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Bözingenberg

Zwei erwachsene Igel, zwei Siebenschläfer

Unbekannte Tierschützer haben auf dem Bözingenberg den Holzhaufen für das Johannifeuer der Steinerschule abgetragen. Ihr Ziel: Wildtiere vor dem Feuertod retten. Das ist gelungen – es war allerdings auch das Vorhaben der Steinerschule selber.

Geheimes Bildmaterial, der Presse von den Tierschützern zugespielt: Am Dienstagabend legen sie Hand an den Holzhaufen für das Johannifeuer.Zurück bleibt abgetragenes Material, der zentrale Pfahl und das Bekennerschreiben. zvg
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Tobias Graden

Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.


(Johann Wolfgang Goethe,Gesang der Erzengel, aus «Faust, der Tragödie erster Teil»)

Mittwoch, 21. Juni 2017: Alles ist vorbereitet. Der Holzhaufen steht. Übermannshoch ist er, mehrere Meter, ein grosses Feuer soll es werden. Es ist der längste Tag im Jahr, Sommersonnenwende. Die Steinerschule Biel feiert Johanni. Die Schülerinnen und Schüler sind eingeladen, die Eltern auch, das ganze Kollegium nimmt teil, über 150 Personen werden es sein, der Flyer mit der wortgewaltigen Passage aus Goethes «Faust» (kursive Passagen) ist gedruckt. Es wird zu essen geben, manche werden auf dem Berg unter freiem Himmel übernachten, es ist ein grosses Fest. Doch dann, kurz nach dem Mittag, kommt der Anruf der Feuerpolizei: Sämtliche Feuer im Freien sind verboten, so grosse erst recht, es ist zu trocken, es herrscht Waldbrandgefahr.
Die Feier wird kurzfristig abgesagt, der Holzhaufen bleibt stehen. Sie werde ihn für das Augustfeuer brauchen können, lässt die Burgergemeinde Biel die Steinerschule wissen.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;
die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.


Dienstag, 19. Juni 2018, ca. 16 Uhr: Jana Christen (Name geändert)spaziert mit einer Kollegin und ihren drei Hunden auf dem Bözingenberg. Es sind Tiere, die dem Tod geweiht waren, Christen hat sie gerettet: Strassenhunde aus Spanien und Rumänien, die eingesammelt wurden, in einer Tötungsstation auf ihr Ende warteten, von einer Tierschutzorganisation befreit wurden und schliesslich bei Leuten wie Jana Christen landen. Denn der Tierschutz ist Christen ein wichtiges Anliegen. Sie sagt:Jedes Lebewesen hat seine Berechtigung, von dem her. Und sie ist Veganerin, zu 90 Prozent, gönnt sich höchstens im Winter mal ein Fondue und ab und zu ein Ei von einem glücklichen Huhn.
Die beiden entdecken den Holzhaufen. Der stehe schon seit mehr als einem Jahr da, sagt die Kollegin, die Steinerschule wolle ihn am 21. Juni abbrennen. Jana Christen durchfährt es wie ein Blitz: Die Tiere! Jeder weiss doch, dass ein Holzhaufen ein Lebensraum ist für Igel, Mäuse, Siebenschläfer, Vögel! Den kann man doch nicht abbrennen!
Christen ruft bei der Burgergemeinde an und schlägt Alarm. Ihr wird beschieden, der Anlass und das Feuer seien bewilligt, man kläre das aber ab, und falls das nicht fruchte, fahre man eben mit dem Traktor drüber. Das ist eine Aussage, die sich wegen Abwesenheiten auf der Burgergemeinde am gestrigen Nachmittag nicht verifizieren lässt, die aber Jana Christen schwerlich zu beruhigen vermag, denn mit einem Tod durch Überfahren hätte ein Igel im Vergleich zu einem Tod durch Verbrennen nicht sehr viel gewonnen.

Und Stürme brausen um die Wette
Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,
und bilden wütend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.


