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"La Révolution": Die Guillotine ist der beste Arzt

Die Französische Revolution neu interpretiert: nicht eine unfähige Monarchie und hungernde Bauern sind an deren Ursprung gestanden, sondern eine Seuche, welche die Adligen zu blutrünstigen Monstern macht.

Könnte es nicht auch so gewesen sein? «La Révolution» bietet einen anderen Blick auf die Französische Revolution. 

von Dominic Schmid

Aus der Brust des Adligen spritzt blaues Blut. Ein vermummtes Mädchen hat mit einer Steinschlosspistole mehrmals auf ihn geschossen. Aus dem Halfter am Sattel ihres blutbefleckten Pferdes zückt sie jetzt eine Machete und schneidet dem Mann den Kopf ab. Ein weiterer Schwall von Blut färbt den Schnee blau. Etwas rechts liegt ein weiterer Toter, dessen Blut rot. Aus der Vogelperspektive sehen wir diese pervertierte französische Flagge in ihrer ganzen Pracht, während das Mädchen aus dem Off zu uns spricht: dass die Geschichtsschreibung eine Lüge sei, auf die man sich geeinigt habe, und dass diese zudem immer wieder neu geschrieben werde. Die Revolution hätte sich also auch so zugetragen haben können, wie es im Folgenden erzählt wird.

Es bleibt bis zum Ende der ersten Staffel von «La Révolution» unklar, ob diese Idee so blöd ist, dass sie schon fast wieder genial wird – oder einfach nur blöd. Das Konzept, das hinter der Erzählung liegt, greift die Metapher vom blauen Blut der Adeligen auf, und gestaltet sie, nachdem sie diese wörtlich genommen hat, wieder zur Metapher um – nur wofür?

Die Antwort bleibt uns «La Révolution» vorerst noch schuldig. Jedenfalls befinden wir uns im Jahr 1787, zwei Jahre vor dem Sturm auf die Bastille. Eine seltsame Krankheit hat die Adeligen befallen. Deren Symptome: schärfere Sinne, mehr Körperkraft, Hunger auf Menschenfleisch und – genau – blaues Blut. Das Verhalten des zweiten Standes im Ancien Régime ist hier also nicht von zynischer Privilegienbewahrung motiviert, sondern von einem aus Amerika eingeschleppten (!) hochansteckenden Virus, der die gegenüber dem gemeinen Volk bereits wenig zimperlich agierende Oberschicht zu einer etwas kruden Mischung aus Zombies und Vampiren transformiert.

Wie viel einfacher wäre in der Schule doch das Verständnis von diesem komplexesten aller frühneuzeitlichen Ereignisse gewesen: Die bösen Adligen wollten die armen Bauern buchstäblich fressen, bis sich diese halt gewehrt haben. Komplizierter würde es erst dann wieder, wenn verschiedene Akteure wie eine Geheimgesellschaft namens La fraternité, amerikanische Mystiker und eine grössenwahnsinnige Adelsfamilie ins Spiel gebracht werden, die auf undurchsichtige Weise alle mit der Seuche in Verbindung stehen.

Gegen die Ausbeutung auch von bedeutsamen historischen Ereignissen für das Genrekino ist – von gewissen Ausnahmen abgesehen – grundsätzlich einmal nichts einzuwenden. Serien wie «Vikings» oder «Black Sails» haben dies bereits anschaulich bewiesen, aber auch Filme wie «Marie Antoinette» (2006) oder «Le pacte des loups» (2001), der zu einer ähnlichen Zeit wie «La Révolution» spielen und auch sonst ästhetische und thematische Überschneidungen aufweisen.

Das Französische kennt für diese Überspitzung oder Umdeutung der Historie sogar das schöne Wort uchronie, was bei uns umständlich mit Alternativweltgeschichte übersetzt werden muss. Die Anreicherung der Historie mit phantastischen Elementen vermag es nicht selten, einen Blick auf Vorgänge zu legen, der Raum für neue Interpretationen öffnet. Ilias, Bibel und Artussage sind die klassischen Beispiele, aber auch bei «Game of Thrones» wird im Grunde – mit ein paar Drachen angereichert – schlüssig von europäischer Mittelalterpolitik erzählt. Und wenn es in Filmen wie «Abraham Lincoln: Vampire Hunter» (2012) oder «Pride and Prejudice and Zombies» (2016) beim lustigen Pastiche-Schabernack bleibt – wen kümmert es?

«La Révolution» befindet sich irgendwo dazwischen. Zumindest während der acht Folgen langen ersten Staffel, die vor dem Ausbruch der Revolution endet, schafft es die Serie leider kaum, aus der Zombiefizierung seiner Blaublüter irgendwelches interpretatorisches Kapital zu schlagen. Dafür bleiben das Drehbuch und die Figuren zu unterkomplex und klischeebeladen, und zu viele der realen gesellschaftlichen Zustände der vorrevolutionären Zeit werden ausgeklammert.

Gleichzeitig soll gesagt sein, dass «La Révolution» – wenn man sich auf die etwas stumpfe Grundidee einlassen mag und auch hinsichtlich Gewaltdarstellung nicht allzu empfindlich ist –ziemlich viel Spass machen kann. Inszenierung und vor allem Ausstattung und Kostüme sind makellos, wenn auch manchmal eine Spur überzogen.

Ähnliches gilt für die Schauspielerinnen und Schauspieler, wobei insbesondere die grosse Zahl von starken Frauenfiguren erwähnt werden darf, die in der Serie tragende Rollen spielen – auch dies wohl eher weniger der historischen Realität entsprechend.

Apropos Gewalt: obwohl sich schnell einmal herausstellt, dass die blaublütige Epidemie auf eine Verschwörung von ganz oben zurückzuführen ist, und dass die Infizierten, symbolisch prägnant und ganz im Sinne Robespierres, nur durch Enthauptung unschädlich gemacht werden können, rollen in der ersten Staffel noch überraschend wenig Köpfe. Sollte die Serie verlängert werden, kann man sich aber bereits auf einiges gefasst machen. Wohl nicht nur zufällig basiert eine der Hauptfiguren auf dem Arzt Joseph-Ignace Guillotin. Denn wie schon Georg Büchner wusste: Die Guillotine ist der beste Arzt.

Info: Die Serie gibt es bei Netflix.

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Dominic Schmid *** (von 5 Sternen)

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