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Kunst

Unheil hinter gebügelten Hemden

Früher hat er gern Hommagen an Horrorfilme gemalt. Mehr und mehr aber wandelt sich Jerry Haenggli zu einem so scharfsichtigen wie virtuosen Gestalter feiner Unsicherheiten im Alltäglichen. Eben wurde er mit dem Prix Kunstverein ausgezeichnet.

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Alice Henkes

Monster, so ist in klugen Aufsätzen zum Horror-Genre immer wieder zu lesen, sind Personifizierungen kollektiver Ängste. Mit Doktor Frankenstein gab die junge Mary Shelley dem Unbehagen vor beginnender Technisierung und menschlichem Grössenwahn Ausdruck. In Figuren wie Werwölfen und Riesenspinnen mischen sich Ängste vor der Natur und einem ausser Kontrolle geratenen menschlichen Eingriff in ihre Rhythmen.

Doch neben diesen grossen, plakativen Ängsten gibt es auch die subtilen Schrecken, die nicht zur Monsterisierung taugen. Beunruhigungen und Befürchtungen, die sich kaum merklich durch den Alltag ziehen wie feine Haarrisse. Diesen oft minimalen Irritationen geht Jerry Haenggli in seinen jüngsten Arbeiten nach. In Gemälden und Arbeiten auf Papier, oft streng schwarz-weiss oder in sehr verhaltener Farbigkeit, malt er Szenen von gewissermassen kollektiver Alltäglichkeit. Seine Arbeiten zeigen Menschen beim Essen, in der Natur, bei Arbeiten am Haus und im Garten. Doch nicht immer sind die Szenen so harmlos, wie sie auf den ersten Blick scheinen.

Hommagen an den Horror

Der Verzicht auf Farben aber auch bestimmte Kleidungsmerkmale tragen dazu bei, dass viele der Motive, für die Haenggli auf Fotografien zurückgreift, in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren verortet werden können. Für Arbeiten wie die Tusche- und Kohlezeichnungen, die jetzt im Rahmen der Cantonale Berne Jura im Kunsthaus Pasquart zu sehen sind, gilt dies besonders. Die Ästhetik von Dokumentarfotos und von US-amerikanischen Spielfilmen schwingt in ihnen mit.

Es ist eine Ästhetik, die bei vielen Betrachtern Gefühle von unterschwelliger Vertrautheit auslöst. Fernseh-Serien und Kino-Klassiker aus den USA waren für die Generation des Künstlers (Jerry Haenggli ist Jahrgang 1970) Teil der ersten visuellen Nahrung, die aus dem TV-Gerät flimmerte. Und zugleich transportiert diese Ästhetik das Janus-Gesicht einer schönen, heilen Welt, hinter deren weiss gebügelten Hemden allerhand Unheil steckt.

Der in Biel lebende Künstler Jerry Haenggli erhält in diesem Jahr den Prix Kunstverein. Seit 2002 verleiht der Kunstverein Biel alljährlich einen Förderpreis, mit dem «originelle, eigenständige und vielversprechende künstlerische Positionen» geehrt werden sollen. Mit Jerry Haenggli würdigt der Kunstverein nun einen Kunstschaffenden, der in der Bieler Szene längst kein Unbekannter mehr ist. Kunstinteressierte erinnern sich gewiss noch gut an seine Hommagen an den billigen Horrorfilm, die er vor einigen Jahren noch präsentierte: grelle Szenen, kreischende Frauen und viel blutiges Rot.

Die Angst vor den Roberts

Doch Jerry Haengglis prägende visuelle Erlebnisse sind weit umfassender, als diese ironischen Liebeserklärungen an die schlicht gestrickte Welt der B-Movies vermuten liessen. Gehören zu seinen Kindheitserinnerungen doch regelmässige Besuche bei der Grossmutter in Saint Blaise, in einem Haus, in dem ganz selbstverständlich Werke verschiedener Vertreter der Künstlerfamilie Robert hingen. Jerry Haenggli, geboren in Vevey, aufgewachsen in München und Düsseldorf, ist einer von ihnen, von den Roberts. Und er ist einer, der sich abgenabelt hat. Wie genau er mit Léopold und Paul-André und all den anderen malenden Roberts verwandt ist – Jerry Haenggli möchte das nicht im Detail auseinanderdividieren. «Ich habe meine Angst vor den Roberts überstanden. Ich bin jetzt der Haenggli», sagt er.

Doch Kunst und das Künstlertum haben auch in seinem unmittelbaren Familienkreis stets eine grosse Rolle gespielt. Ein Bruder seiner Mutter war Fotograf. Seine Mutter, Marie-Francoise Robert, ist ebenfalls Künstlerin. Und auch in Jerry Haenggli ist der Keim zum Kreativen wohl von klein auf angelegt. Verdeckt zunächst. Doch im Alter von zwölf Jahren steigt er in den elterlichen Keller hinab, um sich mit Farben für Modelleisenbahnen eine eigene Welt zu malen. Früh findet er Beachtung für seine Bilder. 1984 beteiligt er sich erstmals an der Weihnachtsausstellung in der Kunsthalle Bern.

Ein Macher

Und eigentlich hat er seitdem auch nicht mehr aufgehört zu malen. Auch wenn er zwischendurch noch eine Menge anderer Dinge getan hat: Er arbeitet in Plattenläden, ist aktiver Teil der Punk-Szene und spielt als Schlagzeuger in verschiedenen Bands.

Auch mit einem Kunststudium hat er es versucht und sich an der F + F Schule für Kunst und Design in Zürich eingeschrieben. Doch Jerry Haenggli, der passionierte Maler, fühlt sich an der Kunstschule deplatziert. «Die Schule war sehr auf Konzeptkunst ausgerichtet», sagt er rückblickend. Das hat ihn nicht interessiert. «Ich war immer mehr der Macher.» Einer, der im Atelier steht und arbeitet und arbeitet und arbeitet. Ein Autodidakt, in dessen Werk sich seit einigen Jahren auch leise, konzeptuelle Untertöne einmischen.

Die Entscheidung vorwiegend schwarz-weiss zu arbeiten verdankt sich ästhetischen Überlegungen, erzeugt aber auch eine bestimmte Aussage. Kontraste treten stärker hervor, die Komposition wird gewichtiger. Gleichzeitig, so betont Haenggli, gebe ihm die Arbeit in schwarz-weiss mehr Freiheiten. «Ich kann auch mal etwas Weiss lassen. Ich muss nicht den ganzen Bildraum füllen.» Mit den leeren Flächen erzeugt Haenggli eine Irritation, die dazu anregt, über den Aussagecharakter der Bilder nachzudenken. Darüber, was geschieht, wenn ein Foto abgemalt wird, ein Foto, das aus den unsicheren Tiefen des Internets geangelt wurde und dessen Urheber oft so ungewiss ist wie seine Aussage.

Info: Jerry Haengglis Arbeiten sind im Rahmen der Cantonale Berner Jura im Kunsthaus Pasquart zu sehen. Bis 14. Januar 2018.
www.kunstverein-biel.ch