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Filmkritik

"True Mothers": Leise Töne ganz laut

Was macht eine «echte» Mutter aus und welche Formen des Mutterseins gibt es? «True Mothers» verwebt drei Frauenschicksale und zeigt die Kraft der Aufrichtigkeit und Versöhnlichkeit.

Ein Mann, ein Kind, eine Frau: Ist das das Sinnbild einer perfekten Familie?

von Sonja Wenger

Wenn der kleine Asato gedankenverloren mit seinen Buntstiften zeichnet, ist seine Welt in Ordnung. Er ahnt wenig von den emotionalen Turbulenzen, die seine Existenz ausgelöst hat. Zwar weiss Asato, dass er adoptiert wurde, seine Eltern haben es ihm gesagt, als er in den Kindergarten kam. Doch seinem Lebensglück tut dies keinen Abbruch. Er hat noch eine zweite, eine biologische Mutter, und das ist in Ordnung.

Doch nun haben seine Eltern, Satoko (Hiromi Nagasaku) und ihr Mann Kiyokazu (Arata Iura), einen Anruf erhalten. Die leibliche Mutter Hikari (Aju Makita) will ihr Kind zurück, obwohl sie damals bei der Adoption sämtliche Rechte aufgegeben hatte. Und wenn sie Asato nicht zurückbekomme, dann wolle sie wenigsten Geld, das sei ja wohl das mindeste. Um eine gemeinsame Lösung zu finden, treffen sich die beiden Parteien.

Was zuerst wie eine klassische Erpressungssituation scheint, entwickelt sich jedoch schnell zu einem bewegenden Drama mit vielen überraschenden Wendungen. Im Konflikt zwischen den beiden Müttern schwingt ein ganzes Kaleidoskop der Gefühle mit. Und nichts ist einfach gestrickt in «True Mothers», dem neuen Film der japanischen Regisseurin und Drehbuchautorin Naomi Kawase.

Schnell wird dem Publikum in diesem wunderbaren Film durch klug eingefügte Rückblicke bewusst, dass beide Seiten eine lange Geschichte hinter sich haben. So kommen Satoko und Kiyokazu erst nach einem schmerzhaften und langen Prozess zum Entschluss, ein Kind zu adoptieren. Der gegenseitige Respekt im Umgang miteinander machen das Paar zu starken Sympathieträgern und man fiebert mit ihnen und freut sich für sie, wenn sie das Baby erstmals in den Armen halten.

Ihnen gegenüber steht die Geschichte der erst 14-jährigen Hikari, die schwanger wird, noch bevor sie ihre erste Menstruation hat. Für eine Abtreibung ist die Schwangerschaft jedoch bereits zu weit fortgeschritten. Nicht nur der junge Kindsvater und sie selbst sind von der Situation überfordert. Auch Hikaris Familie kneift und verweigert ihr die notwendige Unterstützung. Adoption bleibt die einzige Lösung. Und damit niemand etwas merkt, wird Hikari für die Dauer der Schwangerschaft zu Shizue Asami (Miyoko Asada) geschickt. Die ältere Dame betreibt seit vielen Jahren auf einer Insel vor Hiroshima die Adoptionsagentur Baby Baton und betrachtet die jungen Frauen und deren Babies als so etwas wie ihre eigenen Kinder.

Regisseurin Kawase gelingt es in «True Mothers» meisterhaft, gleich drei unterschiedliche Frauenschicksale zu einem grossen Ganzen zu verweben. Gleichzeitig beleuchtet sie so die Fragen, was eine «echte» Mutter ausmacht und welche Formen des Mutterseins es gibt. In einer Welt, in der schätzungsweise ein Drittel aller Frauen keine Kinder bekommen können oder wollen, in der jedoch vor allem die biologische Mutterschaft gefeiert und verklärt wird, ein wichtiges Thema.

Immer wieder hat sich Kawase in ihrem umfangreichen und international vielfach ausgezeichneten Werk aus inzwischen 32 Spiel- und Dokumentarfilmen sowie experimentellen Kurzfilmen mit dem Thema Familie auseinandergesetzt. Sie verarbeitete auf diese Weise auch persönliche Erlebnisse, da sie von ihren Eltern verlassen wurde und bei ihrer Grossmutter aufgewachsen war.

Entsprechend feinfühlig vermag Kawase darzustellen, mit welchen seelischen Wunden manche Menschen durchs Leben gehen. Sie zeigt gekonnt auf, wie laut gerade die leisen Töne sein können. Und vor allem beweist sie, wie wichtig ein respektvoller Umgang miteinander ist. Nicht ohne Grund zieht sich die Erkenntnis, welche Kraft in der Aufrichtigkeit liegt, wie ein roter Faden durch Kawases Schaffen. Und auch «True Mothers» ist ein zutiefst versöhnlicher und herzerwärmender Film, der einen Achtsamkeit lehrt und Hoffnung gibt.

Info: In den Kinos Lido 1 und 2, Biel.
 
Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Sonja Wenger ***** (von 5 Sternen)

Simon Dick **** (von 5 Sternen)
Beat Felber *** (von 5 Sternen)


 

Stichwörter: Filmkritik

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