Sie sind hier

Abo

Biel

Suchthelfer gewährt Einblick ins Drogenmilieu

Die Polizei findet in Biel oft illegale Substanzen. Trotzdem fehlt der Überblick, es existieren keine regionalen Statistiken. Eric Moser arbeitet seit 35 Jahren im Bereich der Suchthilfe und war oft auf den Bieler Strassen unterwegs. Er analysiert die aktuelle Situation.

Eric Moser arbeitet bei Contact Netz und ist seit 35 Jahren im Bereich der Suchthilfe. Bild: Matthias Käser

Interview: Tobias Tscherrig

Eric Moser, die Behörden vermeldeten schon oft die Sicherstellung von grösseren Mengen illegaler Substanzen. Ist Biel ein Drogenmekka?
Eric Moser: Nein. In Biel gibt es nicht mehr Drogen als in anderen Städten des Kantons Bern. Das Drogenvorkommen in Biel ist in etwa mit demjenigen der Stadt Bern vergleichbar.

Trotzdem geben die Drogenfunde in Biel zu reden.
Biel ist ein oft genutzter Drogenumschlagplatz.

Warum?
Die geografische Lage der Stadt kommt den Dealern zugute. Ausserdem profitieren sie von der Mehrsprachigkeit und vom billigen Wohnraum. In der Vergangenheit haben mehrere Grosshändler ihren Hauptsitz in Biel aufgeschlagen. Diese verkaufen ihren Stoff aber nicht unbedingt in Biel, sie sind überregional tätig.

Biel wird eine Problematik mit Methamphetamin zugeschrieben. Crystal Meth und Thaipillen seien im Aufwind, heisst es.
Diese Problematik gibt es seit dem Jahr 2000. In Biel werden vor allem Thaipillen, also Methamphetamin in Pillenform, gehandelt. Auch Crystal Meth, das heisst Methamphetamin in kristallisierter Form, wird verkauft und konsumiert. Glücklicherweise bisher nur von wenigen Personen. Crystal Meth ist in der Schweiz teurer als Kokain, im Ausland ist das anders.

Methamphetamin ist gefährlich.
Das Suchtpotenzial ist hoch. Die Konsumenten werden aggressiv und unruhig, sie konsumieren immer regelmässiger. Dabei hat die Droge ein sehr hohes Abhängigkeitspotenzial und kann zur Paranoia mit Wahnvorstellungen und schweren Denkstörungen führen.

Wer konsumiert derart schädliche Substanzen?
Zu den «grossen Fünf» der Partydrogen gehören neben Tabak und Alkohol auch Cannabis, Ecstasy und Amphetamine. Kokain folgt auf Rang fünf. Methamphetamine spielen eine marginale Rolle. Die genannten Substanzen werden oft an Partys konsumiert. Von jungen, gesunden Menschen, die nach einer anstrengenden Arbeitswoche feiern wollen. Trotzdem kann gesagt werden: Auch in der Partyszene ist es eine Minderheit, die illegale Drogen konsumiert.

Wie hat sich der Konsum von illegalen Drogen entwickelt?
Die Dunkelziffer ist extrem hoch. Die Entwicklung ist schwierig zu verfolgen. Die Abwasserkontrollen beweisen aber, dass in Biel, wie überall in der Schweiz, Drogen konsumiert werden. Die schweizerischen Epidemiologiestudien zeigen aber eine relativ stabile Situation.

Und die Drogenpreise?
Die Preise sind gefallen. Im Jahr 2005 kostete das Gramm Kokain zum Beispiel zwischen 300 und 500 Franken. Heute liegt der Preis zwischen 80 und 100 Franken. Dieser Preiszerfall ist eine weltweite Problematik, die auch zeigt, dass das Vier-Säulen-Prinzip zur Bekämpfung der Drogen nicht ausreicht.

Prävention, Therapie, Schadensminderung, Repression: Auch Biel setzt bei der Sucht- und Drogenpolitik auf diese vier Säulen.
Verstehen Sie mich nicht falsch, das Vier-Säulen-Prinzip funktioniert. Es hat überall in der Schweiz Wirkung gezeigt. Trotzdem könnte besser reguliert werden.

Biel beteiligt sich an einem Pilotversuch, der die kontrollierte, legale Abgabe von Cannabis ins Auge fasst. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Ja. Durch die kontrollierte Abgabe können die Anzahl der Konsumenten und ihr Suchtverhalten besser eingeschätzt werden. Auf dieser Grundlage kann dann eine wirkungsvolle Prävention aufgebaut werden.

