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Biel

Bildung: Eltern müssen mitziehen

Die neue Bildungsstrategie peilt die bessere Integration fremdsprachiger Kinder und Eltern an. Die Chancengleichheit soll gefördert werden. Der Druck auf die Eltern dürfte dadurch zunehmen.

Bildungsdirektor Cédric Némitz streicht die Qualität der Bieler Schulen heraus, weiss aber: Es gibt noch viel zu tun. copyright:Anne-Camille Vaucher/bieler tagblatt

von Patrick Furrer

Die bessere Eingliederung fremdsprachiger Kinder ist eines der wichtigsten Ziele der Bildungsstrategie 2015 - 2018 der Stadt Biel. Der Anteil an Schülern, die weder Französisch noch Deutsch können, ist aussergewöhnlich hoch. Es soll sogar Kindergartenklassen geben, in denen kein einziges Kind eine Landessprache spricht. Dabei ist es für sie wesentlich, die Unterrichtssprache zu verstehen, damit sie den Anschluss nicht verlieren und die Chancengleichheit gewahrt bleibt. Versagen sie in der Schule, versagen sie vielleicht später im Beruf und sind – wie manche Eltern heute schon – auf Sozialhilfe angewiesen.

Der Bieler Gemeinderat hat die Strategie am 4. Februar genehmigt. Gestern stellten Bildungsdirektor Cédric Némitz (PSR), Schulabteilungsleiter Peter Walther und zwei Vertreterinnen der Schulkommissionen die drei Stossrichtungen mit gesamt acht Handlungsfeldern vor. Besondere Aufmerksamkeit werden nebst der Chancengleichheit beim Eintritt in die Schule (Frühförderung), der Attraktivität des Lehrerberufs und der Informatikausrüstung geschenkt.

Eltern zur Verantwortung ziehen

Bei der Frühförderung hat Biel in den letzten vier Jahren gemäss Walther einiges erreicht (siehe Infobox). «Dennoch bleibt noch viel zu tun», mahnte der abtretende Leiter der Abteilung Schule und Sport. Viele Fünfjährige hätten einen beträchtlichen Entwicklungsrückstand, weil die Eltern ebenfalls fremdsprachig sind. Es reiche nicht, die Kinder an die Sprache heranzuführen, auch die Eltern seien gefordert.

Obwohl das Strategiepapier naturgemäss sehr theoretisch ist, gibt es bereits konkrete Ideen. Künftig werden die Eltern von Kindern, die in den Chinsgi kommen, schon ein Jahr vor dem Eintritt und in ihrer eigenen Sprache informiert, um sie besser abzuholen. Eine Neuerung, die auch die beiden anwesenden Vertreterinnen der deutschen und französischen Schulkommissionen, Susanna Mühlethaler und Natasha Pittet begrüssten. Im Kindergarten soll zudem mehr Personal eingesetzt werden. Es müsse mehr subventionierte Krippenplätze geben. Eltern-Begleitprojekte wie «Schrittweise» sollen ausgebaut werden. Auch soll bei der freien Schulwahl der Eltern künftig bei Bedarf interveniert werden.

Die Ziele sind hochgesteckt. Némitz wies auf den grossen Spardruck hin. Man habe eine Strategie erarbeitet, «die machbar ist und die reale Ausgangslage berücksichtigt». Grundsätzlich gäben die Lehrerinnen und Lehrer in Biel tagtäglich ihr Bestes. Als Stärken nannte Némitz das zweisprachige Unterrichtskonzept Filière Bilingue, das Projekt zur schulischen Talentförderung im Volksschulbereich und die Zweisprachigkeit im Allgemeinen. Er bedauerte aber auch, dass dem Kantonsparlament «das Feingefühl für die spezifischen Herausforderungen in Biel oft fehlt».

