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Barbarie/Braderie

Jetzt sind beide Festivals auf Asphaltboden

Viele Gitarrenriffs, offizielle und inoffizielle Fussballsongs, DJs, lebende Legenden und die Stadtmusik: Biel steht ein Wochenende voller Musik bevor. Die Voraussetzungen für die Barbarie sind dieses Jahr besonders.

Langhaarige Schweden: Kamchatka spielen Stoner-Rock an der Barbaraie. zvg
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Tobias Graden

Dieses Jahr ist Hotcha 65 geworden. Anders gesagt: Er ist in dem Alter, in dem man pensioniert wird. Doch Hotcha ist nicht einer, der auf diese Tage hin stiller wird. Im Gegenteil. Die Bieler (und Schweizer) Rock’n’Roll-Legende schart eine Band um sich, deren Name allein in weniger toleranten Gegenden ausreichen würde, um von der Sittenpolizei von der Bühne weg verhaftet zu werden: The Teenage Lesbians from Hell.

Diesem Hotcha kommt also die Ehre zu, einen Moment lang von der Weiterentwicklung der asiatischen Küche abzulassen und die diesjährige Barbarie zu eröffnen. Das kommt nicht von ungefähr: Vor 30 Jahren hat er die Barbarie eigentlich mitbegründet. 1986 war es, als er mit der Band Pull my Daisy vis-à-vis des Tiff aufspielte, weil das Bieler Braderiewochenende keine Zerstreuung für die junge Generation vorsah. Die Polizei beendete das illegale Konzert. Kollateralschaden:das Hemd eines Polizisten, der von einem Punk angesprayt worden war, aber grosszügig von Strafverfolgung absah. Kollateralnutzen:die Geburt der Barbarie als nicht-kommerzielle Gegenveranstaltung zur Braderie.

«Klassisches» Programm

Mittlerweile kommen die beiden Anlässe problemlos nebeneinander aus, zumindest ein Teil des Publikums pendelt zwischen den Konzerten auf dem Zentralplatz und der Barbarie hin und her, seit die das grosse Bieler Fest auch ein publikumsträchtiges Musikprogramm auf die Beine zu stellen weiss. In diesem Jahr allerdings könnten die Pendlerbewegungen geringer sein als auch schon, denn die Barbarie bietet mal wieder ein klassisches Barbarie-Programm. Will heissen: viel schwere, laute Gitarren, viel Rock, einiges an explosivem Partysound, aber doch auch ein gerüttelt Mass an Düsternis. Kamchatka beispielsweise, der Headliner des Samstagabends, sind ein europaweit bekannter Name für bluesigen Stoner-Rock. Für Mitorganisator Christoph Messerli geht am Freitagabend ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung, in Form des Auftritts von The Monsters. Die Berner Formation um den allseits bekannt-berüchtigten Reverend Beatman musziert in der im Rock eher selten praktizierten Besetzung von Gesang, zwei Gitarren und einem Schlagzeug, das allerdings von zwei Personen gleichzeitig gespielt wird. The Chikitas, ebenfalls am Freitagabend, sind ein derzeit sehr gefragter Festival-Act, finden aber Zeit für einen Abstecher nach Biel. Gespannt sein darf man auf die Mischung, welche die Band Les Orioles aus Biel fabriziert: Sie vermengt peruanischen Chicha (eine Subart des Cumbia) mit Afrobeat, Rock und Dub und bestreut diese Melange mit einer Dosis fiepsiger Elektronik. Fertig gute Laune dann zum Schluss: Disco Doom sorgen für einen lauten, gitarrengetränkten, psychedelisch-düsteren Barbarie-Abschluss. Dass das Programm so ausfällt, ist nicht allein dem Gestaltungswillen der Veranstalter geschuldet, sondern auch den Umständen: «Wir müssen aus jenen Bands auswählen, die für dieses Wochenende verfügbar sind», sagt Messerli. Der gute Ruf des unabhängigen Festivals und die entsprechenden Kontakte helfen dabei, auch an grössere Acts zu kommen. Die Verpflichtung von Kamchatka beispielsweise gelang dank der langjährigen Zusammenarbeit mit einer niederländischen Agentur. Mit hohen Gagen kann die Barbarie nämlich nicht locken: Das Festival verlangt auch dieses Jahr keinen Eintritt, das gesamte Budget wird durch den Barbetrieb finanziert, alle Helfer und auch die Organisatoren arbeiten ohne Lohn.

