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2. Liga regional

«Eine Familie ist zerstört worden»: Exodus beim FC Azzurri

Beim FC Azzurri Biel gehen die Wogen hoch. Nachdem der Trainer der ersten Mannschaft entlassen wurde, hat sich auch rund die Hälfte der Spieler verabschiedet.

Er zog die Blicke auf sich: Nun haben Scott Mbemba und weitere langjährige Stammkräfte Azzurri Biel verlassen. Bild: Tanja Lander/Bieler Tagblatt

Michael Lehmann

#Friends: Mit dieser Überschrift wurde in der Nacht auf gestern ein Bild in den Sozialen Medien gepostet, auf dem unter anderem die Trainer Anderson Kor und Giuseppe Squatrito sowie die Spieler Scott Mbemba, Aram Eliassi und Kevin Diabanza zu sehen sind. Praktisch zeitgleich verkündet der FC Azzurri auf seinem Instagram-Kanal mit je einem Beitrag die Abgänge der drei Spieler.

Tags darauf folgen zwei weitere Abgangsmeldungen. Auch Antonino Maglia und Riccardo Ruggiero hätten sich dazu entschieden, den Verein per sofort zu verlassen. Bei Letzterem steht hinzugeschrieben: «Vielen Dank für die letzten 15 Jahre in unserem Klub.» Dazu ein Herz-Emoticon. Die Meldungen, die im Verlauf des Nachmittags wieder gelöscht wurden, sind so verfasst, als wären es Abgänge, wie es sie halt gibt im Fussball. Als sei es normal, dass fünf Spieler, alle langjährige Stammkräfte, kurz nach dem Start der Meisterschaft dem Klub den Rücken kehren. Dabei ist das, was in den letzten Tagen beim FC Azzurri geschehen ist, richtig aussergewöhnlich. Und, so viel vorweg, es werden viel mehr als bloss fünf Spieler den Klub verlassen.

Perplexe Spieler
Das BT hat gestern mehrere Spieler getroffen, die nicht namentlich in der Zeitung erscheinen wollen. Sie berichten von Unehrlichkeiten, schlechter Kommunikation und vermuten gar einen Komplott.

Etwas Vorgeschichte: Im Frühling hat Roberto De Feo entschieden, nach fast fünf Jahren als Azzurri-Trainer zum FC Biel zu wechseln. Er hatte das Team übernommen, als es abstiegsgefährdet war, und zu einem Aufstiegskandidaten geformt. Dies schaffte er nicht zuletzt, indem er das Team zusammengeschweisst hat. Die Spieler sagen, sie seien zu einer Familie geworden. Zuletzt wurde De Feo dabei von Anderson Kor assistiert, mit dem er auch privat immer wieder etwas unternahm. Bei den Spielern war Kor beliebt – er wurde oft als grosser Bruder bezeichnet –, weshalb er auch als logischer Nachfolger von De Feo schien. Der Vorstand sprach ihm das Vertrauen aus, der Franko-Senegalese war geehrt. «Einerseits fühle ich mich fähig, das neue Amt zu übernehmen. Andererseits hätte ich es nicht übers Herz gebracht, dem Klub eine Absage zu erteilen, mit dem ich seit meiner Ankunft in der Schweiz vor 17 Jahren so viel Schönes erlebt habe», sagte er dieser Zeitung. Die Spieler, mit denen das BT gesprochen hat, vermuten, dass bereits bei der Wahl Vorbehalte gegen Kor geherrscht haben.

Am vergangenen Montag gelangte Sportchef David Casasnovas im Training an Trainer Anderson Kor und sagte ihm, der Vorstand habe entschieden, ihn zu entlassen. Assistenztrainer Giuseppe Squatrito war von der Kündigung nicht betroffen; da er aber mit Kor befreundet ist, trat er aus Solidarität mit dem Haupttrainer zurück.