Biel soll auch profitieren können

Ein Zeichen setzen könnte der Kanton Bern hier mit einem geplanten Pilotprojekt, an dem Biel sich beteiligen will. Dabei geht es um einen flexiblen Ressourceneinsatz. Statt nach Schülerzahlen Klassen zu schliessen oder zu eröffnen, sollen auch Halbklassenunterricht oder neue Mischformen möglich werden. Die Schulen sollen per vordefinierten Wert pro Schüler eine Anzahl Lektionen erhalten. Das ermöglicht den Schulleitungen (und nicht den Gemeinden) einen grösseren Handlungsspielraum in der Lektionenverteilung. Auch die Entwicklung der wegen der Kosten stetig wachsenden Klassengrössen könnte dadurch eventuell gebremst werden. Némitz sagte, die Klassengrössen müssten zwar auch auf das kommende Schuljahr wieder erhöht werden. Das werde aber wie immer «in einem vernünftigen Rahmen» sein.

Für Lehrer attraktiver werden

Der Einsatz der Ressourcen und die Klassengrösse haben einen Einfluss auf die Attraktivität der Stadt als Arbeitgeberin. Die Arbeitsbedingungen sollen weiter verbessert werden, erklärte Walther. Die Durchmischung in den Klassen und die Anzahl Schüler pro Einheit können für die Lehrkräfte eine hohe Arbeitsbelastung bedeuten. Genügend Lehrer zu finden, ist nicht einfach.

Die zweite Stossrichtung der Bildungsstrategie zielt deshalb darauf ab, dass die Schulen als Arbeitgeber noch attraktiver werden. Schulkommissionsvertreterin Mühlethaler erinnerte daran, dass den Lehrerinnen und Lehrern für ihre gute Arbeit eine hohe Wertschätzung gebühre. Das gehe angesichts von negativen Schlagzeilen zu den Bieler Schulen leider allzu oft vergessen.

Attraktiver werden sollen die Schulen – nebst den bereits genannten Faktoren Klassengrösse und Ressourceneinsatz – auch mit einer ausreichenden Unterstützung der Lehrer durch besondere Massnahmen  (beispielsweise integrative Förderung, Deutsch als Zweitsprache oder Begabtenförderung) und Schulsozialarbeit neu im Kindergarten und auf Primarstufe. In beiden Bereichen würde Bildungsdirektor Némitz die Stellenzahl gerne erhöhen.

Die Stadt ist im Rückstand

Die dritte Stossrichtung betrifft die Infrastruktur und technische Ausrüstung der Schulen. Es müsse weiterhin in den Schulraum investiert werden, «obwohl wir bereits heute über viele sehr schöne Schulhäuser verfügen», sagte Némitz. Doch noch entsprechen nicht alle Schulen den heutigen Bedürfnissen.

Auch in Bezug auf eine zeitgemässe Informatikausrüstung besteht gemäss Peter Walther Nachholbedarf, denn «Biel ist mit seiner IT-Ausrüstung im Rückstand». Vor allem fehlt es gewissen Schulhäusern an einem stabilen Netz und Netzwerk sowie ausreichend Computern. Auch hier hat Gemeinderat Cédric Némitz einiges aufzuholen.

 

Positive Zwischenbilanz

• Die vorliegende Bildungsstrategie ist erst die zweite seit der Revision des Volksschulgesetzes. Sie ist knapper als die Strategie 2010-2014.
• Gemäss Schulabteilungsleiter Peter Walther konnte in den vier Jahren der ersten Strategie einiges erreicht werden, wobei manches aber noch unerreicht ist. Die Stärkung des Kindergartens beispielsweise ist noch nicht da, wo die Politik hinwill.
• Erreichte Ziele gibt es bei der Frühförderung, den Tagesschulen und bei der Förderung der Zweisprachigkeit. Das Frühförderungskonzept ist etabliert. Die Anzahl der Kleinklassen wurde halbiert. Es gibt immer mehr Tagesschulen. Die zweisprachigen Klassen der «Filière Bilingue» funktionieren – müssen aber geografisch noch ausgeweitet werden.
    fup

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