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Filmkritik

"The French Dispatch": Nachruf auf ein Lokalblatt

Wes Andersons Huldigung an den Zeitungsjournalismus ist ein Muss und eine Freude für seine Verehrer. In seiner Fülle an Informationen geriet das Werk aber leider etwas gar geschwätzig.

Kauzig wie immer: Bill Murray spielt diesmal einen Zeitungsverleger, der sein eigenes Produkt einstellt.

von Roger Duft

Dass man einen Film von Wes Anderson bereits an der allerersten Einstellung unverkennbar seinem Macher zuordnen kann, ist kein Geheimnis mehr. Farbgebung, Bildaufbau, die Gestaltung der Kulissen – alles schreit einem regelrecht entgegen, in wessen Werk man hier sitzt.

Andersons unverwechselbare Art, Dinge zu filmen und zu arrangieren, inspirierte Buchautor Wally Koval letztes Jahr zur Veröffentlichung seines Bildbands «Accidentally Wes Anderson», in dem auf über 350 Seiten Orte auf der Welt gezeigt werden, die direkt aus einem Wes-Anderson-Film entsprungen sein könnten. Auch die Niesenbahn hat es da rein geschafft, und das Hotel Belvédère auf dem Furkapass ziert sogar die Titelseite.

Fast schon literarisch geht es auch in Andersons neuestem Film zu und her. «The French Dispatch» handelt von Arthur Howitzer, Jr. (Bill Murray), ein aus Kansas ausgewanderter Zeitungsverleger, der in der fiktionalen französischen Kleinstadt Ennui-sur-Blasé einen örtlichen Ableger seiner US-Zeitung «Liberty, Kansas Evening Sun» herausgibt. Als Arthur stirbt, bedeutet dies das abrupte Ende seines Mediums, da er testamentarisch verfügte, dass mit seinem Nachruf zugleich die letzte Ausgabe des «French Dispatch» erscheinen soll.

Und so werden auf diesen letzten Seiten neben einer Einführung und einem Epilog drei Geschichten von beim «Dispatch» tätigen Journalisten erzählt. Da geht es dann beispielsweise um einen wegen Doppelmordes verurteilten Maler (Benicio del Toro), der aus dem Gefängnis heraus die Kunstwelt auf den Kopf stellt. Man bekommt da unter anderem eine kurze Kostprobe, wie ein Action-Film von Wes Anderson aussehen könnte. Es wird aber auch die Geschichte eines Studenten (Timothée Chalamet) erzählt, der sich an seinem Manifest für eine Protest-Bewegung die Zähne ausbeisst. Und zu guter Letzt gibt es einen richtigen Krimi um den entführten Sohn eines Polizei-Wachtmeisters, der für die Befreiung niemand geringeren als seinen Koch losschickt.

Diese Prämisse und ihr stellenweise irrwitziges, manchmal melancholisches, aber auch dialoglastiges Potpourri an schrägen Situationen und Charakteren bieten Anderson ein schier unerschöpfliches Tummelfeld für seine skurrilen Einfälle, seinen staubtrockenen Humor und seine farbenfrohen Stillleben von Filmsets, die hier allerdings nicht selten schwarz-weiss bleiben.

Dies mag befremdlich anmuten, aber Anderson hat noch genug filmische Eigenheiten auf Lager, um auch diesen Szenen seinen unvergleichlichen Stempel aufzudrücken. Viele stehende Kamera-Einstellungen oder statische Bewegungen ähneln dem Blick auf eine Theaterbühne oder wecken Erinnerungen an die Stummfilmzeit.

«The French Dispatch» muss mit seiner Bildsprache und der eigenwilligen Erzählweise, mit der Anderson an den Stoff herangeht, nichts mehr beweisen. Wer seine Filme mag, den hat Anderson spätestens nach der herrlichen «Kurzmeldung» zu Beginn gänzlich auf seiner Seite.

Und so darf dann Benicio del Toro als Maler die splitternackte Léa Seydoux im wahrsten Sinne des Wortes bauch-pinseln, Bill Murray als Zeitungsmogul Arthur die Journalisten loben und den Rest des Personals wie Dreck behandeln, oder Owen Wilson mit dem Fahrrad … nein, diese Szene muss man einfach ganz ohne Vorwissen sehen.

Die erste Hälfte des Films funktioniert, dank dem Wort- und Bildwitz und trotz seiner enormen Geschwätzigkeit sehr gut. Im weiteren Verlauf wirkt der dauernde Wortschwall aber etwas ermüdend. Ein paar verschnörkelte, überladene Phrasen weniger hätten sicher nicht geschadet. Aber seine Verehrer wird Wes Anderson auch mit diesem Werk sicher nicht enttäuschen. Entweder liebt man seine Filme, oder man geht besser gleich zu James Bond.

Info: In Kinos Lido 2 und Rex 2, Biel.

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Simon Dick **** (von 5 Sternen)


 

Stichwörter: Filmkritik

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