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Filmkritik

"Cry Macho": Ein Roadtrip ohne Geschwindigkeit

Hollywood-Legende Clint Eastwood hat noch lange nicht genug und präsentiert mit 91 Jahren sein neues Drama, das zähflüssig daherkommt und dennoch fasziniert. Ob das nun wirklich sein allerletzter Film ist?

Eine lebende Legende: Clint Eastwood gab sein Filmdebüt vor über 60 (!)Jahren. Er holte bislang fünf Oscars und sieben Golden Globes.

von Simon Dick

Der gebürtige Kalifornier mit dem stechenden Blick hat dem Italo-Western in unzähligen Werken ein Gesicht gegeben, sorgte als bissiger Cop in «Dirty Harry» für Furore und schrieb mit «Million Dollar Baby» oder «Gran Torino» Filmgeschichte. Die Liste an Filmen, die er drehte, produzierte und bei denen er vor der Kamera stand, ist lang und wird immer noch länger. Denn auch mit 91 Jahren hat Clint Eastwood noch nicht genug und präsentiert nun ein weiteres Werk für seine Filmografie.

Eastwood nahm für «Cry Macho» nicht nur auf dem Regiestuhl Platz und fungierte gleichzeitig als Produzent, sondern schlüpfte auch noch in die Hauptrolle: Mike Milo ist ein ehemaliger Rodeo-Star, dessen Karriere schon lange, lange vorbei ist und der sich nun der Pferdezucht widmet, um seinem Lebensabend einen Sinn zu geben. Für einen früheren Arbeitgeber soll Mike einen Kurztrip nach Mexiko machen, um dort dessen Sohn bei der Mutter abzuholen. Weil der Junge angeblich misshandelt wird, willigt Mike ein, die Reise auf sich zu nehmen, um Vater und Sohn wieder zu vereinen und dem Teenager vor allem ein sicheres Umfeld zu bieten.

Als Mike und Rafo (Eduardo Minett) zum ersten Mal aufeinandertreffen, kommt es zu den üblichen Sticheleien zwischen den Generationen. Es folgen bissige Sprüche und andere Nettigkeiten. Doch schnell wird den beiden unterschiedlichen Menschen klar, dass sie sich zusammenraufen müssen, um den Heimweg zu schaffen. Denn die Mutter von Rafo möchte nicht, dass ihr Eigentum aus Fleisch und Blut einfach so davon kommt und nach Nordamerika gelangt.

Es folgt ein Roadtrip mit einem alten Mann, einem Teenager und einem Hahn, der die beiden seit dem ersten Aufeinandertreffen begleitet, dem ungleichen Paar nicht mehr von der Seite weicht und hie und da als humoristische Einlage und Eisbrecher dient. Gemeinsam tuckern sie mit einer alten Karre durch wilde, raue Landschaften, philosophieren über das Leben, graben in der Vergangenheit der Figuren herum und knüpfen ein Freundschaftsband.

«Cry Macho» ist langatmig und zäh, so als ob sich das hohe Alter von Eastwood über den Film ergossen hätte. Sirupartig entwickelt sich die Geschichte, die Figuren ergeben sich der kaum vorhandenen Geschwindigkeit und auch die Kamera mag sich kaum bewegen. Nein, viel passiert hier nicht und einschneidende Ereignisse, die Auswirkungen auf den Verlauf des Dramas nehmen, können an einer Hand abgezählt werden.

Und auch wenn der Film zuweilen in der Langeweile zu ertrinken droht, kreiert er einen Sog, dem sich die Zuschauenden nicht entziehen können. Die Hauptverantwortung dafür trägt Eastwood selber, der wie ein Fels in der Brandung im Mittelpunkt steht und alle Blicke auf sich zieht. Auch wenn man ihm langsam, aber sicher seine 91 Jahre anmerkt, besitzt er immer noch eine unglaubliche Leinwandpräsenz.

Seine Bewegungen, seine Mimik und Gestik sind langsamer geworden, aber immer noch voller Intensität. Wie er da unter dem freien Sternenhimmel liegt und mit seinem Cowboy-Hut in bester Western-Manier versucht, ein Schläfchen zu halten, ist nicht nur ein Bild voller Symbolik, sondern auch eine Referenz an ihn selber und seine immense Schaffenskunst mit den ikonischen Filmfiguren, die wir alle kennen.

«Cry Macho» basiert auf dem gleichnamigen Roman von N. Richard Nash, der eigentlich ursprünglich ein Drehbuch war und schon vor Jahrzehnten hätte verfilmt werden sollen, nun aber erst, in die Hände von Eastwood, sein Glück fand. Denn die Ende der 70er-Jahre angesiedelte Geschichte mit einem alten Herrn, der mit der nordamerikanischen Kultur stark verwurzelt ist und aus dem Sinnieren nicht mehr herauskommt, passt zur Hollywood-Legende. Da schliesst sich quasi ein Kreis und der im Jahr 2000 verstorbene Schriftsteller hätte keinen besseren Kunstschaffenden finden können, um sein Werk endlich auf die grosse Leinwand zu bringen.

Während des Kinobesuchs schwebt immer wieder die eine Frage im Raum: Ist das nun endgültig der letzte Film mit Clint Eastwood? Auch wenn die Intensität seiner Bewegungen von Jahr zu Jahr abnimmt, besitzt er weiterhin diese immense Ausstrahlung. Ein Blick von ihm oder ein einzelner murmelnder Satz reichen aus und sofort ist man gebannt und harrt den Dingen und Worten, die da noch kommen mögen. Eastwood auf der grossen Leinwand ist und bleibt einfach ein Ereignis.

Ja, Dirty Harry ist alt geworden, doch sein Feuer brennt immer noch und seine Leidenschaft für die Filmwelt scheint ungebrochen. Solange diese Liebe zur Kunst vorhanden ist, solange wird er auch noch Filme drehen, produzieren und auch vor der Kamera agieren. Auch wenn sein Körper langsam aber sicher nicht mehr alles mitmacht, sein kreativer Geist ist immer noch da. «Cry Macho» ist der Beweis dafür.

Info: Im Kino Rex 1, Biel. Nur 12.15 Uhr

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Simon Dick *** (von 5 Sternen)
Mario Schnell *** (von 5 Sternen)
Stefan Rohrbach *** (von 5 Sternen)
Raphael Amstutz ** (von 5 Sternen)

 

Stichwörter: Filmkritik

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