Die Spieler waren perplex, der im Frühling gewählte Spielerrat war nicht in die Entscheidung miteinbezogen worden. Gründe für die Kündigung konnte ihnen niemand nennen – jedenfalls keine glaubwürdigen. «Wenn wir von fünf Spielen vier verloren hätten, dann wäre es ein sportlicher Entscheid gewesen, den wir akzeptiert hätten», sagt einer der Azzurri-Spieler. An der Ausbeute konnte es jedoch nicht gelegen haben, denn der Start in die Saison ist gelungen. Nach zwei Partien hatte Azzurri vier Punkte auf dem Konto. Dazwischen schied das Team zwar im Berner Cup gegen den unterklassigen FC Wabern durch einen Gegentreffer in der Nachspielzeit aus, doch Kor hatte in dieser Partie mehreren Nachwuchsspielern eine Chance in der Startelf gewährt.

Präsident schweigt
Deshalb vermuten die Spieler, der Trainer sei Opfer von persönlichen Animositäten gewesen. Konkret klagen sie Sportchef David Casasnovas und Präsident Joël Vuillaume an – beide sind erst seit Kurzem im Amt. Sie hätten von Beginn an etwas gegen den Trainer gehabt und ihn nur weiterengagiert, um das Team zusammenhalten zu können. Nun hätten die beiden – die Spieler erwähnen den Rest des Vorstands bewusst nicht – einen Trainer einstellen wollen, der leichter zu kontrollieren sei als Kor, den die Spieler als «starke Persönlichkeit» beschreiben. Als Beleg erzählen die Spieler, dass Akteure, bei denen bekannt war, dass sie Kor nahestanden, nach dessen Kündigung ebenfalls gesagt worden sei, man habe keine Verwendung mehr für sie.

Das BT hat Präsident Vuillaume kontaktiert. Er bat zuerst um Bedenkzeit und sagte danach, er wolle vorerst keinen Kommentar abgeben.

Sportchef Casasnovas räumt Fehler bei der Kommunikation ein. Vieles sei nicht so gelaufen, wie es hätte laufen sollen. Er bestreitet jedoch vehement, bei der Entscheidung zur Trainerentlassung involviert gewesen zu sein. «Ich war Sportchef und aus sportlicher Sicht konnte man Anderson Kor nichts vorwerfen.» Das Präteritum ist bewusst gewählt. Casasnovas hat am Mittwoch sein Amt niedergelegt.

Über zehn Spieler gehen
Wie es nun mit dem FC Azzurri weitergeht, ist offen. Die Spieler, die gestern mit dem BT gesprochen haben, zählten insgesamt 13 Akteure auf, die den Klub nach den Vorfällen verlassen. Einige wie zum Beispiel Toptorschütze Scott Mbemba, der zu Grenchen wechselt, haben bereits einen neuen Verein gefunden. «Am Schluss ging es nicht mal mehr nur um die Trainerentlassung», sagt einer der Spieler. «Man war nicht ehrlich mit uns, und mittlerweile hat jeder Spieler eigene Gründe, warum er nichts mehr mit dem Klub unter diesem Präsidenten zu tun haben möchte.»

Damit dürfte Azzurri Biel beim sonntäglichen Heimspiel gegen Ajoie-Monterri – wenn überhaupt – mit einem Schrumpfteam oder mit Spielern aus der zweiten Mannschaft antreten. Die Spieler sagen, dass es ihnen für den Verein als Ganzes leid tue. «Eine Familie ist zerstört worden.» #Friends.

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Duell der Nachbarn
Das einzige Seeländer Derby in der 2. Liga findet morgen zwischen Aarberg und Lyss statt. Zwei Teams, die sich aufgrund der geografischen Nähe gut kennen, und weil sie beim Seeland Cup zuletzt jeweils zusammen antreten sind.

Die drei restlichen Zweitligisten aus dem Seeland bestreiten Heimspiele. Nidau empfängt Kirchberg, das auf die Niederlage gegen Azzurri mit einem Sieg gegen Aarberg geantwortet hat. Auf dem Längfeld ist Develier zu Gast bei Besa und auf der Champagne trifft Azzurri auf Ajoie-Monterri.

Stichwörter: Azzurri Biel, Exodus

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