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Öko-Auflagen werden geschluckt

Für Neubauten und Sanierungen gelten im Kanton Bern seit letztem Herbst massiv strengere Vorgaben. Trotz höherer Kosten wird die Regelung im Seeland kaum kritisiert.

Streng wie Minergie ist der neue gesetzliche Standard für Neubauten im Kanton Bern. Pixabay
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Beat Kuhn

Wer im letzten halben Jahr nicht gerade ein Baugesuch für einen Neubau eingereicht hat, weiss wohl gar nichts davon: Auf den 1. September 2016 hat der Kanton Bern die Vorgaben beim Wärmeschutz und beim Einsatz von erneuerbaren Energien deutlich verschärft.

Neubauten müssen nun so gebaut werden, dass ihr Energiebedarf für Heizung, Warmwasser, Lüftung und allfällige Klimatisierung zwischen dem strengen Standard Minergie und dem noch strengeren Minergie-P des gleichnamigen Vereins (siehe Infobox) liegt. Inzwischen hat der Verein seine Vorgaben allerdings so abgeändert, dass sie wieder strenger sind als diejenigen des Kantons Bern.

 

Dreifach-Verglasung Pflicht

Wie Kurt Marti, der Energieberater der Region Seeland, in einem Beitrag für Gemeindeblätter bilanziert, sind «die Leute zwar darüber informiert, dass es strengere Vorgaben für Neubauten gibt». Dass es aber auch neue Auflagen für Sanierungen gibt, «ist nicht allen bekannt».

Die restriktiveren Vorgaben beschränken sich auf die Ersetzung von Fenstern und Türen. Wenn in einem bestehenden Gebäude die Fenster ersetzt würden, müssten die neuen Fenster eine Dreifach-Wärmeschutzverglasung aufweisen. Marti fordert sanierungswillige Hausbesitzer auf, bei Offerten zu prüfen, ob die neue Anforderung erfüllt werde. Wenn nicht, solle man den Offertsteller darauf hinweisen.

 

Mehr Kosten, weniger Energie

Die Gemeinden in der Region machen unterschiedliche Erfahrungen mit den neuen Bestimmungen. «Die neue Energieverordnung ist noch nicht verankert und führt zu vielen Unsicherheiten», sagt etwa Martin Bürgi, Energiekontrolleur von Bellmund. Meist reiche nun eine Fachperson den sogenannten Energienachweis ein, weil dies für Nichtfachleute schwieriger geworden sei.

«Den Bauherren selbst sind die Änderungen nicht wirklich bewusst», so Bürgi, «darum sind sie auch kein grosses Thema.» Da die Anforderungen an die Baukonstruktionen jetzt höher seien, seien auch die Baukosten gestiegen. «Das verstehen nicht alle Bauherren.»

Stephan Mathys, Bauverwalter der Gemeinden Täuffelen-Gerolfingen und Mörigen, erlebt es anders: Strengere Energievorschriften seien bei den Bauherren in der Regel gut akzeptiert, «führen sie doch zu energieeffizienteren Gebäuden, was mit niedrigeren Energiekosten einhergeht». Nach seiner Einschätzung ist auch keine Zunahme von fehlerhaften Nachweisen erkennbar.

 

Zurückweisen statt abweisen

In Radelfingen hatte man laut Tonia Moosmann vom Bausekretariat ebenfalls keine Reklamationen wegen den strengeren Regeln oder höheren Kosten. Man habe auch keine Baugesuche zurückweisen müssen – was nicht gleichbedeutend mit «ablehnen» ist.

In Brügg würde ein Baugesuch laut Gemeindeschreiber Beat Heuer nicht einfach abgelehnt, wenn ein Energienachweis nach alter Regelung eingereicht würde. Vielmehr würde die Bauherrschaft ersucht, diesen zu überarbeiten. «Grundsätzlich sind die betroffenen Bauherrschaften und Planer aber an Änderungen von Vorschriften gewohnt, auch etwa im Brand- oder Gewässerschutz». Weder gegenüber Behördenmitgliedern noch gegenüber der Verwaltung habe es bisher negative Reaktionen gegeben.

Marc Lehmann, Bauverwalter von Aarberg, sagt: «Die spezialisierten Ingenieurbüros, die Energieunterlagen erstellen, sind Profis genug, um zu wissen, dass die Gesetzgebung geändert hat.» Problematischer sei es bei kleineren Sanierungen, wo, wenn überhaupt, nur Architekten am Werk seien. «Ihnen ist die Änderung vielfach nicht bewusst.» Dann mache man sie darauf aufmerksam, und der Bauherr reiche die nötigen Unterlagen nach oder korrigiere, was falsch sei. Sandra Schäfer, Verwaltungsangestellte in Safnern, macht da andere Erfahrungen: «Die Architekten wissen gut Bescheid», sagt sie.

 

«Neubau ist grosse Chance»

Und wie sieht es Energieberater Kurt Marti? Er stelle mit Bedauern fest, dass die neuen Vorgaben nicht allen Fachpersonen in der Baubranche so bekannt seien, wie sie es sein sollten, lautet sein Resümee.

Die neuen Grenzwerte findet er dagegen positiv: «Ich begrüsse die strengeren Vorgaben bei Neubauten», macht er klar. In den letzten Jahren habe er nämlich viele Energienachweise geprüft, die grade noch die gesetzlichen Vorgaben erfüllt hätten. «Dabei ist ein Neubau die grosse Chance, ein energetisch und ökologisch optimales Haus zu erstellen.»

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Minergie – das Label für nachhaltiges Bauen

  • Minergie ist eine geschützte Marke für nachhaltiges Bauen auf freiwilliger Basis. Sie ist der höchste Energiestandard für Niedrigenergiehäuser im Land.
  • Die Marke gehört dem Verein Minergie, dessen Geschäftsstelle sich in Basel befindet. Er betreibt die Zertifizierung und das Marketing des Labels.
  • Getragen wird der Verein von Bund, Kantonen, Wirtschaft, Schulen und zahlreichen Einzelmitgliedern.
  • Die Idee zu dem Label hatten 1994 zwei Private. Auch 23 Jahre später ist der Anteil solcher Häuser am Gesamtbestand allerdings noch immer im tiefen einstelligen Prozentbereich. bk

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