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Tennis

Weite Reise via Federer-Camp

Die drei in Biel trainierenden Junioren Jérôme Kym, Dominic Stricker und Leandro Riedi sind auf dem Weg nach Melbourne. Im Federer-Camp in Dubai machen sie derzeit Halt.

Motivation: Jérôme Kym, Dominic Stricker und Leandro Riedi (von links) konnten letzte Woche mit Roger Federer und Severin Lüthi trainieren – und Spass haben. zvg

Beat Moning

Kurz vor dem Jahreswechsel galt es, das Programm zur direkten Vorbereitung auf das Junior Australian Open in Melbourne über den Haufen zu werfen: Daviscup- und Federer-Coach Severin Lüthi meldete sich bei Swiss Tennis mit der Frage, ob die drei Nachwuchsspieler Jérôme Kym, Dominic Stricker und Leandro Riedi auf dem Weg nach Melbourne zuerst in Dubai Halt machen könnten. Roger Federer selber lud die Spieler in sein Vorbereitungs-Camp ein. Die Spieler liessen sich nicht zweimal bitten. «Wer mit Roger trainieren kann, sollte die Chance am Schopf packen», sagt Dominic Stricker, der schon anlässlich der Swiss Indoors in Basel Federers Sparringpartner war. «Die Jungs lassen sich von Roger ohne Zweifel inspirieren. Auch die Gespräche mit ihm bringen viel. Die Frage ist, was die Spieler daraus mitnehmen», ergänzt Alessandro Greco, der Leistungschef von Swiss Tennis (siehe Zweittext). Schon am 1. Januar bestieg man also das Flugzeug für ein insgesamt vierwöchiges Tennis-Abenteuer in der Ferne.

Vier Spieler in den Top 50

Dominic Stricker schätzte die Zeit mit Federer, wie er gestern dem BT über Face-Time aus Dubai verriet. «Wir hatten vier Trainings mit ihm. Es ist imposant, ihm zuzuschauen, und selber hast Du in diesen langen Einheiten viel profitieren können.» Stricker hebt aber auch die Zeit daneben hervor. «Wir gingen zusammen essen und hatten Gelegenheit, ihm Fragen zu stellen. Dazu gab er uns ein Feedback aus den Trainings.» So wollte Stricker wissen, wie er mit kleineren Verletzungen an einem Turnier umgehe. «Nur nichts anmerken lassen, den Gegner nicht darauf aufmerksam machen», lautete die Antwort des Maestro.

Der Grosshöchstetter Dominic Stricker trainiert und lebt seit August 2018 in Biel. 2019 nahm er an allen vier Junior Grand Slams teil (Kym ist erstmals dabei, Riedi schaffte in New York die zweite Runde). In Melbourne war wie später in Paris für Stricker nach Runde eins Endstation, in Wimbledon kam er in die zweite Runde und in New York im September stiess er bis ins Viertelfinale vor. Mit weiteren starken Resultaten, den ersten Siegen auf der Junior-Tour und auch den ersten ATP-Punkten, gehört er wie seine Landsleute derzeit zu den besten U18-Junioren der Welt. Jeffrey van der Schulenburg, auch noch ohne Grand-Slam-Erfahrung, nimmt in der neuen ITF-U18-Rangliste Rang 8 ein, Leandro Riedi ist 10., Dominic Stricker gleich dahinter und Kym 43. Nimmt man die Jahrgänge 2002 heraus, liegt der 16-Jährige auf Position 9.

Vorteil Linkshänder

Trainer Jürgen Strehlau begleitete Stricker vor dessen Engagement in Biel. «Er muss noch überzeugter von sich selber werden», sagte der 77-Jährige einst, ist von seiner Entwicklung aber nicht überrascht. Dominic Stricker gehört inzwischen dem A-Kader an. Da trifft er auf Gleichgesinnte, in einem Umfeld, das auf professionelles Tennis ausgerichtet ist. «Er kann das Spiel hervorragend lesen, weiss oft, was der Gegner als Nächstes tun wird. Er hat ein sehr feines Händchen. Er ist in der Lage, Aufschlag-Volley zu spielen, was heute nicht mehr so verbreitet ist», sagte kürzlich sein Trainer Sven Swinnen, seit zwölf Jahren Nationaltrainer in Biel, in einem Interview mit der «Berner Zeitung.» Als Linkshänder habe er zudem gewisse Vorteile, die er mit seinem Angriffsspiel in die Waagschale werfen kann.

