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Fussball-EM

«Ich bin in jedem Fall eine stolze Siegerin»

Die Schweizer Nationalmannschaft trifft heute im Viertelfinal auf Polen. Eine polnische- schweizerische Doppelbürgerin aus Biel erzählt von der Annäherung ihrer Heimat an den Westen und dem Nationalstolz im Fussball.

Fussballfan: Veronique Podstolski freut sich auf die Begegnung ihrer zwei Heimatländer, obwohl es noch etwas früh im Turnier sei. Tanja Lander

Von Nicole Bolliger

Die Polen gelten als stolzes Volk. Das patriotische Gefühl äussere sich auch im Fussball, dem Nationalsport in Polen, sagt Veronique Podstolski. Die nationale Fussballmannschaft sei ein nationaler Identitätsfaktor. «Alle Spieler singen die Nationalhymne. Es ist ein Muss», sagt die Doppelbürgerin. «Es gab einmal eine Polemik, als französische-polnische Doppelbürger in das national Kader aufgenommen wurden, die nicht mit der polnischen Kultur vertraut waren und die Hymne nicht singen konnten.» Sie kenne die polnische Hymne besser als die Schweizer Hymne. Obwohl sie in Biel geboren und aufgewachsen war.

Podstolski verbindet viel mit dem Heimatland ihrer Eltern, Polen. Ihre Eltern und Schwester flüchteten 1981 vor dem kommunistischen System. Zielland war eigentlich Kanada. «Sie hatten sich nicht für die Schweiz entschieden», sagt Podstolski über ihre Eltern. «Es war schwierig, drei Ausreisepässe gleichzeitig zu bekommen. Als meine Mutter und meine Schwester die Möglichkeit hatten, auszureisen, kamen sie nach Biel zu einer Freundin und warteten ein Jahr auf meinen Vater.» Aus einer Zwischenstation wurde die Endstation.

«Meine Mutter besuchte zusammen mit meiner Schwester die französische Krippe, um die Sprache zu lernen.» Mit den verbesserten französisch Kentnissen, fand sie in der hiesigen Industrie als Ingenieurin in der Metalverarbeitung schnell eine Arbeit. Dann zwei Jahre nach ihrer Ankunft in Biel, wurde Veronique Podstolski geboren. «Zuhause sangen meine Schwester und ich die polnische Hymne. Nicht des Nationalstolzes wegen, sondern um unsere Eltern zu ärgern.»

Halb Polin, halb Schweizerin

Anfangs traff sich die Familie noch in Bern zum Austausch mit anderen Polen, erinnert sich Podstolski. Jedoch nicht lange. Die Integration sei ihren Eltern sehr wichtig gewesen, deshalb suchten die Podstolski’s Kontakte in Biel.

Trotzdem blieb die Beziehung zur Familie in Polen sehr eng. Ein- oder zweimal pro Jahr besucht Podstolski ihre Familie im Süden von Polen. «In der Schweiz werde ich als Polin wahrgenommen und in Polen als Schweizerin. Ich bin hier aufgewachsen und habe meine Familie hier gegründet. Doch die Verbindung zu Polen, deren Kultur und Sprache ist trotzdem sehr stark. Ich bin 50 Prozent Polin, 50 Prozent Schweizerin aber vor allem 100 Prozent Bielerin.»

Längere Zeit in Polen zu wohnen kommt für die bald zweifache Mutter nicht in Frage. Obwohl die 32-jährige die polnische Sprache vermisse. Sie spreche, deshalb mit ihren Eltern und ihrer Tochter polnisch. Ihre Mutter lernte Französisch. Ihr Vater arbeitete mehrheitlich in deutschsprachigen Architekturbüros. Dadurch lernte er Deutsch. Sie seien eine dreisprachige Familie, geprägt von den beiden Kulturen.

Land im Umbruch

In den letzten 20 Jahren hat in Polen ein grosser wirtschatlicher Wandel stattgefunden. «1990 besuchte ich das erste Mal Polen. Vorher war es politisch nicht möglich. Damals waren die Läden noch leer. Heute sind die Regale voller als in der Schweiz. Polen ist dies bezüglich fast weiter entwickelt als die Schweiz», sagt Podstolski.

Eine politische Veränderung, wünscht sie sich. Weg von einem durch die Kirche regierten Staat und den nationalkonservativen Parteien, welche die letzten Parlamentswahlen im Oktober 2015 gewonnen haben. Ein Präsident aus dem linken Lager würde dem Land weiter helfen, ist die Lichttechnikerin überzeugt.

Sie habe sich nicht getraut zu überlegen, wer denn heute gewinnen werde, die Schweiz oder Polen. «Ich lebe hier und unterstütze deshalb die Schweiz, im Herzen jedoch bin ich für Polen. Für mich wäre es ein Traum gewesen, Polen gegen die Schweiz im Final zu sehen.» Jetzt glaube sie aber, dass Polen gewinnen werde. Es sei das erste Mal, dass Polen ein Team habe, welches international Erfolge verbuchen kann. Die Erwartungen an die Mannschaft seien daher hoch. «Wer auch gewinnt, ich bin eine Siegerin.»

Stichwörter: Polen, EM, Fussball, Porträt

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