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Filmkritik

"The Green Knight": Düstere Ritterspiele

Die Neuinterpretation des Stoffes aus dem Artus-Sagenkreis ist faszinierendes Kino für alle Sinne, bei dem nicht nur der Protagonist seinen Kopf zu verlieren droht.

Sieht konventionell aus, ist es aber nicht: Dev Patel in "The Green Knight".

von Dominic Schmid

Der Schlag sitzt: der Kopf des Grünen Ritters rollt davon. Doch das Spiel ist noch nicht zu Ende. Kopflos steht die furchterregende, baumähnliche Gestalt wieder auf, sammelt ihren Kopf ein und verkündet in düsterer Stimme durch den Mund der Königin: in einem Jahr solle derjenige, der den Schlag ausgeführt hatte, sich zur grünen Kappelle begeben, um einen gleichen Schlag zu erhalten. Derjenige ist Gawain (Dev Patel), Neffe des Sagenkönigs Artus und Protagonist von David Lowerys «The Green Knight», einem der wohl mysteriösesten aber auch visuell bemerkenswertesten Filme, die in diesem Jahr im Kino zu sehen sind.

Im Gegensatz zu den anderen Rittern der Tafelrunde kann Gawain auf die Bitte seines Onkels noch mit keinen erbaulichen Heldengeschichten auftrumpfen, verbringt er seine Zeit doch lieber mit Alkohol oder im Bordell – gewiss aber nicht in der Kirche oder auf ritterlicher Wanderschaft. Aber da Mut, Überkompensation und Dummheit näher beieinander liegen als man zu glauben meint, ist er es, der sich in Anwesenheit der versammelten Ritterschaft Camelots auf das «Enthauptungsspiel» des Grünen Ritters einlässt und sich im Jahr darauf nicht ganz furchtlos auf eine ereignisreiche Reise machen muss, an deren Ende die Axt des Grünen Ritters auf seinen Kopf wartet.

Die mittelalterliche Welt, die Regisseur David Lowery in «The Green Knight» entwirft, ist eine in mehrfacher Hinsicht vorgeschichtliche, die eher der Wahrnehmung eines zeitgenössischen Betrachters entspricht als unserem historisch verklärten Blick auf die ferne Vergangenheit. Figuren, Landschaften wie auch der Ablauf der Zeit folgen daher gänzlich anderen Mustern, als man es sich vom historischen Erzählkino oder aber von Serien wie «Game of Thrones» gewohnt ist. Wir befinden uns im Reich der Legenden (der Stoff basiert auf einer mittelalterlichen Handschrift, Verfasser unbekannt), der frühchristlichen Allegorie, wild durchmischt mit mittelalterlichem Mystizismus, heidnischer Symbolik und sprechenden Füchsen. Einfach macht es Lowery seinem Publikum jedenfalls nicht – vor allem nicht jenem, das aufgrund des mehrdeutigen Marketings ein actionreiches Fantasyspektakel erwartet.

Davon ist «The Green Knight» so ziemlich das Gegenteil. Grosse Schlachten, pompöse Musik und einladende Landschaften sucht man vergeblich. Stattdessen dominieren rätselhafte Begegnungen mit undurchsichtigen oder verführerischen Gestalten, hypnotisch-melancholische Drone-Klänge (Musik: Daniel Hart), düstere Wälder, sinnesüberwältigend eingefangen von Kameramann Andrew Droz Palermo. Der Protagonist Gawain wird von Dev Patel («Slumdog Millionaire», «David Copperfield») vielschichtig als introvertierter aber arroganter, ängstlicher aber herzensguter Sinnsuchender gespielt. Ein Sinn aber, der sich ihm wie auch dem Zuschauer bis zum Schluss immer wieder zu entziehen scheint, was allerdings nicht ein Manko des Films ist, sondern gerade dessen Qualität, Tiefe und Vielschichtigkeit ausmacht.

Der Effekt, der sich aus dem Zusammenspiel von teilweise fast unangenehmer Langsamkeit und psychedelischer Inszenierung ergibt, ist in seiner Wirkung im zeitgenössischen Hollywoodkino wohl einzigartig. Lowery, dem bereits 2017 mit dem unterschätzten «A Ghost Story» eine bewegende Meditation über Zeit und Sterblichkeit gelungen ist, festigt mit «The Green Night» seinen Status als wandelbarer Filmphilosoph, neben dem die bombastischen Zeitspielereien eines Christopher Nolan geradezu platt wirken, weil ihnen die emotionale Tiefe fehlt. Will man «The Green Knight» filmgeschichtlich unbedingt irgendwo verorten, so wäre dies schon eher in der Nähe von Alejandro Jodorowskys esoterisch-verrücktem «La Montaña sagrada» (1973). Dabei muss aber auch gesagt sein, dass gerade was den Erzählfluss betrifft, Lowery durchaus den einen oder anderen Schritt auf sein Publikum hinzu hätte wagen dürfen. Trotzdem sollten alle, die im Kino wieder einmal etwas wirklich Neues sehen möchten, sich auf das Abenteuer einlassen. Mehr als den Kopf gibt es nicht zu verlieren.

Info: In den Kinos Lido 1 und Bluecinema, Biel.

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Dominic Schmid **** (von 5 Sternen)

Stichwörter: Filmkritik

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