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Filmkritik

"Bille": Der Jazz-Ikone ein Denkmal gesetzt

James Erskines Werk über das Leben von Billie Holiday ist weit mehr als ein guter Musikfilm. Der Kampf der Sängerin gegen Rassismus und gesellschaftliche Konventionen ist aktueller denn je.

Bille Holiday: Faszinierende und vielschichtige Persönlichkeit. 

von Beat Felber

«Wenn wir auf Tour waren, habe ich mir im Restaurant immer einen Extra-Burger bestellt, den ich mitnehmen konnte. Ich wusste nicht, wann es das nächste Mal was zu essen gab. Die weissen Kellner bedienten keine Schwarzen», erzählte Billie Holiday (1915-1959) einmal einer Freundin. Aus ärmlichsten Verhältnissen stammend, tritt Eleanora Fagan, wie sie bei Geburt hiess, bereits als 14-Jährige unter ihrem Künstlername Billie Holiday auf.

Rasch wird die Jazz-Sängerin durch ihre intensive Bühnenpräsenz bekannt. Weltberühmt wird sie dann 1939 als 24-Jährige, als sie im Café Society in New York den Song «Strange Fruit» singt und daraufhin das weisse Publikum den Saal protestierend verlässt. Das von Abel Meeropol komponierte und getextete Lied prangert unmissverständlich die Lynchmorde in den Südstaaten der USA an: «Die Bäume des Südens tragen seltsame Früchte / Blut auf ihren Blättern / Blut an ihren Wurzeln / Schwarze Körper schwingen im Wind des Südens / Seltsame Früchte baumeln an den Pappeln.»

Das Lied spielte bereits im Film «The United States vs. Billie Holiday» von Regisseur Lee Daniels mit Andra Day als Billie Holiday eine bestimmende Rolle. Der Film lief diesen Frühling in den Bieler Kinos. Diese Geschichte beschränkte sich jedoch auf die letzten Jahre der Sängerin und ihren tragischen Konflikt mit den US-Behörden.

Der britische Regisseur und Drehbuchautor James Erskine («Battle of The Sexes») erzählt nun in seinem Dokumentarfilm «Billie», ausgehend von der Geschichte von «Strange Fruit», das ganze Leben von Billie Holiday: Herausgekommen ist ein erschreckendes Zeugnis der Verhältnisse in den USA, als die schwarze Bevölkerung unverhohlen offen diskriminiert und unterdrückt wird.

Es ist die Zeit, als getrennte Hotels und Restaurants für Schwarze und Weisse noch selbstverständlich sind. Es ist aber auch die Zeit, als sich immer mehr Widerstand gegen Rassendiskriminierung regt und Billie Holiday zum Symbol für die schwarze Emanzipationsbewegung wird. Holiday ist die erste schwarze Frau, die mit einem weissen Orchester tourt. Sie bricht die Tournee ab, weil sie in den Südstaaten regelmässig rassistisch bedroht, schikaniert und beleidigt wird.

Erskine hatte für sein Werk Zugang zu bisher unveröffentlichten Tonbandaufnahmen der Journalistin Linda Lipnack Kuehl. Diese begann in den späten 60er-Jahren Interviews für eine geplante Biografie überHoliday zu führen. Sie sprach mit Musik- und Jazzgrössen wie Charles Mingus und Count Basie, mit Freunden wie Sylvia Syms und Tony Bennet, ihrem Cousin, mit Mitmusikern wie Gitarrist John Simmons, Pianist Jimmy Rowles oder Drummer Roy Harte sowie mit einem FBI-Agenten, der Billie Holiday einst verhaftete.

Weil Kuehl jedoch in den 70er-Jahren unter ungeklärten Umständen verstarb, erschien auch die geplante Biografie nie. Erst nach über 40 Jahren wurden ihre Kassetten und Tonbänder – sie umfassen über 200 Stunden Aufnahmen – wiederentdeckt und gelangten in den vergangenen Jahren über verschlungene Wege zu Erskine. Dieser durfte sie als Erster auswerten.

In «Billie» veröffentlicht er einen Teil davon zusammen mit aufwändig restauriertem und koloriertem Archivmaterial von Bühnenauftritten und fügt diese zu einem verstörenden, mitreissenden, sinnlichen und spannenden Dokumentarfilm zusammen.

Dabei entsteht das Bild einer ebenso faszinierenden wie tragischen, extremen und vielschichtigen Persönlichkeit, deren Leben von grandiosen Auftritten, zerstörerischen Drogenexzessen, kraftvoller Rebellion, von Auseinandersetzungen mit den Behörden, ihrem Kampf gegen Rassismus, der Zeit im Gefängnis sowie von hemmungslos geführten Beziehungen zu Frauen und Männern gekennzeichnet war.

Und doch: Bei aller Deutlichkeit und Authentizität des Films lässt sich nur erahnen, mit welchen Schwierigkeiten und mit welchem Hass während ihrer leider viel zu kurzen Karriere Billie Holiday konfrontiert war, mit welch unwiderstehlicher Kraft sie sich gegen Rassismus auflehnte und schliesslich auch daran zerbrach. 1959 stirbt «Lady Day», so ihr Spitzname, verarmt, umgeben von Polizisten, die sie wegen Drogenbesitzes verhaften wollten, gerade mal 44-jährig in einem New Yorker Spital, in das sie wegen einer Leberzirrhose eingeliefert wurde.

«Billie» gelingt es, Billie Holiday ein ungeschöntes, würdiges, sinnliches und künstlerisches Denkmal zu setzen. Und ja, ihre Stimme: Sie war und ist auch heute noch magisch, vereinnahmend, traurig und fesselnd zugleich.

Info: Im Kino Rex 1, Biel. Nur 12.15 Uhr, Lunchkino. Ab 9. September im Normalprogramm.

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Beat Felber **** (von 5 Sternen)
Stefan Rohrbach *** (von 5 Sternen)
Mario Schnell *** (von 5 Sternen)
Simon Dick *** (von 5 Sternen)

 

Stichwörter: Filmkritik

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