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Biel

Atheisten bringen Verkehrsbetriebe in Bedrängnis

Die Verkehrsbetriebe Biel halten die Freidenker hin, die als Reaktion auf den Bibelspruch-Bus eine atheistische Werbung buchen möchten. Die Kontroverse erinnert an eine Debatte um religiöse Werbung im öffentlichen Raum, die vor bald zehn Jahren geführt wurde.

In London startete 2009 eine Werbeoffensive: Rund 800 Busse wurden in ganz Grossbritannien mit einer atheistischen Werbung versehen. 
Die Kampagne wurde daraufhin noch im selben Jahr in vielen Ländern kopiert – auch in der Schweiz. Symbolbild: Keystone
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Lino Schaeren

«Religion, das ist ein sensibles Thema», sagt Mohamed Hamdaoui. Dass da die Emotionen schnell einmal überhandnehmen, muss der Bieler Stadtrat und Kantonsparlamentarier (PSR) feststellen, als er Mitte August einen Trolleybus der Verkehrsbetriebe Biel (VB) bei der Tissot Arena knipst, auf dem der Bibelspruch «Der Herr segne dich» prangt. Ein Spruch, wie er seit Jahren von der Lysser Agentur C auch in Biel auf Plakatwänden platziert wird. Doch religiöse Werbung auf einem Fahrzeug des Staatsbetriebs VB?

Hamdaoui stellt sein Bild auf Facebook und schreibt dazu in gewohnt forscher Manier und mit Bezug auf sein Engagement für die Trennung von Kirche und Staat: «Jetzt bin ich wirklich wütend.» Der Sozialdemokrat erhält daraufhin durchaus Zuspruch, wird in Leserbriefen aber vor allem harsch kritisiert, in Kommentarspalten und in den sozialen Medien übel beleidigt und beschimpft. So sehr, dass er Anzeige erstattet. Von seinem Weg abbringen lässt er sich freilich nicht. Im vergangenen Monat reicht er im Bieler Stadtrat ein Postulat ein, fordert vom Gemeinderat, ein Verbot oder zumindest klare Regeln für religiöse Werbung in und an den Bussen der VB zu prüfen.

Und so sehr Hamdaoui von Personen, die ihm noch nie begegnet sind, für sein Engagement kritisiert wird, so sehr stellen sich sein Umfeld und auch die Bieler Politik hinter den Parlamentarier: Der Vorstoss wird nicht nur von einem Mitglied der Grünen, der Passerelle und der Partei der Arbeit unterzeichnet, sondern auch von Exponenten der BDP, der GLP und der SVP. Mit einer Antwort der Stadtregierung darf erst im kommenden März gerechnet werden. Hamdaoui sieht den Beweis für die Wichtigkeit seiner Intervention aber bereits heute als erbracht. «Denn jetzt», sagt er, «jetzt haben wir ein Problem.»

 

Eine internationale Kampagne
Jetzt treten die Atheisten auf den Plan. Die Berner Sektion der Schweizer Freidenker bittet bei den VB um eine Offerte für eine Werbung auf einem der Busse, analog zur Werbung der Agentur C. Das berichtet die Wochenzeitung «Biel Bienne». Der Werbespruch der Freidenker: «Da ist wahrscheinlich kein Gott, also sorg dich nicht, geniess das Leben». Und die Verkehrsbetriebe? Die sagen «Njet». Zumindest vorerst.

Hatte man die christliche Werbung im Frühjahr noch zugelassen, verweist man nun auf rechtliche Abklärungen, VB-Direktor Christophe Kneuss spricht im «Biel Bienne» von einem in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten. «Mit Verwunderung» reagiert man bei der Freidenkersektion Bern auf die Antwort aus Biel, wie Co-Präsidentin Eliane Schmid gegenüber dem BT sagt. Verwundert darüber, dass das Gutachten erst jetzt erstellt wird. Grundsätzlich begrüsse man diesen Schritt aber, schaffe dieser doch Klarheit und damit «die Grundlage für die Gleichbehandlung der Weltanschauungen».

Die Freidenker haben Erfahrung damit, mit geplanten Kampagnen auf Ablehnung zu stossen. 2009 war es, als man ebenfalls als Reaktion auf die Bibelzitate der Agentur C eine nationale Werbeoffensive auf Plakatwänden sowie in und an Bussen initiierte. Die Botschaft lautete damals praktisch gleich wie nun in Biel: «Wahrscheinlich gibt es keinen Gott. Hör auf, dir Sorgen zu machen, und geniess das Leben.»

