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Filmkritik

"Bigger Than Us": Ich bin Veränderung

Klimawandel, Flüchtlinge, Umweltverschmutzung, Ernährung und Armut. Sieben Jugendliche zeigen ihre Antworten auf die grossen Fragen der Menschheit.

Mehr Kraft für die Schwächsten:Melati auf Besuch bei Mohamad, der im Libanon eine Schule für Flüchtlinge aufgebaut hat. 

von Raphael Amstutz

Es ist wie ein Reflex: Wenn die Jugend auf die Strasse geht und vornehmlich freitags für mehr Klimaschutz demonstriert, füllen sich umgehend die Leserbriefspalten mit den Zeilen erboster Mitmenschen mehrheitlich älteren Semesters: Die wären doch eh nur dort, damit sie die Schule schwänzen könnten. Die sollten doch mal handeln, statt nur herumzuschreien.

In einer solchen Demonstration mitten in Rio laufen auch die 18-jährige Melati aus den Philippinen und der etwas ältere Rene aus Brasilien mit. Es sind zwei, die handeln. Und zwar seit Jahren. Melati kämpft in ihrer Heimat gegen den Plastikmüll, Rene hat in den Favelas eine Zeitung gegründet, die den dortigen Bewohnerinnen und Bewohnern eine Stimme gibt.

Produziert von der bekannten französischen Schauspielerin Marion Cotillard, macht sich in «Bigger Than Us» Melati auf und besucht sechs Menschen in ihrem Alter, die alle versuchen, die Welt besser, gesünder und gerechter zu machen.

In Malawi setzt sich Memory dafür ein, dass Mädchen besser vor Zwangsheirat und Vergewaltigung geschützt werden. Im Libanon hat der syrische Flüchtling Mohamad im Alter von zwölf Jahren eine Schule gegründet. In den USA hat Xiuhtezcatl den Bundesstaat Colorado verklagt, damit die Erschliessung von Schiefergas, die mit enormen Umweltverschmutzungen einhergeht, gestoppt wird. Auf Lesbos fährt Mary übers Meer und hilft mit bei der Seenotrettung von Flüchtlingen. In Uganda vermittelt Winnie den Menschen die Grundlagen der Permakultur, damit die Ernährung der Einheimischen gesichert werden kann. In Brasilien erzählen Rene und sein Team weiter von der Armut, der Ungleichheit und dem Rassismus und stellen sich gegen den Journalismus der regierenden Elite.

Was können diese jungen Menschen gegen die finanzielle und personelle Übermacht der Regierungen, Konzerne und Erwachsenen überhaupt ausrichten, die zudem das Recht auf ihrer Seite haben? Was motiviert diese sieben? Woher holen sie ihre Kraft? Und vor allem: Wie sehen sie die Zukunft?

Der Dokumentarfilm geht diesen Fragen auf den Grund – die Antworten fallen dabei zwangsläufig knapp und manchmal auch etwas oberflächlich aus. Zu kurz ist der Film, zu viele Geschichten wollen erzählt werden.

Und natürlich lässt sich der Film angreifen: Die Bilder sind manchmal an der Grenze zum Kitsch und es gibt keine Einordnung in ein grösseres Ganzes, keine weiteren Stimmen.

Trotzdem überzeugt der Dokumentarfilm und verdient vier Sterne. Weil das Werk zeigt, dass in den Demos durchaus junge Menschen mitlaufen, die sich konkret, unmittelbar und mit grossem Einsatz, Idealismus und offensichtlich unerschütterlichem Glauben an das Gute einsetzen, die kämpfen für Menschenrechte und Klimaschutz, Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit, Zugang zu Bildung und Nahrung. Weil es zeigt, wie diese Menschen nicht wegschauen, sich nicht hinter dem Bildschirm verstecken, es sich nicht bequem machen auf dem Sofa, sondern sich exponieren, Risiken eingehen und sich schlicht weigern, zu resignieren und die Dinge als unveränderlich anzunehmen.

Die Vielfalt und die Grösse der Probleme nimmt einem trotzdem den Atem und man kommt nicht umhin, daran zu denken, dass es seit rund 18 Monate auf der Welt nur noch ein Thema zu geben scheint. Nach dem Film kann vortrefflich darüber diskutiert werden, ob das vielleicht nicht nur richtig ist.

Info: Im Kino Lido 2, Biel. Nur 18 Uhr.

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Raphael Amstutz **** (von 5 Sternen)

Stichwörter: Filmkritik

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