Sie plädieren für eine kontrollierte Abgabe von Drogen. Was sind die Vorteile davon?
Die Herkunft und Qualität der Drogen könnte besser kontrolliert werden. Behörden und Konsumenten wüssten über die Zusammensetzung Bescheid. Durch kompetente Abgabestellen hätten die Institutionen aus dem Sucht- und Gesundheitsbereich den direkten Kontakt zu Süchtigen. Drogen sollten nicht verboten sein, der Zugang dazu muss aber gesteuert und geregelt werden. Dabei muss selbstverständlich den Unterschieden der verschiedenen Substanzen Rechnung getragen werden.

Die eidgenössische Kommission für Suchtfragen spricht sich ebenfalls für die Regulierung von Drogen aus. Dazu bräuchte es aber einen politischen Entscheid.
Die Drogenpolitik ist ein heisses Pflaster, die Thematik ist mit viel Moral verbunden. Ein Beispiel: Konsumiert ein Süchtiger Drogen, löst das bei seinem Umfeld Emotionen aus. Dabei geht die Objektivität verloren.

Sprechen wir über die Repression.
Die Repression ist ein wichtiger Bestandteil einer umfassenden Suchtpolitik. Repression alleine verstärkt aber die bestehenden Probleme. Die Konsumenten werden in die Illegalität getrieben, die Produkte sind teuer, die Zusammensetzung der Substanzen ist ungewiss und birgt Risiken. Ausserdem werden die Probleme verlagert, etwa in schmuddelige Wohnungen, in denen prekäre Zustände herrschen. Dadurch entstehen Risiken für die Gesundheit. Dies ist kein Widerspruch zur Arbeit der Polizei.

Warum ist eine neue Drogenpolitik nötig?
Wir brauchen ein weniger paradoxes Modell. Die Prohibition bringt viele negative Nebeneffekte mit sich. Das fängt bei den Geldflüssen an: Der Schwarzmarkt floriert, die Mafia-Grossdealer profitieren von den riesigen Margen und schleusen die Einnahmen am Staat vorbei. Das Geld fliesst nicht an die Gesellschaft zurück. Die Prohibition nährt die Mafia.

Die Drogenpolitik wird in der Schweiz niemals geändert werden. Dazu gibt es zu viele Vorbehalte.
In den 90er-Jahren hat die Schweiz in der Drogenpolitik sehr viel Inovation bewiesen. Die Ergebnisse waren gut. Ich wünsche mir, dass dies bei den aktuell anstehenden Fragen wieder gelingt.

Ist eine drogenfreie Gesellschaft Utopie?
Ja. Die Menschheit hat schon immer Substanzen konsumiert. Das wird auch immer so bleiben. Zurzeit ermöglicht etwa die Globalisierung den problemlosen Bezug von jeder existierenden Droge.

Sie arbeiten seit 1982 im Bereich der Suchthilfe, aktuell sind Sie für die Stiftung Contact tätig. Wie kam es dazu?
Das war ein Zufall. Damals engagierte ich mich im Bereich der politischen Gerechtigkeit. In der Schweiz breiteten sich die Drogen  aus und ich merkte, dass es viel zu tun gab. Es gab praktisch keine spezifischen Hilfsprojekte, wir leisteten Pionierarbeit und etablierten viele Projekte. Zum Beispiel die Anlaufstellen.

In 35 Jahren Suchthilfe haben Sie viel gesehen und erlebt. Wie hat sich das Drogenverhalten der Menschen verändert?
Während den frühen 70er und 80er-Jahren experimentierten die Menschen mit Drogen, sie wagten experimentelle Versuche. Es wurden alternative Lebensformen gelebt. In den 80er-Jahren kam die No Future-Generation, die Menschen waren perspektivlos. Als Streetworker half ich während dieser Zeit beim Aufbau einer mobilen Abgabestelle und wir schufen Räume für Betroffene sowie Substitutionsprogramme.

Dann kamen die 90er, die Elektroszene war auf dem Vormarsch.
Es fanden viele Partys statt, die Partydroge Ecstasy etablierte sich. In der Technoszene sind wir seit dem Jahr 1998 aktiv. Hier stellten wir immer wieder neuartige Substanzen fest. Das war unsere Herausforderung: Auf dem Laufenden bleiben und geeignete Massnahmen finden.

Jede Subkultur konsumiert also ihre eigenen Drogen. Korrekt?
Das stimmt. Als auffallender Gegensatz zur Partyszene, kann etwa der Konsum auf der Gasse genannt werden. Hier konsumieren Menschen, die vergessen wollen. Dazu nehmen sie Heroin, Kokain und Schlafmedikamente. Oft werden diese drei Substanzen gemischt.

Welche Erlebnisse haben Sie besonders geprägt?
Die Heroinepidemie der 80er- und 90er-Jahre. Es gab wenig Hilfsangebote. Während längerer Zeit wurden zum Beispiel keine sauberen Spritzen abgegeben. Das führte zur Aidsproblematik. In kurzer Zeit sah ich viele Menschen sterben.

Blicken Sie in die Zukunft: Wie könnten sich die Drogen weiterentwickeln?
Bleiben wir zuerst im Jahr 2017. Leistungsorientierte Substanzen sind aktuell im Trend. Ich sehe die  Zunahme des Kokainkonsums und von muskelaufbauenden Präparaten. Das bereitet uns Sorgen. Für die Zukunft rechnen wir mit Molekülen, die gezielter wirken. Etwa in Bezug auf die Gedächtnisleistung.

In Ihrer Funktion als Suchthelfer führen Sie auch Drogenanalysen durch.
In Zusammenarbeit mit dem Kantonsapotheker haben wir ein mobiles Labor eingerichtet. Mit diesem sind wir an Partys präsent. Mit einem unserer Angebote, DIB+ in Bern, bieten wir auch eine zusätzliche Möglichkeit um Drogen analysieren zu lassen. Unsere Feststellung: Die Konsumenten wollen die Risiken kennen, sie wollen sie minimieren. Bei den Resultaten werden alle Wirkungssubstanzen und ihre Reinheiten einzeln aufgeführt. Das gibt uns differenzierte Einblicke.

Und?
Hier sehen wir die dunkle Seite der Prohibition. Tendenziell steigen die Dosierungen, vor allem bei Ecstasy-Pillen. Trotzdem werden die Substanzen in unterschiedlichen Reinheiten verkauft. Die Gefahr einer Überdosis steigt dadurch markant an, egal bei welcher Droge. Eine Substanzanalyse, wie wir sie anbieten, minimiert das Risiko markant.

Wie werden die Drogen gestreckt?
Da gibt es einige schlimme Beispiele. In der Schweiz ist Kokain in der Regel ziemlich rein. Eine Reinheit von 70 bis 90 Prozent ist keine Seltenheit. Aber Kokain wird sehr oft mit Levamisol gestreckt. Das ist ein Antiwurmmittel aus der Tiermedizin, dem ein zusätzlich euphorisierender Effekt zugeschrieben wird. Das Mittel führt unter anderem zu Hautveränderungen. Amphetamine werden oft mit Nebenprodukten gestreckt. Diese fallen bei der Produktion an, ihre Wirkung auf den Menschen ist unklar. Heroin wird mit dem Medikament Paracetamol gestreckt.

Welche Drogen sind eigentlich am Gefährlichsten?
Es geht nicht nur um die Substanzen, sondern auch um die Konsumform. Diese macht die Gefahr aus. So sind auch die legalen Drogen, also Alkohol und Tabak, gesundheitsschädigend. Sie führen extrem schnell zur Abhängigkeit. Trotzdem werden Sie als «weiche Drogen» bezeichnet.  Ich halte die Unterteilung in weiche und harte Substanzen für falsch. Man muss von weichem oder hartem Substanzenkonsum reden, das macht mehr Sinn.

Sie arbeiten bei Contact auch im Bereich der Schadensminderung. Was heisst das?
In überwachten Konsumräumen geht es darum, die Substanzen möglichst ohne Risiken zu konsumieren und Folgeschäden zu mindern. Arbeitsprogramme bieten eine Tagesstruktur und soziale Integration. Die ambulante Suchtbehandlung stabilisiert suchtmittelabhängige Menschen, ebenso wie die Wohnprogramme. Die mobilen Angebote sind an der Front, nehmen erste Abklärungen vor und tragen zur Entlastung des öffentlichen Raums bei. Davon profitiert schlussendlich die gesamte Gesellschaft.

Ihr Auftraggeber ist der Kanton. Dieser muss sparen.
Wir sind dankbar für die gute Zusammenarbeit mit dem Kanton. Trotzdem traf es beim letzten Sparprogramm im Jahr 2014 auch soziale Institutionen. Contact musste Abstriche machen. Das hatte massive Auswirkungen auf die Schwächsten der Gesellschaft. Wir hoffen, dass dies nicht wieder passiert.

Nachrichten zu Biel »