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Biel

«Biel ist meine Heimat»

Laute Seniorengruppen, schreiende Kinder und Füsse auf dem Sitz findet Kaj Evers im Zug völlig daneben. Weshalb er trotzdem fast täglich von Biel nach Zürich pendelt, wird heute Abend in der Dokumentarreihe «SRF Heimatland – Wir Pendler» gezeigt.

Der Bieler Kaj Evers, Bild: Stefan Leimer

Interview: Hannah Frei

Kaj Evers, Cheftechniker des Zürcher Theaters am Hechtplatz, wohnt in Biel und pendelt seit fünf Jahren fast täglich zwischen seiner Heimat und seinem Arbeitsort hin und her. Heute Abend startet die neue Serie «SRF Heimatland – Wir Pendler» um 21.05 Uhr auf SRF 1, in der unter anderem Evers auf der Strecke zwischen Biel und Zürich begleitet wird.

Kaj Evers, was bedeutet das Zugfahren für Sie?

Kaj Evers: In erster Linie ist es eine Pflicht für mich. Viele Leute sind erstaunt, dass ich jeden Tag von Biel nach Zürich pendle, sowohl Zürcher als auch Bieler. Für sie ist das eine Weltreise. Ich persönlich habe jedoch gar keine Mühe mit dieser Strecke. Ich habe lange in Deutschland gearbeitet und dort hatte ich teilweise Arbeitswege, die bis zu 600 Kilometer lang waren. Ich glaube, ich habe ein anderes Distanzverhältnis als die meisten Schweizer.

Das heisst, für Sie gibt es keine Obergrenze bei der Pendlerzeit? Es könnten auch zwei oder drei Stunden sein?

Ich habe einen solch tollen Job. Und ich liebe es, in Zürich arbeiten zu dürfen. Zürich hat Arbeitsqualität auf höchstem Niveau, die Biel nicht aufweisen kann. Und Biel hat eine Lebensqualität, die man in Zürich nicht findet. Das ist der Hauptgrund, weshalb ich pendle und die langen Wege in Kauf nehme. Klar, es ist nicht immer leicht und manchmal wünsche ich mir, dass sich das Theater, in dem ich arbeite, gleich neben meiner Wohnung befinden würde. Auf der anderen Seite wäre die Arbeit gleich nebenan. Dann würde mir die Distanz fehlen.

Was meinen Sie damit, wenn Sie von einer hohen Lebensqualität in Biel sprechen?

Zuerst einmal ist mir mein Garten wichtig. In der Stadt Zürich kann man es vergessen, einen solch grünen und grossen Garten zu finden. Und wenn man einen solchen Garten hat, dann zahlt man gleich 2000 Franken mehr dafür als in Biel. Aber es ist nicht nur eine finanzielle Frage. In Biel herrscht eine ganz andere Mentalität, eine Mentalität, die für mich stimmig ist. Es geht in Biel eher in Richtung «Laisser-faire», man ist nicht so streng und stur. Ich mag die Zürcher und ich arbeite auch gerne dort. Jedoch kann ich mir nicht vorstellen, in Zürich zu leben.

Dann ist Biel Ihre Heimat, Ihr Zuhause?

Ja, Biel ist meine Heimat. Ich und meine Frau fühlen uns extrem wohl hier. Aber, jetzt kommt ja die grosse Bedrohung: der Westast. Wenn der kommt, muss ich sagen, hält uns nichts mehr in Biel. Wir wohnen direkt am See, in zwei Minuten sind wir am Strandboden. Durch den Westast hätten wir während 15 Jahren eine Baustelle vor die Nase.

Zurück zum Pendeln: Treffen Sie im Zug immer dieselben Leute?

Nein, gar nicht. Ich habe sehr selten Begegnungen im Zug. In dieser Hinsicht bin ich vielleicht ein spezieller Pendler, denn ich fahre immer zu einer anderen Zeit und habe unregelmässige Arbeitszeiten. Manchmal bin ich am Morgen um 6.15 Uhr bereits im Zug, manchmal erst am Nachmittag um 16 Uhr.

