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Filmkritik

"Licorice Pizza": Verwirrte Gefühle

Der neue Film von Paul Thomas Anderson kommt lockerer daher als seine Vorgänger und erzählt von Teenagern in den 70er-Jahren. Doch unter der Oberfläche lauern unzählige Interpretationsmöglichkeiten.

Was für ein Paar: Gary (Cooper Hoffman) und Alana (Alana Haim).

von Dominic Schmid

Man kann es nicht ein Problem nennen, aber eine Schwierigkeit ist es durchaus: Paul Thomas Anderson weigert sich konsequent, sein Publikum bei der Hand zu nehmen oder zumindest eindeutige Hinweise darauf zu streuen, worum es in seinen Filmen genau geht. In Kombination mit einem unvergleichlichen Detailreichtum bei der Zeichnung sowohl historischer Epochen als auch bei der Figurenpsychologie, ist das Gefühl, das Filme wie «There Will be Blood» oder «Phantom Thread» hinterlassen, eines der faszinierten Ratlosigkeit. Das gilt auch für «Licorice Pizza», der im Vergleich zu den erwähnten Werken immerhin eine gewisse Leichtigkeit aufweist, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass es sich dabei um eine – zumindest an der Oberfläche – einfache Coming-of-Age-Geschichte handelt. Und wie komplex kann eine solche schon sein?

Ziemlich komplex, wie man schnell erkennt. Denn Anderson begnügt sich natürlich nicht damit, bloss eine (wenn auch unkonventionelle) Liebesgeschichte zwischen einem Teenager (Cooper Hoffman) und einer 25-Jährigen (Alana Haim) zu erzählen, sondern lässt mittels grandioser Inszenierung, Ausstattung und zahlreicher exzentrischer Nebenfiguren eine ganze Epoche samt deren sexistischen und rassistischen Widersprüchen neu entstehen, ohne dabei seine präzis gezeichneten Hauptfiguren je aus den Augen zu verlieren. Jedenfalls vergehen die über zwei Stunden Filmzeit vor so viel Detailreichtum, Humor und hervorragender musikalischer Untermalung wie im Fluge. Am Ende reibt man sich die Augen, möchte den Film am Liebsten gleich noch einmal sehen. Auch weil einen wiedermal das diffuse Gefühl zu beschleichen beginnt, etwas Entscheidendes verpasst zu haben.

Also von Vorne: Gary Valentines an Grössenwahnsinn grenzende Selbstsicherheit passt nicht so ganz zu seinem Aussehen eines eher unterdurchschnittlich attraktiven, pickeligen Teenagers, was ihm aber ziemlich egal zu sein scheint. Von seinem Erfolg sowohl als Sitcomschauspieler als auch als Junggeschäftsmann mit untrüglichem Riecher für das nächste grosse Ding beflügelt, macht sich Gary daran, das Herz der 25-jährigen Alana zu erobern. Letztere, etwas skeptisch ob des Altersunterschieds, selbst aber etwas orientierungslos, lässt sich schnell in die zahllosen Pläne des Heisssporns verwickeln: Sie reist als Begleitperson mit dem minderjährigen Schauspieler nach New York und hilft ihm, die gerade populär werdenden Wasserbetten an den Mann zu bringen. Dabei begegnen die beiden einer Vielzahl an historisch inspirierten Figuren wie dem Schauspieler Jack Holden (Sean Penn) oder dem Produzenten Jon Peters, den Bradley Cooper  als sexistisches Scheusal irgendwo zwischen lächerlich und unheimlich spielt. Unterdessen setzt die Ölpreiskrise von 1973 ein und Flipperautomaten werden nach einem 30 Jahre währenden Verbot wieder legalisiert und wecken Garys Geschäftsinstinkt.

Von was handelt aber «Licorice Pizza» wirklich? Sollen wieder einmal die 70er-Jahren nostalgisch aufgelebt werden lassen? Oder sollen diese vielmehr entzaubert werden? Geht es um den Zusammenhang zwischen eigener Biografie und der Zeit, in der diese entsteht, oder im Gegenteil darum, dass bestimmte Charaktereigenschaften zeitlos sind – etwa dass Männer schon immer egoistische und sexistische Idioten waren? Vielleicht liegen die Antworten irgendwo im Film versteckt, werden aber erst durch mehrmaliges Hinschauen preisgegeben. Vielleicht sind sie auch je nach ZuschauerIn unterschiedlich. Oder handelt sich am Ende doch bloss um eine romantische Komödie mit historisch-nostalgischem Einschlag? Beim wahrscheinlich interessantesten amerikanischen Filmemacher der Gegenwart ist alles möglich.

Info: Im Kino Rex 1, Biel. Nur 12.15 Uhr
 
Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Dominic Schmid **** (von 5 Sternen)
Beat Felber *** (von 5 Sternen)



 

Stichwörter: Filmkritik

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