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Filmkritik

"Gaza mon amour": Der alte Mann und die Liebe

Kleines feines Kino aus Palästina: Lieben und Leiden im Herbst des Lebens, einfühlsam erzählt. Das Festivalpublikum in Venedig und Toronto war zurecht begeistert.

Unbeholfene Galanterie mit nobler Geste: Issa (Salim Dau) umwirbt seine heimlich Angebetete Siham (Hiam Abbass) mit einem Schirm. Heute profaner Schutz vor Wettereinflüssen, einst der Baldachin für eine Königin. 

von Sven Weber

Wird der alte Fischer Issa mit der arabischen Anrede Abu (Vater von ...) angesprochen, so verneint er höflich: Nein, entgegen gängiger Annahme sei er keines Kindes Vater. Denn er ist zeitlebens Junggeselle geblieben. Nacht für Nacht fischt er mit seinem kleinen Boot vor dem schmalen Küstenstreifen von Gaza. Seinen Fang verkauft er tagsüber im Marktviertel und kommt so einigermassen über die Runden. Er lebt zurückgezogen und hat sich mit den schwierigen Verhältnissen in den besetzten Gebieten arrangiert.

Eine Passion jedoch bereichert sein bescheidenes Leben: Er schwärmt für die Schneiderin Siham, die in seinem Quartier ein kleines Damen-Bekleidungsgeschäft führt. Schüchtern, unbeholfen und geradezu rührend versucht er – wider des herrschenden strengen Moralkodexes – so zufällig wie möglich mit ihr in Kontakt zu treten. Mit eher mässigem Erfolg: Sie reagiert darauf verunsichert bis abweisend. Seit Langem verwitwet, hadert sie mit ihrem Los, streitet sich oft mit ihrer bereits geschiedenen Tochter und kämpft mit finanziellen Sorgen.

Doch der alte Fischer lässt nicht locker, trotz aller Widrigkeiten, und es kommen laufend neue dazu: Ein ungewöhnlicher Beifang in seinem Fischernetz, mutmasslich antiker Herkunft und mit pikantem Detail, bringt ihn zwar in die Bredouille, ist für ihn aber auch göttliche Bestätigung. Wenn auch für den tiefgläubigen Muslim von zweifelhaft heidnischem Ursprung. Aber wie heisst es so schön: Venus selbst hilft den Kühnen.
Die herausragende Qualität von «Gaza mon amour» ist die zur Perfektion getriebene Beiläufigkeit der filmischen Erzählung. Genauso zufällig, wie Issa immer wieder scheinbar en passant auf Siham trifft – aber sehr viel geschickter angelegt. Indem wir am Alltag der zwei Schicksale teilhaben, erschliessen sich parallel zum gemächlichen Gang der Ereignisse bruchstückhaft Biografie, Leben, Frust und Hoffnungen der beiden – die, Inschallah, so Gott will, und dank der Beharrlichkeit von Issa, bald zusammengeführt werden sollen. Man schaut den beiden mit einem gewissen cineastischen Voyeurismus zu, fühlt sich aber nie als Eindringling. Es wirkt fast, als erlaubten die beiden, dass wir daran teilhaben dürfen.

Was in einem westlichen Kontext wohl auf eine zärtlich-tragische Liebesgeschichte hinauslaufen würde, verlässt hier zwangsläufig den privaten Rahmen. Palästinensisches Kino kann per se nicht unpolitisch sein, egal welche Haltung zum Nahostkonflikt eingenommen wird: Besatzung, Vertreibung und Unterdrückung, aber auch Widerstand und Hoffnung prägen das Leben der einfachen Bevölkerung. Simple Lebensbeschriebe können nicht gezeigt werden, ohne die schwierigen Bedingungen in den Flüchtlingslagern aufzuzeigen: regelmässige Stromausfälle, steigende Preise und sinkende Löhne, strenges Regime durch die regierende Hamas-Organisation, Willkür und Schikane durch die palästinensischen Sicherheitsorgane. Und, damit nicht genug, die stete Bedrohung durch die Besatzungsmacht Israel.

Alle scheinen auf ihre Weise resigniert. Die ältere Generation übt sich in religiös motiviertem Fatalismus – «Gott wird es richten». Die Jungen haben die Schnauze voll und suchen nach jeder Gelegenheit, abzuhauen und auszuwandern. Wenn die Tochter beiläufig nach ihrem Pass fragt, wird die Mutter aus gutem Grund unruhig.

Nicht von ungefähr leben auch die beiden Brüder Arab und Tarzan Nasser, die für Drehbuch, Regie und Ausstattung verantwortlich zeichnen, seit längerer Zeit im Exil. Diese Biografie teilen die beiden Filmemacher mit ihren Darstellern, Salim Dau (Issa) und Hiam Abbass (Siham), die zu den bekanntesten und erfolgreichsten arabisch-israelischen Schauspielern ihrer Generation gezählt werden.

Trotz der melancholischen Grundstimmung, die sich aus Sinnlosigkeit, Dunkelheit und viel Regen ergibt, gibt es für alle Beteiligten immer wieder kleine Momente des Glücks. Am Schluss wird sogar ausgiebig gelacht. Wie die Geschichte ausgeht, bleibt wunderbar offen. Vieles bleibt verborgen, alles scheint möglich. Ma’as Salama, auf Wiedersehen, lebt wohl und in Frieden!

Info: Im Kino Rex 1, Biel. Nur 12.15 Uhr (Lunchkino).

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Sven Weber **** (von 5 Sternen)

Stichwörter: Filmkritik

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