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Einwurf

Zuschauer 
der Zukunft

Im Jahr 2000 begegneten sich der HC Lugano und der Zürcher SC im Finale der Schweizer Eishockeymeisterschaft. Die Atmosphäre war auf und neben dem Eis aufgeheizt, was natürlich ein grosses Polizeiaufgebot erforderte.

Reto Bertolotti

Reto Bertolotti

Im Jahr darauf kam es zur Revanche der beiden Teams im Playoff-Final und die Rivalität steigerte sich entsprechend. Die beiden Team-Manager attackierten sich bereits im Vorfeld der Serie, was dann auf dem Feld weiterging und auch auf die Zuschauer übergriff. Die Spiele waren keine Spiele mehr, sondern Schlachten und um die Stadien wähnte man sich in einer Art Bürgerkrieg. Polizisten, die aussahen wie Krieger, umgeben von Wasserwerfern wie Panzer in einer von Tränengas geschwängerten Luft.

Den negativen Höhepunkt bildete Spiel 7 der Finalserie in Lugano, zu dem das Heimteam keine Gästefans zuliess, das Spiel jedoch in der Verlängerung verlor. Beide Mannschaften und auch wir Schiedsrichter verliessen das Spielfeld fluchtartig, denn die Tifosi drehten völlig durch und begannen, das Stadion zu demolieren; an eine geordnete Pokalübergabe war nicht zu denken. Der HC Lugano wurde von der Verbandsjustiz entsprechend gebüsst und zu einem Geisterspiel verurteilt, aber das ist nicht der Punkt. Die Vorkommnisse veranlassten den Verband, die Liga und die Klubs, die Köpfe zusammen zu stecken und Massnahmen zu diskutieren, die in der unerträglichen Situation Abhilfe schaffen sollten.

Eines scheint mir besonders wichtig zu sein: Der Verband, die Liga und die Klubs nahmen ihre Verantwortung wahr und setzten die beschlossenen Massnahmen um.

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass fast 20 Jahre nach den geschilderten Ereignissen, eine Gruppe Zuschauer ein Spielabbruch im Fussball
in der Schweiz provozieren kann. Doch es kam noch schlimmer, die gleiche Gruppe GC-Anhänger wiederholte das Szenario ein paar Wochen später in 
Luzern. Mehr noch, sie nötigten die Spieler auch noch dazu, ihre Leibchen auszuziehen.

Ein paar Fragen stellen sich mir in diesem Zusammenhang: Warum wurde dieser Gruppe, deren Anführer offenbar den Verantwortlichen von GC bekannt war, der Zutritt zum Stadion gewährt? Und warum werden heutzutage immer noch Pyros, diese rot leuchtenden Fackeln, in den Stadien gezündet? Was nützen Stadionverbote oder gar Rayonverbote, wenn sie nicht durchgesetzt werden?

Diese bengalischen Fackeln sind nicht ohne Grund verboten, denn sie werden enorm heiss und die Verbrennungsgefahr ist entsprechend gross. Auch die Rauchentwicklung ist hoch und die Rauchschwaden hängen noch minutenlang im Stadion. Wenn sie sich ein Spiel im Fernseher anschauen möchten, können sie getrost erst nach 15 Minuten wieder einschalten, denn vorher sieht man wegen des Nebels
sowieso nichts.

Wenn während einer Meisterfeier, oder wie im Fall Basel an der Feier des Cupsiegs ein Spieler eine Fackel anzündet, und das notabene im Beisein des Sicherheitschefs, ist «töricht» noch eine höfliche Bezeichnung. Wenn es einer Mannschaft sportlich nicht läuft, braucht sie Fans, die hinter ihr stehen und sie trotzdem unterstützen und sie nicht auch noch terrorisieren. Dass die GC-Bosse nicht entschiedener aufgetreten sind und solche Aktionen nicht kompromisslos bekämpft haben, passt irgendwie ins Bild von Rekordmeister GC in der letzten Saison.

Ich will hier nicht behaupten, dass im Eishockey alles problemlos funktioniert, aber im Vergleich mit dem Fussball ist es in und um die Stadien relativ ruhig. Natürlich gibt es Risiko- oder 
gar Hochrisiko-Spiele mit dem entsprechend grossen Polizeiaufgebot, aber im Grossen und Ganzen hat man die 
Fanszene im Griff.

Das ist jedoch mit enormem Aufwand verbunden und ein grosser Kampf; jedes Spiel ist eine neue Herausforderung. Es ist an der Zeit, dass sich die Fussball-Bosse diesem Kampf stellen und Verantwortung übernehmen. Es ist letztlich auch im Interesse des Fussballs, denn heute überlegt sich manch einer, ob er ins Stadion geht und ob er Kinder mitnehmen soll. Hier stellt dich die letzte Frage: Wenn keine Kinder mehr ins Stadion kommen, wer sind denn die Zuschauer der Zukunft? Hoffen wir, dass solch unrühmliche Geschichten in der diesjährigen Meisterschaft keine Fortsetzung finden.

Info: Reto Bertolotti, Inhaber eines Architekturbüros in Brügg, leitete zwischen 1988 bis 2005 800 NL-Partien als Schiedsrichter, ab 1997 als Profi-Ref, 2005 bis 2014 Referee in Chief beim SIHF. Seit 2006 ist er Instruktor und Supervisor beim internationalen Verband mit Einsätzen an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen.