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EM-Pionier drückt neuer Generation die Daumen

Ex-FC-Biel-Trainer Bidu Zaugg wird heute Nachmittag vor dem Fernsehen mit dem Schweizer Nationalteam mitfiebern. 20 Jahre, nachdem er als Assistent des damaligen Nationaltrainers Roy Hodgson mitgeholfen hatte, die allererste EM-Qualifikation sicherzustellen.

Zusammenstehen für die Schweiz: Der frühere Nationaltrainer Roy Hodgson (2. v. l.) und sein Assistent Bidu Zaugg (3. v. l.) anlässlich des EM-Qualifikationsspiels 1995 in Schweden./Bild: Keystone

Bidu Zaugg fiebert dem heutigen Achtelfinal der Schweiz gegen Polen entgegen. Diese EM-Partie wird der 63-jährige Berner daheim in Bäriswil am Fernsehen mitverfolgen. «Dass die Schweiz noch dabei ist, freut mich sehr.» Allerdings sei der Einzug in die K.O.-Runde auch Pflicht gewesen. «Ab dem Viertelfinal darf man dann von einem grösseren Erfolg sprechen.» Dass dieses Szenario durchaus möglich ist, habe nicht nur mit den Qualitäten der Schweiz zu tun, sondern auch mit dem Umstand, dass die Top-Favoriten in der anderen Tableauhälfte seien.
«Mit Sommer haben wir einen Weltklassegoalie. Die Aussenverteidiger Rodríguez und Lichtsteiner könnten in jeder Topmannschaft spielen und auch die Stürmer sind gut, müssen nun aber ihre Chancen auswerten», analysiert Zaugg die letzten Auftritte. Weniger gut hätte sich die Innenverteidigung präsentiert, und Shaqiri habe die hohen Erwartungen an seine Person nicht erfüllen können. Zaugg sieht noch viel Potenzial. «Wenn die Mannschaft zusammensteht, dann könnte die EM für sie sogar gegen Kroatien oder Portugal noch nicht fertig sein.»
1996 Euro-Premiere für die Schweiz
Bereits nach den Gruppenspielen fertig gewesen war für die Schweizer die Endrunde 1996. Nicht überraschend, denn es war ihre erste Euro gewesen, in der die EM-Pioniere Sforza, Türkyilmaz, Vogel und Co. noch viel Lehrgeld bezahlen mussten. «Das war eine Zeit, in der unsere Schweizer erst so richtig begannen, in den ausländischen Ligen Fuss zu fassen», erinnert sich Zaugg. «Es war noch nicht diese Qualität da, die wir uns heute von der Nationalmannschaft gewohnt sind.» Umso grösser war die Freude über das 1:1 im Eröffnungsspiel gegen Gastgeber England, das Türkyilmaz vom Penaltypunkt aus erzielte. «Es war toll für uns, vor fast 80000 Zuschauern im ausverkauften Wembley dem Favoriten einen Punkt abzuknöpfen.» Zaugg spricht von einer schönen Zeit, auch zwischen den Spielen. «Wir bereiteten uns im Trainingszentrum von Aston Villa vor und hausten in einem luxuriösen Golf-Hotel.» Es sei schade gewesen, dass nach drei Spielen schon fertig war.
Einen unerwarteten Tiefschlag gab es für die Schweizer Anhänger bereits vor der Euro. Nachdem sich das Nationalteam unter Roy Hodgson und dessen Assistenten Zaugg für die Endrunde qualifiziert hatte, nahm der neue Nationalcoach Artur Jorge Ende 1995 seine Arbeit auf. «Ich hatte ihm ein Video aller Spieler zusammengestellt, das wir gemeinsam analysierten», erinnert sich Zaugg. Zudem standen diverse Spielbesuche auf dem Programm. «Da habe ich schon bald gemerkt, dass er Alain Sutter und Adrian Knup nicht wollte.» Andere hätten besser in Jorges Konzept gepasst. «Er hat mir dann gesagt, dass er lieber Theater vor der EM will als in England, wo er die beiden sowieso nicht spielen lassen würde.»
«Inler gehört doch einfach dazu»
Zaugg war trotz überraschender Nichtnomination der Stars loyal mit seinem Chef. «Ich unterstützte ihn beim Entscheid, habe aber verlangt, dass er alles sauber kommunizieren solle.» Eine Forderung, die Jorge in den Wind schlug. «Nach nur fünf, zehn Minuten hiess es ‹tschüss zäme›. Das kam natürlich gar nicht gut an.» Die Fans tobten, während die Boulevardpresse den «Skandal» ausschlachtete. «Jetzt spinnt er – Schock für die Fussball-Nati und die ganze Nation», titelte der Blick Ende Mai 1996. Wenn es um die aktuellen Personalentscheide von Vladimir Petkovic geht, der Captain Gökhan Inler zuhause gelassen hat, hört auch Zauggs Verständnis auf. «Inler gehört doch einfach dazu», sagt Zaugg. «Er hat sich zehn Jahre lang den Arsch für die Nati aufgerissen und sich ein Aufgebot verdient. Auch wenn er Pech hat, bei Leicester City nicht eingesetzt zu werden. Als Trainer hätte ich Inler gesagt, ‹ich nehme Dich mit, ohne Garantie, dass Du spielst›. Stattdessen bietet Petkovic ein ‹Buebeli› wie Zakaria auf, den er sowieso nicht einsetzt und dieser folgedessen auch nicht von der EM profitieren kann.»
Jorge war einer von vier Nationaltrainern, mit denen Zaugg 1992 bis 2000 zusammengearbeitet hatte. «Jeder Trainer war anders. Alle haben mich aber als hundertprozentigen Partner akzeptiert. Meine Meinung war gefragt.» Zaugg konnte es gut mit Hodgson, Jorge, Rolf Fringer und Gilbert Gress. «Ich habe viel profitiert und Sachen mitgenommen, die ich in meinen späteren Tätigkeiten als Cheftrainer gut einbringen konnte.»
Die Revolution unter Hodgson
Mit Zaugg und Hodgson, der aktuell England trainiert, schaffte die Schweiz nicht nur die erstmalige EM-Qualifikation, sondern spielte 1994 auch an der WMin den USA. «Unter Hodgson haben sich das Team und der Fussball am meisten verändert», sagt Zaugg. Der Engländer habe auf das neue 4-4-2-System mit Viererabwehrkette gesetzt. Die revolutionären Ideen präsentierten Hodgson und Zaugg an Vorträgen den Trainern in Deutschland und Österreich. «Ich erinnere mich an die Pfiffe und das Grölen unserer rund 400 Zuhörer, als wir ihnen sagten, dass wir ohne Libero spielen würden.» Das System setzte sich schliesslich durch. Auch Zaugg, der von Juni 2013 bis September 2014 den FC Biel trainiert hatte und aktuell beim FC Solothurn ist, setzt manchmal noch auf ein 4-4-2. In Abhängigkeit des eigenen Spielermaterials und je nach Gegner, wie er sagt.
Was das Spielermaterial beim Schweizer Nationalteam betrifft, liege ein Sieg gegen Polen absolut drin. Zaugg hofft, dass dieses EM-Abenteuer deutlich länger dauert, als damals 1996 in England.

Das weitere Programm an der Euro in Frankreich
Achtelfinals. Heute. In Saint-Etienne: Schweiz - Polen (15 Uhr). In Paris: Wales - Nordirland (18 Uhr). In Lens: Kroatien - Portugal (21 Uhr). – Morgen. In Lyon: Frankreich - Irland (15 Uhr). In Lille: Deutschland - Slowakei (18 Uhr). In Toulouse: Ungarn - Belgien (21 Uhr). – Montag. In Saint-Denis: Italien - Spanien (18 Uhr). In Nizza: England - Island (21 Uhr).
Viertelfinals. Donnerstag. In Marseille: Schweiz/Polen - Kroatien/Portugal (21 Uhr). - Freitag. In Lille: Wales/Nordirland - Ungarn/Belgien (21 Uhr). - Samstag, 2. Juli. In Bordeaux: Deutschland/Slowakei - Italien/Spanien (21 Uhr). - Sonntag, 3. Juli. In Saint-Denis: Frankreich/Irland - England/Island (21 Uhr).
Halbfinals am 6. und 7. Juli.
Final am 10. Juli.

Francisco Rodríguez

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