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Warten auf den nächsten Hinweis

Eine neue Serie auf Disney Plus bringt frischen Wind in das üppige Marvel-Universum. Mit behutsamer Erzähltechnik und einem grossen Schleier des Geheimnisvollen sorgt «WandaVision» für viel Diskussionsstoff.

Ein glückliches Liebespaar: Wanda (Elizabeth Olsen) und Vision (Paul Bettany) geniessen die Zweisamkeit.  

von Simon Dick

Das Marvel Cinematic Universe ist ein Unterhaltungskoloss geworden. Unzählige Kinofilme und Serien erzählen Geschichten von grossen und kleinen Superheldinnen und Superhelden, die sich zeitweise in irgendeiner Form überschneiden, voneinander beeinflusst werden und eine Symbiose erschaffen. Marvel gilt mittlerweile als Synonym für das Blockbuster-Kino und trotz aktuell festgefahrener Kinobranche wird im Hintergrund bereits an den nächsten Event-Filmen gewerkelt.

Bis neue und alte Übermenschen wieder auf der grossen Leinwand das Schicksal der Menschheit bestimmen, muss sich der Fan aber noch in Geduld üben. Bis die Lichtspielhäuser wieder gefüllt werden dürfen, versorgt Disney aber die Kundschaft mit Serien, die auf dem hauseigenen Streamingdienst konsumiert werden. Den Anfang einer fast schon ausufernden Angebotsoffensive macht «WandaVision», die sich nicht mit Bombast, sondern mit leisen Untertönen fast schon als Fremdkörper in das Wohnzimmer schleicht.

Wanda Maximoff (Elizabeth Olsen) und Vision (Paul Bettany) haben sich bereits auf der grossen Leinwand kennen und lieben gelernt. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit den beiden: Während die Zauberin die grossen «Avengers»-Filme überlebte, musste das Android-Wesen Vision seine Existenz aufgeben. Warum jedoch beide nun in einer TV-Serie feststecken, ist eines der vielen Geheimnisse, die nach und nach enthüllt werden.

Wanda und Vision sind als frisch verliebtes Paar in ein schickes Reihenhäuschen gezogen, wo vor einer 50er-Jahre-Kulisse diverse Alltags-Spässchen vollzogen werden. Ein Schwarzweiss-Filter, ein 4:3-Bildformat und sich wiederholende Lacher machen deutlich, wir befinden uns in einer Sitcom aus der Vergangenheit. Wahrlich nichts Weltbewegendes geschieht hier, doch es scheint unter der Oberfläche zu brodeln.

Trotz simplem Sitcom-Kleid und minimalistischer, nachvollziehbarer Handlung, da stimmt etwas nicht. Immer wieder tauchen Objekte auf, die nicht ins Bild passen wollen. Kuriose Werbeunterbrüche sorgen für Stirnrunzeln und perfekt platzierte Fremdkörper wollen auf eine bestimmte Fährte locken.

Während die beiden durch den Alltag huschen und vor der Umwelt ihre Superkräfte verbergen müssen, weiss niemand so recht, wohin die Serie steuert.

Und die Kuriosität hat erst begonnen. Im Verlaufe der Erzählung wird plötzlich das Jahrzehnt gewechselt. Mit kräftigem Schub landet man in den wilden 70er-Jahren, alles ist auf einmal bunt und das Paar muss mit einschneidenden Ereignissen leben, während der Alterungsprozess in den Ferien weilt. Ist das alles nur ein Traum? Befinden wir uns in einem Paralleluniversum oder werden wir Zeugen eines Gedankenexperiments?

«WandaVision» sorgt für grosse Verwirrung und das ist gleichzeitig die grosse Stärke dieser Marvel-Serie. Sie erinnert an eine Zeit, in der plötzlich Kultserien wie «Twin Peaks» oder «Lost» auftauchten und für Gesprächsstoff sorgten.

Genau wie bei diesen Vorbildern werden das Unheimliche und das Geheimnisvolle wohl dosiert auf die Zuschauerinnen und Zuschauer losgelassen. Unterschwellige Botschaften, kaum erkennbare Hinweise und Momente fernab der inneren Erzähllogik sorgen für Ungewissheit und auch Unbehagen.  

Dieses ständige Kitzeln der Neugier wird auch durch den Rhythmus der Veröffentlichung verstärkt. Während viele neue Serien von Anfang an komplett auf einem Streamingdienst zur Verfügung stehen, hält sich Disney zurück und schickt jede Woche nur eine neue Folge nach.

Dadurch wird das Mitfiebern nicht nur in die Länge gezogen und verstärkt, sondern auch der Diskurs wird immer intensiver ins Rollen gebracht. Wer hat die neuste und beste Theorie auf Lager? Wer konnte die Hinweise mit dem Marvel-Kosmos in Einklang bringen und wer hat das bestversteckte «Easteregg» gefunden? Die Suche nach dem nächsten Hinweis ist eröffnet.

«WandaVision» tut der effektschwangeren Marvel-Marke gut. Sie nimmt die Hastigkeit heraus, setzt zwei Figuren in den Fokus und kümmert sich liebevoll um sie. Die Charaktere bekommen nicht nur die Aufmerksamkeit, die sie verdienen, sondern dürfen auch vorerst fernab einer überdramatisierten Geschichte agieren. Hier wird nicht gekämpft, gelitten und die Welt auf Biegen und Brechen gerettet, hier nimmt ein kleines, entschleunigtes Drama seinen Lauf und konzentriert sich auf einen mysteriösen Mikrokosmos, dem man jede Woche sehr gerne geduldig beiwohnt.

Info: «WandaVision» läuft auf Disney Plus. Jeden Freitag gibt es eine neue Folge.

Stichwörter: Heimkino, Serienkritik

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