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Fussball

Weg von zuhause – für ein grosses Ziel

Bei einer Gastfamilie und doch nicht fremd: Die Spitzenfussballerinnen Mia Iselin und Sheila Herger leben unter der Woche in Biel. Die Teenager erklären, weshalb sie kein Heimweh haben.

Die beiden Nachwuchsfussballerinnen Sheila Herger (links) und Mia Iselin fühlen sich in der Gastfamilie von Isaac 
Rachamin und Margaret Schreier Rachamin sehr wohl. Bild: Anne-Camille Vaucher

Reto Pfister

Ein Mittwochabend. Es ist 18 Uhr. Mia Iselin (15) und Sheila Herger (14) sitzen am Wohnzimmertisch, bald wird zu viert Raclette gegessen. Es ist der einzige Abend der Woche, an dem sie so früh zuhause sind. Wobei zuhause nicht ganz das richtige Wort ist. Denn Mia Iselin stammt aus Schwarzenbach bei Wil im Kanton St. Gallen, Sheila Herger aus Schwyz. Sie leben unter der Woche im Seeland, um ihren Ambitionen im Sport nachzugehen. Die jungen Frauen leben so von Sonntagabend bis Freitagmorgen bei Isaac Rachamin und Margaret Schreier Rachamin in Biel. Diese haben die Mädchen als Gastfamilie bei sich aufgenommen. «Nachbarn haben bereits als Gastfamilie fungiert», sagt Isaac Rachamin, der beruflich als Architekt tätig ist. «Unsere Kinder sind bereits erwachsen, am Studieren. Also haben wir gedacht, dass wir das auch machen könnten.» Er und seine Frau, die als Sozialpädagogin tätig ist, haben dies bis jetzt nicht bereut. «Wir sind sehr zufrieden», sagen sie.

Iselin und Herger gehören zu den 21 Spielerinnen, die in der Akademie des SFV in der Tissot Arena ausgebildet werden. Die Akademie steht Sportlerinnen in den drei höchsten Pflichtschuljahren offen, die Aufnahme erfolgt durch Sichtungstrainings. Iselin ist Innenverteidigerin, kann aber auch im defensiven oder offensiven Mittelfeld auflaufen. Im Verein spielt sie in der U17 von St. Gallen-Staad und ist zudem Mitglied des Schweizer U16-Nationalteams. Herger ist für die U15 des Teams Zugerland aktiv, in einem gemischten Team mit Knaben, als eines von zwei Mädchen. Sie wurden an Sichtungstrainings ausgewählt. «Es ist eine grosse Sache, dass wir hier sein dürfen», sagen die beiden. Eine Karriere im Spitzenfussball ist ihr klares Ziel.

 

Am Freitag nach Hause, 
am Sonntag zurück

Dafür nehmen sie in Kauf, bereits in jungen Jahren weitgehend in Biel zu leben. Um in der Tissot Arena unter professionellen Bedingungen trainieren zu können. Auf dem Rasen finden die Einheiten am Montagnachmittag, Dienstagmorgen, Mittwochnachmittag, Donnerstagmorgen und Freitagmorgen statt, dazu am Dienstagnachmittag ein Krafttraining. Zudem steht sportpsychologische Schulung auf dem Programm, zweimal pro Woche auch Physiotherapie. Das Mittagessen wird in der Tissot Arena eingenommen, ebenso bis auf Mittwoch auch das Abendessen, so dass die jungen Frauen dann erst um 20 Uhr in den Gastfamilien sind. Nach dem Freitagstraining fahren sie zu ihren Stammvereinen zurück, trainieren dort abends, und bestreiten am Wochenende ein Spiel. Am Sonntagabend kommen sie wieder nach Biel.

Dazu besuchen die jungen Frauen natürlich auch die Schule. Es handelt sich um eine normale Klasse, allerdings sind sie von Fächern wie Sport und Musik befreit. Wenn der Rest ihrer Klasse in diesen Fächern unterrichtet wird, können Iselin und Herger in einem Lernatelier den Stoff nachholen, den sie durch die Trainings verpasst haben.

 

Zufall, dass sie zusammen 
an einem Ort sind

Es ist ein straffes Programm, das sie durchlaufen. Heimweh verspüren Mia Iselin und Sheila Herger trotzdem nicht. «Wir sind am richtigen Ort», sagen sie. Es kommt vor, dass Spielerinnen die Akademie verlassen würden. «Im letzten Jahr sind zwei gegangen, eine aus dem Raum Zürich, eine aus Bern», sagt Iselin.

Und es gefällt den beiden, dass sie bei den Rachamins zu zweit sind. Andere Spielerinnen sind allein bei einer Familie, in einem Fall sind sie auch zu viert untergebracht. Wer wo landet, wird zugeteilt, es ist zufällig, dass Iselin und Herger am gleichen Ort gelandet sind.

Und auch die Familie Rachamin fühlt sich in ihrer Rolle wohl. Im Sommer beendet Mia Iselin ihre Zeit an der Akademie. Sie kommt bereits zu internationalen Einsätzen, wird Ende Februar mit dem U16-Nationalteam nach Island reisen. Sheila Herger bleibt hingegen noch ein Jahr in Biel. Und könnte bei der Gastfamilie durchaus eine neue Wohnpartnerin erhalten. «Wir könnten uns vorstellen, nochmals ein Mädchen aufzunehmen», sagt Margret Schreier Rachamin. So dass die junge Innerschweizerin auch im zweiten Jahr nicht alleine dort wäre.

 

Wie werden die Gastfamilien gefunden?

«Wir greifen auf ein bestehendes Netz zurück, wenn es darum geht, Gastfamilien zu finden», sagt David Meister, der Leiter und Cheftrainer der in Biel beheimateten Akademie des SFV. «Viele machen das schon seit längerer Zeit.» Finde man einmal nicht genug Familien, greife man etwa auf die Kontakte zum Schweizerischen Turnverband und anderer Partner zurück. «95 Prozent der Gastfamilien finden wir durch Empfehlungen», sagt Meister.

Die Gastfamilien werden durch die Eltern mit 350 Franken pro Monat entschädigt, wobei pro Jahr nur 10 Monate in Rechnung gestellt werden. Dies weil während den Schulferien im Sommer der Betrieb der Akademie ruht. Die Administration und die Abrechnung werden durch den SFV übernommen. rp