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Filmkritik

"Benedetta": Die Lust als Sakrileg

Regisseur Paul Verhoeven inszeniert die mittelalterliche Geschichte um die lesbische Nonne Benedetta Carlini gewohnt freizügig. Inhaltlich leidet der Film aber an einem zu konventionellen Drehbuch.

Ihre Beziehung soll unentdeckt bleiben: Benedetta (Virginie Efira, rechts) und Bartholomea (Daphné Patakia). 
von Roger Duft
 
In den 70er-Jahren entwickelte sich in Spanien und Italien, also in Ländern mit tiefen katholischen Wurzeln, ein filmisches Subgenre mit dem Namen Nunsploitation. Dessen Werke geizten nicht mit nackter Haut, Sex und unverhohlener Kritik an der Kirche und deren oft grausamen Folter-methoden. Allerdings mussten sich viele dieser Filme den Vorwurf gefallen lassen, sich vor allem bei sexuellen Fantasien und dem generellen Reiz des Verbotenen zu bedienen. Nonnen beim Sex und anderen Sakrilegen zuzusehen, oft gespickt mit derben Gewaltszenen, das hatte etwas Verdorbenes, Unzüchtiges, das hinter verschlossenen Türen gerne und oft konsumiert wurde. 
 
Es gab aber auch Werke, wie beispielsweise der bei uns lange verbotene Film «Flavia The Heretic», der zwar diese niederen Gelüste in teils extremen Bildern bediente, aber dank einer gut verpackten Gesellschafts- und Religionskritik trotzdem zu überzeugen wusste.
 
Von Regisseur Paul Verhoeven weiss man dank Filmen wie «Türkische Früchte», «Basic Instinct» oder «Elle», dass er in Sachen Freizügigkeit nie ein Feigenblatt vor den Mund – oder andere Körperteile – nimmt. Und so war sein neues Werk «Benedetta» beim diesjährigen Filmfestival in Cannes alsbald Gesprächsthema, wieweit man bei der Darstellung von verbotenen Liebesspielen in einem mittelalterlichen Nonnenkloster wirklich gehen darf.
 
Skandalös ist «Benedetta» aber höchstens für Menschen, die sich für Liebesdramen am liebsten bei Rosamunde Pilcher bedienen.
 
Der Film erzählt die Geschichte von Benedetta Carlini, die im 17. Jahrhundert als Kind in das Kloster von Pescia in der Toscana eintritt. Als das Mädchen beim Sturz einer schweren Statue unverletzt bleibt, glauben viele Nonnen, dass Benedetta in der Lage ist, Wunder zu vollbringen. Jahre später wird sie als erwachsene Frau (Virginie Efira) des Nachts immer wieder von gewalttätigen, erotischen und religiösen Visionen heimgesucht. In der Zimmergenossin Bartholomea (Daphné Patakia) findet sie eine Seelenverwandte und beginnt mit ihr eine heimliche Romanze. Als Benedetta zur neuen Oberin des Klosters ernannt wird, beginnt es hinter den Klostermauern immer mehr zu rumoren. Die junge Nonne gerät unter Druck, ihre sakralen Sünden wachsen ihr zusehends über den Kopf.
 
Eigentlich hätte «Benedetta» alle Zutaten, um aus der wahren Geschichte um Benedetta Carlini ein spannendes, gesellschaftskritisches und sogar modernes Frauendrama zu machen. Und Verhoeven macht auch nicht alles falsch. Klar bedient er mit zwei expliziten Sexszenen einen gewissen Voyeurismus, und logisch wird da, gemäss dem gängigen Klischee, eine Marienfigur auch mal zum Dildo umfunktioniert. Trotzdem schafft der Filmemacher es, mit seinem Werk die Missstände um die katholische Kirche und ihre Macht in der damaligen Zeit zumindest ansatzweise anzuprangern.
 
Das grösste Problem von «Benedetta» ist aber nicht seine Freizügigkeit, sondern die oft arg künstlich wirkende Umsetzung. Die Bilder und Dekors leiden unter einer fast schon klinischen, unwirklichen Sauberkeit, die durch die digitale Aufnahmetechnik noch zusätzlich unterstrichen wird. Das hat Verhoeven etwa bei «Flesh & Blood» (1985) viel besser gemacht. Mit einem kantigeren, härteren Look hätte die mittelalterliche Story definitiv an Realismus gewonnen.
 
Aber auch das Drehbuch schwächelt. Die Entwicklung der Charaktere bewegt sich allzu sehr auf bewährtem Terrain. Zu viele altbekannte Mittelalter-Klischees werden hier wiedergekäut, neue Erkenntnisse zu dem bis heute aktuellen Thema sucht man vergebens. Ohne zu viel zu verraten, sei lediglich erwähnt, dass die Kritik am unreflektierten Glauben an Gott und seine Allmacht besser funktioniert hätte, wenn das Mysterium um Benedettas Wunder ein solches geblieben wäre.
 
Paul Verhoeven hat mit seinem neuen Werk zwar keinen billigen «Nunsploitation»-Beitrag abgeliefert, aber wirklich sehenswert, wie etwa sein Vorgänger «Elle», ist der Film trotzdem nicht.
 
Info: In den Kinos Lido 2 und Rex 2, Biel.
 
Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Dominic Schmid ***** (von 5 Sternen)
Roger Duft ** (von 5 Sternen)
Simon Dick ** (von 5 Sternen)

 

Stichwörter: Filmkritik

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