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Kafipause

Das Artischocken-Prinzip

Im persönlichen Blog berichten Parzival Meister, stellvertretender Chefredaktor und Redaktionsleiter, und BT-Chefredaktor Bernhard Rentsch abwechslungsweise wöchentlich über Erlebnisse im privaten wie im beruflichen und gesellschaftlichen Leben – immer mit einem Augenzwinkern.

BT-Redaktionsleiter Parzival Meister
  • Dossier

Von Kindern kann man was lernen. Auch von meinen; ab und zu. Nicht beim Essen zwar, nein, da dürfen Sie sich vom Titel nicht irreführen lassen. Wie die es nur immer wieder schaffen, sich zu bekleckern … aber stopp, ich schweife ab. Ich wollte ja eigentlich etwas Positives erzählen. Etwas, von dem es sich lohnt, bei den Kindern abzuschauen. Und da kommt die Artischocke ins Spiel.

Für mich ist dieses Zupf-Tunk-Durchzieh-Gemüse eine dieser kulinarischen Kindheitserinnerungen, etwas, das nach Mama schmeckt, wenn ich es irgendwo rieche. Liegt der Duft im Raum, sehe ich mich vor meinem inneren Auge ein Blatt abzupfen, es in Mayonnaise tunken und dann durch die Zähne ziehen.

Ich schweife schon wieder ab, diesmal in die Vergangenheit. Dabei wollte ich hier eigentlich erzählen, dass wir uns nicht immer mit Vergangenem aufhalten sollten, sondern es sich lohnt, den Blick nach vorne zu richten.

Eben, Artischocken. Ich hatte sie schon fast vergessen, jedenfalls habe ich zu Hause nie welche gekocht. Bis vor ein paar Monaten so ein paar Artischocken im Einkaufswagen landeten. Und dann auf den Tellern. Und die Kinder liebten es. Jedenfalls war meine Kleinste dermassen begeistert, dass sie mich immer wieder fragte, ob ich wieder Artischocken kaufen könne. Ja, sicher, natürlich kann ich das. Ich dachte nur nicht gleich. Sie aber schon; und so fragte sie mich Woche für Woche, ob ich schon Artischocken gekauft habe. Entschuldigung, aber dieses Mädchen hat am Nachmittag vergessen, was es am Morgen im Kindergarten gespielt hat, vergisst aber garantiert nie, was ich ihm für die Zukunft versprochen habe. Es muss ein befreiendes Gefühl sein, das lästige Vergangene einfach ausblenden zu können und in stetiger Vorfreude zu leben.

Nun, der Tag kam, als ich im Supermarkt endlich wieder Artischocken kaufte. Und dann gab es die Artischocken zum Abendessen. Ich hatte extra noch Mayonnaise selber gemacht. Alles war bereit. Aber die Kleinste, sie schien irgendwie keinen Appetit auf Artischocken zu haben. Ja, genau, diese Tochter, die Wochenende für Wochenende bei mir nachfragte, wann es endlich wieder Artischocken gebe, denn ich hätte ja gesagt, es gäbe bald wieder Artischocken, wollte kaum von ihrer Artischocke essen. Sie habe einfach keinen Hunger.

Als ich am nächsten Tag nochmals fragte, wieso sie kaum gegessen habe, obwohl sie so lange dafür «gestürmt» hatte, kam ihr plötzlich in den Sinn, mir zu sagen, dass sie zuvor bei ihrer Mutter, von wo ich sie abgeholt hatte , bereits etwas gegessen hatte. Und bei mir am Esstisch dann, da habe sie vergessen, dass sie schon gegessen hatte.

Am besten vergessen Sie nun, was ich bezüglich «lasst-uns-von-den-Kindern-lernen» gesagt habe und freuen sich auf meine nächste Kolumne.

pmeister@bielertagblatt.ch

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