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Filmkritik

"Hillbilly Elegy": Laut statt stark

In den USA ist die Geschichte rund um eine weisse Arbeiterschicht-Familie als Erklärung für den Trumpismus gefeiert worden. Nun ist die Buchverfilmung da. Glenn Close überragt dabei alle. Als Ganzes kann das Werk aber nicht überzeugen.

Die Grossmutter, grossartig gespielt von Glenn Close, gibt J.D. (Owen Asztalos)und seiner Schwester Halt in diesem verwirrenden und leidvollen Alltag.

von Beat Felber

Im Osten Nordamerikas zieht sich vom kanadischen Neufundland bis hinunter in den US-Bundesstaat Alabama der Gebirgszug der Appalachen. Dessen Herzstück befindet sich in den Blue Ridge Mountains der US-Staaten Ohio, Kentucky, Tennessee und North Carolina, wo auch der mit 2037 Meter über Meer höchste Gipfel der Blauen Berge liegt.

Genau dort spielt «Hillbilly Elegy», der neue Film des Regisseurs und Oscar-Gewinners Ron Howard («The Da Vinci Code», Oscars für «A Beautiful Mind»).

Es ist die Verfilmung des gleichnamigen Buchs von J.D. Vance, das 2016 in den Vereinigten Staaten erschienen ist. Dieses wird seitdem immer wieder herangezogen, wenn es um die Frage geht, warum ausgerechnet die weisse amerikanische Unterschicht 2017 den Wahlsieg von Donald Trump ermöglicht hat.

Denn aus dieser oft als White Trash bezeichneten Unterschicht stammt auch Vance selber. Seine Familie, ursprünglich in Kentucky daheim, zog es auf der Suche nach Arbeit nach Ohio in die damals grösste Industrieregion der USA, den sogenannten «Manufacturing Belt», aus dem nach den Krisenjahren der berühmte «Rust Belt» (Rostgürtel) wurde.

Es ist die Geschichte einer Arbeiterfamilie, wie es sie in den 60er-Jahren in dieser Gegend zu Tausenden gegeben hat. Von bescheidener Herkunft, baut sich die Familie von J.D. Vance ein ordentliches Leben auf. Dieses ist geprägt von harter und schlecht bezahlter Arbeit – in einem Kohlekraftwerk oder in der Automobil- und Waffenindustrie, – von Armut, sozialen Problemen, Alkohol und harten Drogen.

James Donald – kurz J.D. – und seine ältere Schwester Lindsay wachsen bei der ebenso labilen wie cholerischen Mutter und ihrer Grossmutter (Mamaw) auf. Die Mutter hält den bedrückend tristen Alltag einzig mit ständig wechselnden und von Gewalt geprägten Liebesbeziehungen und Substanzmissbrauch aus. Für die beiden Kinder ist die Grossmuter die einzige Person, die ihnen eine gewisse Stabilität, Verlässlichkeit und Halt bietet.

Diese ist es auch, die mit ihrer pragmatischen, harten und bedingungslosen Art den Lebensweg von J.D. beeinflusst. J.D. verinnerlicht sozusagen ihre Hartnäckigkeit und setzt sie erfolgreich in seinem Leben um: Zuerst stösst er sich bei den Marines seine Hörner ab, später setzt er sich gegen geschniegelte Millionärssöhnchen beim Jura-Studium an der renommierten Yale-Universität durch, heute arbeitet er als erfolgreicher Finanzmanager.

In den USA werden Hinterwäldler Hillbillys genannt, und eine Elegie zeichnet sich durch Trostlosigkeit aus. Dementsprechend ausweglos und melancholisch startet Ron Howard seinen Film. Um die Spannung aufrecht zu erhalten, erzählt er die Geschichte auf zwei Ebenen: zum einen mit Owen Asztalos als junger J.D. – zum anderen mit Gabriel Basso als erwachsener J.D..

Howard springt zwischen diesen beiden Ebenen munter hin und her, was durchaus seinen Reiz entfaltet. Zur Seite stehen J.D. drei Frauen, die ihn quasi zeitlos durch sein Leben begleiten: Seine Schwester Lindsay (Haley Bennett), seine Mutter (Amy Adams) und seine Grossmutter (Glenn Close). Close überragt dabei alle und interpretiert ihre Rolle schlicht fantastisch: eine wahre Freude, ihr als immer fluchender und kettenrauchender Quälgeist zuzuschauen, die nie um einen trockenen Kommentar verlegen ist und immer da, wenn es in der Familie wieder einmal ausartet. Sei es, weil die Polizei ihrer Tochter die Kinder wegnehmen will, sei es, weil sich ihr Enkel bei den Nachbarjungs betrinkt und bekifft. Dass Close auch mit ihrem Aussehen der echten Mamaw nahekommt, erfährt, wer den Abspann des Films bis zuletzt schaut.

Howard inszeniert seine Buchverfilmung ansehnlich und abwechslungsreich, bleibt jedoch an der Oberfläche hängen. Schade, denn das Thema hätte sehr viel mehr hergegeben und auch verdient (wie sehr der Film die BT-Kritiker entzweit, zeigt die Sternchenrubrik am Ende des Textes).

Warum nur sind da so wenig Zwischentöne zu hören und zu sehen? Warum nur kommt er so laut und mächtig daher statt leise und berührend? Warum nur empfindet man die Eigenheiten der Menschen aus den Appalachen als so oberflächlich und unglaubwürdig gezeichnet?

Es ist eine verpasste Chance. Howard vergisst oder weigert sich schlicht und einfach, die Geschichte einzubetten – in das soziale Umfeld, in den Untergang des «Manufacturing Belt», in die damaligen politischen Verhältnisse und die gesellschaftlichen Veränderungen, in J.D.s Familiengeschichte. 

All dies hätte dem Film mit seiner tatsächlich filmreifen autobiografischen Geschichte mehr Tiefe und Wahrhaftigkeit verliehen. Stattdessen wirkt die Geschichte oft willkürlich und zufällig, es fehlt ihr an einem eigenständigen Rhythmus und sie hangelt sich von einem Klischee zum nächsten: Hier die Tellerwäscherkarriere, da der umsorgende, clevere Vorzeigesohn, hier die überforderte Alleinerziehende, dort das Mantra «Alles ist möglich, wenn du nur willst».

Info: «Hillbilly Elegy» ist auf Netflix zu sehen.

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Stefan Rohrbach **** (von 5 Sternen)
Simon Dick **** (von 5 Sternen)
Mario Schnell *** (von 5 Sternen)

Raphael Amstutz *** (von 5 Sternen)
Beat Felber ** (von 5 Sternen)
Roger Duft ** (von 5 Sternen)

 

Stichwörter: Filmkritik, Heimkino

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