Wie fragen Sie eine Person, die sie nicht kennen, ob Sie sich neben sie setzen dürfen?

Ich muss ganz selten fragen. Wenn ich in Biel einsteige, sind immer Plätze frei. Bis Olten füllt sich der Zug meistens. Und dann fragen die Leute mich, ob sie sich neben mich setzen dürfen und nicht umgekehrt. Dasselbe gilt für Zürich. Und wenn ich einmal sehe, dass der Zug richtig voll ist, dann mache ich einen Klassenwechsel.

Fühlen Sie sich vom Pendeln manchmal gestresst?

Es ist eine extreme Einstellungssache. Wenn man sich vom Pendeln stressen lässt, dann ist man logischerweise auch gestresst. Aber ich versuche, das Positive wahrzunehmen. Wenn ich in Zürich ankomme, dann bin ich parat für die Arbeit, den Kaffee kann ich bereits im Zug trinken. Und umgekehrt bin ich schon richtig in Feierabendstimmung und runtergefahren, wenn ich zuhause ankomme.

Wie kamen Sie dazu, bei «SRF Heimatland – Wir Pendler» mitzumachen?

Durch Bänz Friedli, einem guten Bekannten von mir. Er ist Kabarettist und Schriftsteller, und schrieb früher eine Pendlerkolumne. Seine Frau ist in der Produktionsleitung der Dokumentationsreihe von SRF, und so fanden wir einander.

Wie waren die Dreharbeiten für Sie?

Ich werde zwar nur zehn Minuten in der «DOK»-Serie zu sehen sein, trotzdem waren die Dreharbeiten sehr intensiv. Das Kamerateam hat mich einen ganzen Tag lang begleitet. Insgesamt dauerte die Zusammenarbeit drei Tage. Am ersten Tag wurde ich um 6.45 Uhr am Bahnhof verkabelt und am zweiten haben Sie mich um 0.30 Uhr wieder «entkabelt». Die TV-Crew von SRF war während dieser Zeit sehr präsent.

Gibt es Dinge, die Sie beim Pendeln richtig nerven?

Ja, besonders Seniorengruppen. Die scheinen alle schwerhörig zu sein und sind daher unglaublich laut. Zudem brauchen sie viel Platz. Fast noch schlimmer finde ich Menschen, die ihre Füsse auf den gegenüberliegenden Sitz legen. Sie ziehen die Schuhe aus und fühlen sich ganz zuhause, das geht doch nicht. Wir sind doch nicht im Zug daheim.

Immerhin ziehen sie die Schuhe aus. Weshalb fühlen Sie sich denn durch die in Socken eingepackten Füsse gestört?

Das macht man doch einfach nicht. Man ist «gopferdammi» nicht zuhause, sondern in einem öffentlichen Raum. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich meine Schuhe ausziehen würde, und meine Socken den Mitfahrenden präsentiere. Ich will doch nicht wissen, wie die Socken vom Typ nebenan aussehen. Dies ist für mich grenzüberschreitend. Familien mit Kleinkinder sind auch noch erwähnenswert. Die sind der Horror. Ich und meine Frau haben gemeinsam vier Kinder. Aber wenn die Eltern die Kinder im Zug dann zwangserziehen müssen, dann finde ich dies richtig daneben. Stellen Sie sich vor, man döst gemütlich im Zug, und plötzlich startet das Geschrei: «Bääääää». Dann werden alle schönen Gedanken wieder über den Haufen geworfen. Und dann bis nach Zürich, das ist kaum aushaltbar.

Was machen Sie dagegen, wenn Sie sich im Zug von den Mitreisenden gestört fühlen?

Bei lauten Telefonaten, oder wenn ich das Lied, das der Gegenübersitzende gerade hört, erkennen kann, dann spreche ich die Personen an und bitte um Ruhe. Bei Kleinkindern und Seniorengruppen hat man keine Chance. Bei der kleinsten Reklamation wird man fast umgebracht. Da hilft nur noch ein Platzwechsel.

Stichwörter: Biel, Pendeln, Zug, Verkehr, Reisen, Zürich

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