Dienstag, 19. Juni 2018, ca. 16.30 Uhr: Jana Christen versucht Verantwortliche der Steinerschule zu erreichen, nach eigenen Angaben ohne Erfolg. Sie fasst eine eigenmächtige Rettungsaktion ins Auge, ruft aber noch beim Wildhüter an. Dieser bestätigt ihr: Steht ein Holzhaufen lange genug herum, wird er zum Heim für Wildtiere. Der Schweizer Tierschutz rät darum, solche Haufen genügend abzusichern (siehe Infobox). Augustfeuer würden sonst zur «Todesfalle für Wildtiere», sie seien erst kurzfristig aufzuschichten und mit Zäunen und Planen abzusichern. Dafür ist es auf dem Bözingenberg zu spät. Rasches Handeln ist gefragt, doch wie? Man müsse wissen, wie sich ein Tier verhalte und mit welchen Techniken es herauszulocken sei, sagt der Wildhüter anderntags gegenüber dem BT, man könne dem Igel ja nicht einfach zupfeifen und sagen: Komm raus, in ein paar Minuten zünden wir das Feuer an. Gegenüber Christen gibt der Wildhüter zu verstehen, dass er in diesem dringenden Fall Zivilcourage für die richtige Lösung halte. Das ist für Christen der Startschuss zur Rettungsaktion.

Da flammt ein blitzendesVerheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags.
Doch deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.


Dienstag, 19. Juni 2018, 21 Uhr: Zu fünft sind sie gekommen, tatkräftig und entschlossen. Es gilt, die Tiere vor dem sicheren Feuertod zu bewahren. Der Presse wird anderntags geheimes Bildmaterial zugespielt. Es zeigt, wie sich ein unidentifizerbarer Tierschützer am Holzhaufen zu schaffen macht. Er beginnt, das Holz abzudecken. Eine Stunde später ist das Werk vollbracht:Der Holzhaufen ist abgetragen, alles Material im Umkreis von ein paar Metern säuberlich aufgeschichtet, die Plane liegt zusammengefaltet am Boden. Einzig der zentrale Pfahl des Feuers steht noch, daran angeheftet ein Bekennerschreiben der unbekannten Tierschützerschaft. «Werte Leiter», steht darauf, «als Tierschützer und Tierfreunde wollen wir verhindern, dass der Scheiterhaufen achtungslos angezündet und Tiere beim lebendigen Leibe verbrannt werden.» Man habe sich angesichts der Kurzfristigkeit entschlossen, «den Scheiterhaufen abzubauen, um die Tiere zu befreien und vor dem Inferno zu retten», man hoffe auf Verständnis.
In einem Mail ans BT bilanziert Jana Christen: «Dem Holzhaufen sind zwei erwachsene Igel und zwei Siebenschläfer entwichen.»

Der Anblick gibt den Engeln Stärke
Da keiner dich ergründen mag,
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.


Mittwoch, 20. Juni 2018, 16 Uhr: Andreas Grädel kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er hilft mit bei der Organisation der Johannifeier und hat erst am Samstag entdeckt, dass der Haufen unerwarteterweise noch dort steht. Praktisch, habe man sich gedacht, und natürlich habe man in Betracht gezogen, dass sich Tiere eingenistet haben dürften: «So tierbewusst und naturverbunden sind wir durchaus. Wir haben genau das vorgehabt, was die Tierschützer nun getan haben.» Grädel hat also Verständnis, hätte es aber geschätzt, wenn die Tierschützer etwas mehr Mühe auf eine vorgängige Kontaktaufnahme verwendet hätten.

Voraussichtlich heute Abend, ca. 21 Uhr: Die Leute von der Steinerschule haben den Haufen wieder aufgeschichtet, nun ist er angezündet. Feierlich schaut die Festgemeinde dem grossen Feuer zu, Grädel hat auch die Tierschützer zum Gespräch und zur Feier eingeladen. Irgendwo nicht allzu weit entfernt krabbeln zwei erwachsene Igel und zwei Siebenschläfer aus ihrem neuen Heim.

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Wie Tiere bei Feuern zu schützen sind:

- Das gesammelte Holz erst am Tag des Abbrennens auf- oder zumindest umschichten.
- Um den Holzhaufen einen Schutzzaun errichten.
- Der Schutzzaun muss 30 bis 40 Zentimeter hoch sein.
- Dazu eignet sich ein Plastikzaun oder ein Amphibienschutzzaun.
- Schutzzaun etwa ein bis zwei Stunden vor dem Abbrennen entfernen. tg

Quelle:Schweizer Tierschutz STS

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