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Filmkritik

"No Time to Die": Ein Abgang mit Blut, Schweiss und Tränen

Nach langer Wartezeit kommen wir endlich in den Genuss, Daniel Craig bei seinem letzten Bond-Abenteuer zu begleiten. Das Warten hat sich dabei mehr als gelohnt. Doch diese eine letzte Mission benötigt ganz viele Nerven.

Daniel Craig hat die Figur des James Bond in den letzten 15 Jahren nicht nur gespielt und geprägt, sondern sie in entscheidender Weise weiterentwickelt. 

von Simon Dick

Wenn der Abspann im Kinosaal läuft, das Sinnieren beginnt und sich der Körper vor lauter Überwältigung vorerst nicht bewegen möchte, dann haben die Filmemachenden sehr viel richtig gemacht. «No Time to Die», das letzte James-Bond-Abenteuer mit Daniel Craig drückt einen in den Sessel und überschüttet einen mit Gefühlen, die nach dem Kinobesuch eingeordnet und verarbeitet werden wollen. Doch der Reihe nach.

James Bond (Daniel Craig) geht es bestens. Dem britischen Geheimdienst hat er den Rücken gekehrt. Mit seiner grossen Liebe Madeleine Swann (Léa Seydoux) geniesst er das Leben in den südlichen Breitengraden. Es knistert, es funkt und Kollege Kitsch begleitet die beiden während einer Zeit, in der die Geigen im Himmel in der Endlosschleife malträtiert werden. Ja, da haben sich zwei gefunden und das Brodeln der Liebe ist den beiden gegönnt. Doch die zwei Turteltauben besitzen eine etwas gar komplizierte Vergangenheit, die die zwei nun einholt und heftig durchschüttelt.

Wer die vier Vorgängerfilme noch im Gedächtnis hat, weiss, dass Bond schon einmal sein Herz verschenkt hat. Diese verlorene Liebe ist immer noch präsent und der Ex-Geheimagent ist sich bewusst, dass er jetzt definitiv loslassen muss, wenn er mit seiner neuen Partnerin auf rosa Wolken in die Zukunft gleiten möchte. Aber auch die engelsgleiche Madeleine besitzt eine schwierige Vergangenheit. Ihr Vater war einst ein wichtiges Mitglied der Verbrecherorganisation Spectre, die so gut wie alle globalen Gesellschaften unterwandert hat.

Auch wenn der Kopf dieser Gruppierung im letzten Film von James Bond höchstpersönlich abgeschlagen wurde, scheinen immer noch diverse Erben und Handlanger herumzugeistern und nach Vergeltung zu dürsten. So kommt es, dass die beiden direkt ins Schussfeld diverser Racheengel gelangen und mittels Desinformation das Vertrauen zwischen den Liebenden kompromisslos abgebrannt wird.

Parallel formiert sich im Hintergrund ein neuer Schurke (Rami Malek), der noch fiesere Pläne als Spectre schmiedet und den beiden Protagonisten näher ist, als man denkt. Es beginnen Irrungen und Wirrungen und eine globale Katastrophe bahnt sich an. Bond muss schliesslich reaktiviert werden, trifft dabei auf seine Geheimdienst-Nachfolgerin Nomi (Lashana Lynch) und das allerletzte Drama nimmt seinen Lauf.

Man möchte meinen, dass die obigen Zeilen bereits die gesamte Inhaltsangabe wiedergeben, doch sie sind nur der Ausgangspunkt einer fulminanten Reise, die immer wieder mit neuen Wendungen und unkonventionellen, Bond-untypischen Inhalten überrascht. «No Time to Die» ist kein simpler Agenten-Thriller geworden, der es sich im Bond-Universum gemütlich macht und sich bei den bekannten Merkmalen bedient. Nein, dieses eine letzte Kapitel wird mit Drama und Figurenzeichnung so sehr überschüttet, dass man sich stellenweise im falschen Film wähnt.

Der Überraschungsfaktor ist gross und gebannt starrt man auf die grosse Leinwand und harrt den Dingen, die da noch kommen mögen. Selbstverständlich werden auch die Bond-Puristen befriedigt. Es gibt rabiate, blutige Zweikämpfe, rasante Autoverfolgungsjagden vor atemberaubender Kulisse und den trockenen Humor, der gezielt eingesetzt wird, um abzulenken, dass wir hier einem Schlusskapitel beiwohnen dürfen, das konsequenter nicht sein könnte.

Dem Film darf durchaus angekreidet werden, dass die Grundstruktur der Geschichte etwas gar weit hergeholt ist, dass der Bösewicht zu wenig Zeit auf der Leinwand bekommt, dass die Vorgängerfilme für diesen einen letzten Genuss unbedingt vorher konsumiert werden sollten und Bond wieder einmal mehr Glück als Verstand hat. Doch Zweifel und Stirnrunzeln werden immer wieder und sofort mit einer grossen Portion Drama weggespült.

Für zusätzliche Ablenkung sorgt auch die technische Umsetzung. Die Filmsprache – jeder einzelne Schnitt und jede Kamerafahrt – ist wie aus einem Guss. Alles stimmt bis auf die kleinste Millisekunde und ständig dürfen wir den Ergüssen des Komponisten Hans Zimmer lauschen, der für noch mehr Tempo sorgt und mit wummernden Bässen die Szenen einlullt. Zimmer mischt sogar alte bekannte Bond-Melodien aus vergangenen Filmen unter die Bilder, bei denen bei jedem Fan sofort das Herz aufgeht.

Kurz: «No Time to Die» ist ein audiovisuelles und tricktechnisch perfektes Werk geworden, dem die lange Wartezeit auf das Startdatum vielleicht sogar in die Hände gespielt hat, um den letzten Schliff zu vollziehen.

«No Time to Die» ist mit 163 Minuten der bislang längste Bond-Film geworden und vergeht dennoch wie im Fluge. Würde er nochmals eine Stunde länger dauern, wir würden auch diese 60 Minuten genüsslich aufsaugen. Doch alles hat einmal ein Ende.

Mit diesem letzten Film verabschiedet sich Daniel Craig aus dem Bond-Universum. Mit fünf Filmen hat er dem Kult-Agenten nicht nur eine tiefe, zeitgenössische Figurenzeichnung geschenkt, sondern auch eine fünfteilige Übergeschichte spendiert, die 2006 mit «Casino Royale» ihren Anfang nahm und nun zu einem würdigen Abschluss gefunden hat.

Info: In den Kinos Beluga, Rex 1/2 & Bluecinema, Biel. Auch in Grenchen und Lyss.

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Simon Dick **** (von 5 Sternen)

 

Stichwörter: Filmkritik

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