 

Kampagne stammt aus London
Der Spruch wurde nicht überall geduldet. «Gott unter Denkmalschutz» titelte damals die Zeitung «Der Bund». Die Exekutive des Kantons Zug hatte die Werbeplakate verboten mit der Begründung, der Aushang sei zu provokativ und ein Affront für die Gläubigen. Bemerkenswert war diese Haltung auch deshalb, weil der Kanton Luzern nur wenige Tage zuvor eine Kehrtwende vollzogen hatte: Ursprünglich hatte auch Luzern die Plakate verboten, weil sich die Landeskirchen ob der Kampagne der Atheisten aber gelassen gaben, kam der postwendende Rückzieher. Doch nicht nur die Kantone, auch die Verkehrsbetriebe im Kanton Bern haben sich damals unterschiedlich verhalten. Während Bern Mobil aufgrund der Atheisten-Kampagne entschied, ab sofort auf jegliche religiöse Werbung zu verzichten, sah man 2009 bei den Verkehrsbetrieben Biel kein Problem mit der Werbung der Freidenker.

Erfunden wurde die «gottlose» Kampagne allerdings nicht in der Schweiz, die Freidenker-Vereinigung sprang vor neun Jahren auf eine aus London ausgehende Initiative auf, die sich rasend schnell international ausbreitete, danach aber auch relativ schnell wieder verschwand. Während in der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs die Doppelstöcker mit dem Werbeaufdruck durch die Strassen kurvten, blieb die Aktion in der Schweiz vergleichsweise klein; in Deutschland wurde die Bus-Kampagne in den allermeisten Städten verboten, weshalb die Atheisten mit einem selbst finanzierten Doppeldecker-Bus zur Deutschland-Tournee aufbrachen.

 

«Scheuen Kontroverse nicht»
Doch zurück zu den Bieler Bussen. Die VB wollen nun also die internen Richtlinien überdenken. Diese sollen künftig «eine solide Grundlage für eine Entscheidung darüber bieten, ob eine religiöse und/oder politische Werbung genehmigt werden soll oder nicht», wie es in einem gestern verschickten Communiqué heisst. Und: «Nach einem Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahr 2012 über einen Fall der Verweigerung einer religiösen Werbung durch die SBB am Bahnhof Zürich ist es wichtig, unseren Handlungsspielraum in Bezug auf mögliche Einschränkungen unter Wahrung des Prinzips der Meinungsfreiheit zu kennen.» Weiteres ist nicht zu erfahren, Fragen werden von den VB keine mehr beantwortet. Die Ergebnisse würden kommuniziert, «sobald diese zur Verfügung stehen».

Im «Biel Bienne» liess sich Kneuss noch zitieren, dass die Abklärungen «eine Reaktion auf die kontroverse, teilweise sehr emotionale Wirkung der zur Diskussion stehenden Werbung in der Öffentlichkeit» seien. Und eine solche Wirkung sei bei den Verkehrsbetrieben «grundsätzlich unerwünscht». Von daher überrascht es nicht, dass die Freidenker nun hingehalten werden bis das Gutachten vorliegt, zielt ihre Kampagne doch genau auf eine Kontroverse der Weltanschauungen ab. Eine Kontroverse der Ideen, der Weltanschauungen, «die wir nicht scheuen», sagt Eliane Schmid. Wohl aber die VB.

 

«Eine Türe aufgestossen»
Mohamed Hamdaoui befürchtet indes, dass weitere Interessen kommen könnten. «Es wurde eine Türe aufgestossen», sagt er. Eine offene Türe, auf die der Bieler SP-Politiker dann mit seiner öffentlichen Kritik hingewiesen hat. Die geplante Werbung der Freidenker findet Hamdaoui zwar «nicht besser» als jene der Agentur C, es sei jedoch nur schwer nachvollziehbar, wieso die beiden von den VB nicht gleich behandelt worden seien. «Mir wäre am Liebsten, beide wären abgelehnt worden.»

Das könnte durchaus nachträglich noch passieren, zumindest deuten die VB dies an, wenn sie in der Mitteilung schreiben, dass die Offertenanfrage der Freidenker erst bei Vorliegen des Rechtsgutachtens fundiert beantwortet werden könne. Und erst dann würde «eine mögliche Entfernung der Werbung der Agentur C in Frage kommen». Dass sich die Atheisten bis dahin von sich aus zurückziehen, scheint unwahrscheinlich. Denn bei den Freidenkern meint man es offenbar ernst mit der Buswerbung in Biel. Schmid verneint, mit der Offertenanfrage nur provozieren zu wollen. «Wenn es unsere finanziellen Mittel zulassen, ist es uns ernst damit», sagt sie. Nun gilt es aber erst einmal, die juristischen Erwägungen abzuwarten. Und auch die Politik wird hier noch ein Wörtchen mitreden wollen. Hamdaoui sagt: Die juristische und die politische Antwort, «es braucht sie beide».

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