponsoren. Für die Teilnehmer gibt es ein Startgeld, über das keine Kommunikation erfolgt. bmb

Stichwörter: Tennis, Jil Teichmann, Turnier