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Filmkritik

"Belfast": Mit etwas Wehmut und viel Klarheit

Kenneth Branagh hat eine zärtliche Hommage an seine Heimatstadt gedreht. Zwischen Politik und Alltag versteckt sich darin ein Manifest für Liebe und Toleranz.

Friedlicher Alltag in gewaltvollen Zeiten: Bei seiner Oma (Judi Dench) findet Buddy (Jude Hill) Rat in allen Lebensfragen.

von Sonja Wenger

Der neunjährige Buddy (Jude Hill) lebt Ende der 60er-Jahre mit seiner Mutter (Caitriona Balfe), seinem Vater (Jamie Dornan) und seinem älteren Bruder (Lewis McAskie) in Belfast. Es ist ein Arbeiterviertel, in dem jeder jeden kennt. Man ist verwandt oder befreundet und gibt aufeinander acht. Jeder schuldet dem anderen irgendetwas. Und katholische und protestantische Familien leben in Buddys Strasse seit Langem Tür an Tür.

Jobs gibt es in Nordirland schon zu dieser Zeit wenige. Buddys Vater arbeitet deshalb in England und kommt nur jedes zweite Wochenende nach Hause. Und seine quasi alleinerziehende Mutter hat alle Hände voll zu tun, um mit wenig Geld den Haushalt zu führen, um sich um die Schwiegereltern zu kümmern und um ihre beiden Söhne zu anständigen Menschen zu erziehen. Hinzu kommt, dass der Pastor jeden Sonntag für alle Tod und Teufel heraufbeschwört, die den falschen Weg einschlagen.

Wie der richtige Weg genau aussehen soll, darüber rätselt Buddy in schlaflosen Nächten. Er verliebt sich gerade in ein – katholisches – Mädchen aus seiner Klasse und weiss nicht, ob er das darf. Und dass auch ein kleiner Ladendiebstahl grosse Probleme verursachen kann, wird er bald erfahren.

Abgesehen von diesen Sorgen ist Buddys Leben ganz in Ordnung: Er liebt Comics, Filme und Abenteuergeschichten. Und klugen Rat für alle Lebens- und Schulsorgen findet er bei seiner Oma (Judi Dench) und seinem Opa (Ciarán Hinds).

Doch dann kommt der August 1969. Und plötzlich spielt die Religionszugehörigkeit eine Rolle. In Nordirland bricht in jenen Tagen eine sektiererische Gewalt aus, bei der viele sterben und verwundet werden. Die Folge ist ein beinahe drei Jahrzehnte dauernder Mehrfrontenkrieg zwischen den pro-britischen, vornehmlich protestantischen Kräften, den pro-irischen, vornehmlich katholischen Interessensgruppen, sowie der britischen Regierung.

Auch Buddy spürt die politischen Verwerfungen. Seine katholischen Nachbarn ziehen weg. Die protestantische Seite baut Barrikaden gegen mögliche Vergeltungsschläge. Und plötzlich bringt Buddys Vater Prospekte von Orten nach Hause, die auf der anderen Seite der Welt liegen. Weit weg von der Gewalt, die zunehmend eskaliert. Auch weit weg von den Schulden, die die Familie belasten. Aber vor allem endlos weit weg von Buddys Oma und Opa und seinen Freundinnen und Freunden.

Buddys Geschichte ist über weite Strecken die Geschichte von Kenneth Branagh. Der 1960 in Belfast geborene Regisseur und Schauspieler wird in Grossbritannien oft als Nationales Kulturgut angesehen. Doch er hat nie einen Hehl gemacht aus seiner Verbundenheit mit Nordirland.

Mit seinem neuen Film «Belfast» hat Branagh eine liebevolle und warmherzige Hommage in schwarz-weiss an seine Heimatstadt geschaffen. Sie ist all jenen gewidmet, «die geblieben sind, die weggingen und deren Leben verloren gingen». Die Iren seien dafür geboren, ihr Land zu verlassen, denn sonst gäbe es im Rest der Welt ja keine Pubs, sagt eine Nachbarin zu Buddys Mutter. Doch leicht ist diese Entscheidung niemandem gefallen.  

Mit viel Fingerspitzengefühl und etwas Wehmut zeigt Branagh, der auch das Drehbuch geschrieben hat, wie schmerzhaft es für alle Betroffenen ist, die Heimat zu verlassen, damit die Kinder nicht im Krieg aufwachsen müssen.

Zusätzliche Tiefe – wie auch eine gewisse Leichtigkeit – verleiht Branagh seiner Geschichte dadurch, dass wir die Geschehnisse vor allem aus der Sicht von Buddy erleben. Und gemeinsam mit versöhnlichen Jazzklängen und eingängigen Songs des ebenfalls aus Belfast stammenden Musikers Van Morrison gelingt Branagh mit «Belfast» ein wichtiges, hochaktuelles und berührendes Manifest für Toleranz und Liebe.

Info: Im Kino Rex 1, Biel. Bis am 23. Februar nur 12.15 Uhr (Lunchkino). Anschliessend im Normalprogramm.

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Sonja Wenger ***** (von 5 Sternen)
Mario Schnell **** (von 5 Sternen)
Simon Dick **** (von 5 Sternen)
Stefan Rohrbach **** (von 5 Sternen)
Raphael Amstutz **** (von 5 Sternen)
Beat Felber *** (von 5 Sternen)

Stichwörter: Filmkritik

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