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Lauberhornrennen

«Weniger kann auch mehr sein»

Fast fluchtartig verlassen Gäste den Wintersportort Wengen. Darunter auch Seeländer. Andere bleiben und harren der Dinge, die da noch kommen.

Hoffen auf 2022: Unterhalb der Minschkante soll das VIP-Zelt mit allen technischen Möglichkeiten für die nächste Lauberhorn-Veranstaltung wieder aufgestellt werden. Bild: zvg

Beat Moning

10 statt 100 Prozent Aufwand, 18 Materialpalette statt 150. Wenn die Lauberhornrennen anstehen, dann muss die Seeländer Veranstaltungsfirma Walther Licht und Tontechnik AG Vollgas geben. Nun wusste man: Es ist weit weniger, wenn keine Zuschauer zugelassen sind, wenn keine Partys und Siegerehrungen im Dorfkern stattfinden. Markus Walther reiste gestern mit seinem vierköpfigen Team nach vier Tagen in Wengen zurück ins Seeland. «Die Aufbruchstimmung war fast panischartig. Irgendwie wollten alle weg», blickt er zurück. Das Material konnte noch verpackt werden und kann am 18. Januar in Lauterbrunnen abgeholt werden.

Testen mussten die vier Seeländer nicht mehr und für den Aufwand könne man Rechnung stellen, hiess es vonseiten des Organisationskomitees. «Immerhin positive Signale», sagt sich Markus Walther. Wie Bruder Matthias froh über jeden Auftrag: Seit dem Lockdown ist er vermehrt im Streamingbereich mit Videoschaltungen für Konferenzen sowie Aus- und Weiterbildungen aktiv. «Das ist nicht unser Kerngebiet, wir mussten etwas umstellen, aber wer musste das schon nicht», sagt Matthias Walther mit Blick auf die schwierigen Verhältnisse in diesem Berufssektor.

 

Fahrer für einmal im Mittelpunkt

Zurück nach Wengen, wo die Seeländer Firma seit Jahren mit von der Partie ist und wo Engländer seit Jahrzehnten, vor allem auch als Curler, ein- und ausgehen. «Wengen wurde immer grösser. Irgendwie genoss ich es in den letzten Tagen, dass alles so ruhig und entspannt abläuft», hält Markus Walther fest. Klar, am Ende, nach dem Entscheid der Absage, sei die Stimmung am Tiefpunkt gewesen. «Wir waren bereit, alles war aufgestellt, was in unserem Auftragsbereich (Videokonferenzen für Teams und Medien, Beschallungen im Zielgelände, die Red.), gelegen hatte.» In zwei Hotels waren je zwei Personen in Einzelzimmern untergebracht. Hätte es an einem Ort Probleme gegeben, die Arbeiten hätten nicht gleich niedergelegt werden müssen. Gefreut habe man sich, denn für einmal wären Rennfahrer und Rennen völlig im Zentrum gestanden, in einem Dorf, das sich fast menschenleer präsentierte. «Sonst ist das Sportliche oft das Nebenbei, nun hatten sich die Prioritäten verschoben.» Es sollte nicht sein. Nach diesem speziellen Erlebnis hoffen auch Walthers auf das nächste Jahr, wieder mit mehr Arbeit, vor allem aber einem Rennen, das nicht abgesagt werden muss. Markus Walther ist gespannt: «Vielleicht lernen wir alle aus dieser Krise, kehren zurück zu etwas mehr Bescheidenheit und weniger Halligalli.» Eine Rückkehr zur Normalität alter Tage. Oder: «Weniger wäre in diesem Fall vielleicht mehr.»

2022 dürfte dann auch wieder das VIP-Zelt unterhalb der Minschkante stehen (siehe Bild). Und somit erhalten auch vier Helfer aus Twann und Umgebung wieder Arbeit, wenn sie die Eingangskontrollen an der wohl berühmtesten Zuschauerstelle vornehmen werden. Philipp Martin und seine Kollegen sind nun aber erst gar nicht angereist. «Erstens hatten wir keine Arbeit, zweites haben wir es uns zwar überlegt, dann aber verzichtet, weil ja das Skigebiet zwischen der Kleinen Scheidegg und Wengen für ‹Normalsterbliche› geschlossen worden wäre.»

 

Das volle Schwimmbad

Auf die Skis kann man jetzt gehen, spielt denn das Wetter nicht völlig verrückt. Gestern jedenfalls hätte man nicht wie vorgesehen trainieren können. Hans Gertsch bleibt mit seiner Ehefrau Brigitte vorerst in der Zweitwohnung in Wengen. «Lesen kann ich auch hier», sagt der Seeländer und schmunzelt. Von der ganzen Entwicklung zeigt er sich nicht überrascht. «Schon vor zwei Wochen hörte ich von den ersten Fällen, und als ich ins Pool eines Hotels blickte und 30 Leute am Schwimmen sah, war mir sofort klar, dass das womöglich kein gutes Ende nehmen wird.» Das Hotel ist inzwischen vorübergehend geschlossen worden. Da habe er sich schon ausgemalt, wie es sein würde, sollte Wengen als Hotspot von der Umwelt abgeriegelt werden. Nirgends so einfach wie an diesem Ort, der für das Lauberhornrennen seit über 90 Jahren steht. Da braucht man nur die Bahn von Lauterbrunnen herauf einzustellen. Trotz Einschränkungen, Hans Gertsch ist oben geblieben, als «angefressener» Wengener und Lauberhornrennen-Fan gehört man halt irgendwie zu dieser Leidensgemeinschaft.

Stichwörter: Lauberhorn, Rennen, Ski, Wengen, Corona