Mehrkosten am neuen Ort

Die Finanzlage ist gesund, allerdings musste das Budget für 2016 um gegen 15 Prozent erhöht werden. Grund ist der neue Standort. Die traditionelle Barbarie-Wiese hinter dem AJZ Gaskessel ist derzeit eine Baugrube. Nach einer überparteilichen Interpellation im Stadtrat hat die Stadt Biel der Barbarie aber die lückenlose Durchführung auch in den Umbauzeiten des Esplanade-Areals zugesichert. Darum ist die heurige Barbarie die «1st Asphalt Edition»: Sie findet auf dem neuen Esplanade-Platz statt. Aus den seichten Teichen wird das Wasser abgelassen, die gesamte Festivalinfrastruktur musste neu angeordnet werden. Wie sich der neue Ort mit Asphalt-Untergrund auf die Atmosphäre auswirken wird, ist noch offen. «Ich bin glücklich, dass wir die Barbarie überhaupt durchführen können», sagt Messerli. Da zudem die ehemalige Villa Fantaisie nicht mehr als Backstage-Bereich zur Verfügung steht, bedeutet dies erhebliche Mehrkosten, laut Christoph Messerli im fünfstelligen Bereich. Ein guter Teil davon entfällt auf die zusätzlichen Absperrungen, die auf dem freien Platz nötig sind. Auch das nach dem neuen Polizeireglement erstmals nötige Mehrwegbecher-System schlägt zu Buche.

Am Prinzip des Gratiseintritts wird gleichwohl nicht gerüttelt. «Das Festival ist offen für alle, die eine friedliche Party unter freiem Himmel geniessen möchten (…)», heisst es im Pressedossier. Christoph Messerli appelliert aber an das Verständnis der Besucherinnen und Besucher: «Ich hoffe, dass sich das Publikum solidarisch zeigt.» Mit einer Kollekte und dem Verkauf eines speziellen Barbarie-Mehrwegbechers soll der nötige Mehraufwand finanziert werden.

Wie lange die Barbarie auf dem Esplanade-Platz bleiben wird, ist noch offen. «Ich gehe davon aus, dass dies auch künftig unser Standort sein wird», sagt Christoph Messerli, «der neue Laure-Wyss-Platz in Form eines Teletubbie-Lands eignet sich weniger gut für ein Festival.»

Fernduell der Fussballschreiber

Traditionellerweise finanziert sich auch das Musikprogramm an der Braderie zu einem Teil über eine Art «Kollekte»: den Verkauf des Braderie-Pins. Der Zusammenhang zwischen Pin und Musik sei dem Publikum in letzter Zeit wieder vermehrt bewusst, sagt der Programmverantwortliche Olivier Sauter. Dazu trägt bei, dass dieser von auftretenden Künstlern gestaltet wird (dieses Jahr Christoph Kohli von Span). Denn hinter der Braderie-Organisation steckt nicht die Stadt, sondern ein Verein. Entsprechend wichtig ist die Einnahmeseite:«Unser Budget fürs Programm ist beschränkt. Wenn uns die Bands punkto Gagen nicht entgegenkämen, liesse sich ein so breites Programm gar nicht finanzieren.»

Programmlich findet sich an der Braderie wie gewohnt ein breiter Querschnitt durch die hiesige zeitgenössische Popmusik. Auf der Hauptbühne am Zentralplatz kommt es zum Fernduell der EM-Songschreiber: Freitagnacht treten Open Season auf. Das schon lange bestehende Kollektiv, ursprünglich vor allem als Ska-Band bekannt, hat sich in den letzten Jahren als wandlungsfähig erwiesen und diesen Frühsommer mit dem YB-Stürmerstar Guillaume Hoarau einen EDM-Song zur EM veröffentlicht: «Stand Together (Tous Ensemble)». Das offizielle «Tous Ensemble» gibts dann am Sonntagabend durch Gustav.

Der interessanteste Programmpunkt an der Braderie ist aber eine Band, die musikalisch gesehen geradesogut an der Barbarie auftreten könnte. Die Rede ist vom Bieler Quintett The Clive. Es hat kürzlich sein Debütalbum «Two Wrongs Don’t Make a Clive» veröffentlicht und besticht durch riffgetränkten, Siebziger-inspirierten, warmen Gitarrensound.

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Bands an der Barbarie
Freitag: Hotcha & The Teenage Lesbians From Hell, The Chikitas, The Monsters, DJ Caprese
Samstag: Trash Tongue, Groove Druids, Los Orioles, Blackwall, Desert Mountain Tribe, Kamchatka, The Parrots
Sonntag: Crossbone Shelling, The Sex Organs, Overdrive Amp Explosion, Metropolis, Disco Doom

Bands an der Braderie
Freitag: Pablopolar, Elijah, Open Season. DJ-Bühne: Mike Candys, Unic & Martis
Samstag: 4all, Container 6, Neckless, Span, Anna Rossinelli, Stevans. DJ-Bühne: Unic & Martis.
Sonntag: Andrea Bignasca, Spencer, The Clive, Gustav.
Zusätzlich reichhaltiges Programm auf dem Brunnenplatz.

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