Der Ehrgeiz beim 17-Jährigen ist entsprechend gross. 2018 deutete er an, was da in Richtung Profi-Tennis entstehen kann. Die Auftritte 2019 sprechen schliesslich für sich. «Dass ich bereits Grand-Slam-Erfahrung habe und weiss, wie man Turniere auch gewinnen kann, kommt mir jetzt sicher zugute.» Das bestätigt aufgrund der Erfahrungen auch Alessandro Greco. «Wer erstmals an so einem grossen Turnier weilt, ist naturgemäss nervöser als sonst.» Allein die Anlagen und der Menschenauflauf sowie das parallel stattfindende Grand Slam der Erwachsenen sorgen für grosse Augen. Sven Swinnen ist überzeugt, dass es ein Vorteil ist, gleich mit vier Akteuren in Melbourne antreten zu können. «Alle sind Konkurrenten, aber den gemeinsamen Weg zu gehen, sich gegenseitig zu helfen, das stärkt uns. Allein, dass wir uns im Training pushen können und nicht auf andere Sparringpartner angewiesen sind, ist ein Vorteil.»

Swinnen glaubt an die Jungs. «Wir machen seit den Schweizer Meisterschaften in Biel eine gute Vorbereitung, können jetzt schon draussen trainieren. Ich traue allen zu, mehrere Runden zu überstehen.» Dass man sich mit Federer und Lüthi treffen konnte, «ist eine Riesenmotivation.» Auch Stricker geniesst es und kann dem guten Mix zwischen Lockerheit, Spass und Fokus auf das Wesentliche viel abgewinnen. «Wir gehen zwar hier nicht in den Ausgang, aber es stehen uns viele Möglichkeiten offen, die Zeit zu verbringen.» Zum Beispiel in den Pool. «Ins kalte Wasser der Grand Slams bin ich im letzten Jahr geworfen worden. Jetzt kenne ich die Abläufe, das erleichtert es allein im Kopf», hält Stricker sinnbildlich zum Sprung ins Schwimmbecken fest.

Auf dem steilen Weg nach oben nimmt Stricker viel in Kauf. «Zu Beginn war es nicht einfach, sich von der gewohnten Umgebung daheim loszulösen», sagte er kürzlich. Dabei wollte er auch das Berufliche nicht vernachlässigen. Lehrbücher jedenfalls hat er mit auf die Reise genommen. Er fehlt bei der Sport-KV-Schule mehr als drei Wochen. Und daran ändert sich im weiteren Jahresverlauf nicht viel. Koffer ein- und auspacken gehört zum Alltag wie das tägliche Training auf und neben dem Platz. Waschen und kochen kommen hinzu. Das inzwischen dank Sporthilfe, Sponsoren und Swiss Tennis gut abgedeckte hohe fünfstellige Budget erfordert dennoch viel eigene Anstrengung.

Auf dem Silbertablett ist noch keinem Spieler eine Karriere serviert worden. Da sind Trainings mit Federer eine Ausnahme und lediglich eine zusätzliche Motivation; wenn auch keine unbedeutende.

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«Arithmetisch schaffte es einer»

Alessandro Greco ist seit Anfang 2011 Chef Leistungssport bei Swiss Tennis und nimmt somit sein zehntes Jahr in Angriff. Immer wieder haben einzelne Spieler und Spielerinnen den Sprung in ein Hauptfeld eines Junior Grand Slams geschafft. «Dass es nun aber jetzt gleich vier Spieler sind (neben den erwähnten Akteuren kommt mit Jeffrey van der Schulenburg ein weiterer hinzu, die Red.), ist bemerkenswert und einmalig.» Greco spricht von einem Lichtblick für das Schweizer Tennis. Denn: Hinter Federer, Wawrinka und Laaksonen klafft eine Lücke, die man in den nächsten Jahren mit diesen Akteuren schliessen könnte.

Allerdings macht Greco darauf aufmerksam, dass der Weg trotz den vorhandenen Perspektiven weiterhin lang ist. «Es wollen alle in die Top 100. Rein arithmetisch betrachtet wird es einer des Quartetts schaffen. Damit wäre die Schweiz im Soll.» Aber: Greco traut allen vier Spielern diesen Sprung zu. «Alle haben das Potenzial. Sie gehören nicht von ungefähr in ihrer Kategorie zu den besten Akteuren der Welt. Jérôme (Kym spielte auch schon Daviscup, die Red.) ist gar noch ein Jahr jünger und kann noch unbelasteter an die Aufgaben herantreten.»

Greco hat in diesem Jahr gewisse Erwartungen in das Quartett, spricht von einer Chance bei fünf Turnieren, den vier Grand Slams sowie den Europameisterschaften in Klosters. «Jene, die wirklich gut sind, starten durch, andere können sich in einzelnen Turnieren beweisen, dass sie das auch schaffen können.» Dazu brauche es die nötige Form zum richtigen Zeitpunkt und etwas Losglück. Greco erhofft sich, dass alle vier Spieler an mindestens einem Turnier ganz vorne mitmischen, um eben dieses Zeichen zu setzen. bmb

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