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Biel

Bei ihnen stehen die Türen stets offen

Drei Familien teilen sich im Mühlefeldquartier nicht nur das Haus, sondern auch die Vorratskammer. Gemeinsam halten sie Hühner, befolgen einen Ämtliplan und einmal pro Woche kochen sie füreinander.

Im Garten treffen sich die drei Familien – oder wer gerade da ist – zum Spielen, Diskutieren und Essen. Matthias Käser
  • Dossier

von Carmen Stalder

Langweilig wird es den Kindern am Richard-La Nicca-Weg im Mühlefeldquartier nie. Im Haus mit drei Wohnungen hat es stets genug andere Gspändli. Hat ein Mädchen oder Junge sein eigenes Spielzeug satt, gibt es bei den Nachbarn bestimmt noch genügend Alternativen. Und nicht zuletzt wartet draussen ein grosser Garten, der ein wenig wie ein Abenteuerspielplatz anmutet. Das Haus im ruhigen Wohnquartier wird von drei Familien bewohnt, die hier eingemietet sind. Gekannt haben sie sich früher nicht wirklich – wenn, dann höchstens vom Sehen. Mittlerweile sind sie aber zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen. «Unsere Freundschaft ist durch das gemeinsame Wohnen entstanden», sagt Julian Meier, der mit seiner Frau Vera und der bald zweijährigen Tochter in der mittleren Wohnung lebt.

Die Familien sind mehr als nur gewöhnliche Nachbarn, die sich im Treppenhaus grüssen und sich während den Ferien die Blumen giessen. Dafür spricht etwa die gemeinsame Vorratskammer im Keller, gefüllt mit kiloweise Reis, Linsen, Teigwaren, Haferflocken und Öl. Es sei doch doof, wenn sich jede Partei wöchentlich 500 Gramm Pasta kaufe – da besorge man sich lieber 15 Kilogramm auf einmal, so die Devise. Dadurch muss nicht nur weniger oft eingekauft werden, es entsteht auch weniger Verpackungsmüll. Als seine Frau mit 25 Kilogramm Linsen nach Hause gekommen sei, habe er zwar leer geschluckt, sagt Meier. Heute, und damit knapp zwei Jahre später, ist davon tatsächlich fast alles aufgegessen.

Weiter gibt es ein gemeinsames Haushaltskonto, auf das die drei Familien regelmässig einen Beitrag einzahlen. Mit dem Geld wird nicht nur die Vorratskammer aufgefüllt, sondern auch alles Gartenmaterial eingekauft und das Hühnerfutter besorgt. Hinter dem Haus befindet sich ein selbstgezimmerter Stall, den vier Brahma-Hühner ihr eigen nennen. Die auffällig grossen Hühner ziehen mit ihren gefiederten Füssen alle Aufmerksamkeit auf sich, lassen sich von den herumwuselnden Kindern aber keineswegs aus der Ruhe bringen. Für den Eier-Vorrat ist dank den vier stolzen Damen stets gesorgt.


Gekocht wird meist vegetarisch

Immer am Montag treffen sich alle Bewohnerinnen und Bewohner zum Haus-znacht. Abwechslungsweise ist eine Familie mit Kochen dran. Mal gibt es einen einfachen Teller voll Teigwaren, mal landet ein aufwendiges Menü auf dem Tisch. «Meine Spezialität ist das indische Linsengericht Daal», sagt Roger Spitzer, der gemeinsam mit seiner Frau Miriam Rupf und den beiden Kindern in der untersten Wohnung lebt. Das gemeinsame Essen ist stets vegetarisch, da sich eine Mehrheit der Bewohnenden fleischlos ernährt. Wenn immer möglich finden diese Treffen – und auch sonst alle möglichen Aktivitäten – draussen im Garten statt.

Besonders im Sommer ist dieser das Herzstück des Hauses, in dem sich immer wieder auch weitere Nachbarskinder einfinden. Eigens dafür haben die Familien eine Rutschbahn gebaut, die in den Garten von nebenan führt. Sowieso sind dank gemeinsamen Gartentagen bereits viele Projekte umgesetzt worden. Blumenbeete, selbst gepflanzte Obstbäume, ein Sandkasten und seit neustem ein Pizzaofen sind rund um das Haus zu finden. Gebaut wurde dieser von Meier und Spitzer, das Material dafür haben sie in der Nachbarschaft zusammengetragen. «Jetzt haben alle Freude daran – und es gibt jede Woche zweimal Pizza», sagt Meier lachend.

Ein Ämtliplan sorgt dafür, das Haus in Schuss zu halten. Jeweils einen Monat lang muss jede Familie entweder die Abfallcontainer auf die Strasse stellen, die Hühner füttern und den Stall ausmisten oder die allgemeinen Flächen wischen. Das klappe gut, sind sich die Bewohnenden einig. Auf gegenseitige Unterstützung können die Familien auch beim Kinderhüten zählen. Da alle Erwachsenen Teilzeit arbeiten, ist immer jemand da, der ein Auge auf die Kleinen haben kann. Dank der Mithilfe der Grosseltern und einigem Organisationstalent besucht deshalb keines der Mädchen und Jungen eine Kita.


Kinder gehen ein und aus

Als die drei Familien vor zwei Jahren neu ins Haus eingezogen sind, haben sie zuerst ausprobiert, alle in derselben Wohnung zu schlafen. Das habe sich allerdings nicht bewährt. Nun leben die drei Parteien jeweils in der eigenen Wohnung. Die Türen stehen aber stets allen offen und werden nur selten abgeschlossen. Das wird besonders von den Kleinen rege genutzt. «Die Kinder sehen sich täglich, da gibt es eine enge Bindung», sagt Spitzer. Kurz darauf erwacht die Tochter von Meier aus ihrem Mittagsschlaf. Kaum hat sie sich die Augen wachgerieben, fragt sie bereits nach dem Mädchen aus dem unteren Stock. «Sie ist momentan ihre absolute Nummer eins», sagt der Vater. Und das mit der engen Bindung glaubt man spätestens ab diesem Augenblick.

Auf die Frage nach allfälligen Konflikten fällt weder Julian Meier noch Roger Spitzer etwas ein. Klar gebe es immer wieder mal Diskussionen zwischen den verschiedenen Parteien im Haus. Aber: «Da wir uns gut kennen, herrscht eine grosse gegenseitige Akzeptanz», so Spitzer. Und Meier ergänzt: «Weil wir viel miteinander sprechen, kommt es gar nicht erst zu Konflikten.»

Wie lange die Wohngemeinschaft noch weiter besteht, ist allerdings unklar. Die Familie aus dem untersten Stock zieht es längerfristig zurück ins Zürcher Oberland. Kommt hinzu, dass die Dreizimmerwohnungen jeweils nur knapp 60 Quadratmeter gross sind. Gibt es mehr Familienzuwachs, könnte der Platz also irgendwann zu eng werden.

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