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Samstagsinterview

«Das ist schon extrem hart am Limit»

Public Viewing, Lakelive-Festival, Royal Arena Festival: Eventorganisator Nicolas Dähler und seine Kollegen werden den Sommer 2018 wohl nie vergessen. Drei Grossevents in nur zwei Monaten, das geht auch an einem erfahrenen Mann wie Dähler nicht spurlos vorbei. Wie er gelernt hat, mit Risiken zu leben und trotzdem entspannt zu bleiben, erzählt er im Interview.

Nicolas Dähler sagt über seine Firma: «Wir sind immer noch dieselben vier, fünf Jungs, die noch immer aus Freude das machen, was vor 19 Jahren begonnen hat.» copyright: matthias käser/bieler tagblatt

Interview: Parzival Meister

Nicolas Dähler, wann haben Sie zum letzten Mal Sommerferien gemacht?
Nicolas Dähler (lacht): Uff, das ist schon sehr lange her (überlegt). Seit wir selbstständig sind, also seit 2010, sicher nie mehr. Und auch schon die Zeit davor nicht … ich kann mich gerade nicht an das letzte Mal erinnern.

 

Wann finden Sie Zeit für die Familie?
Von Herbst bis Frühling.

 

Was haben Sie in dieser Phase für ein Arbeitspensum?
Dann habe ich quasi einen ganz normalen 100-Prozent-Job, arbeite Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr.

 

Wenn also die Abrechnung des Royal Arena Festivals gemacht ist, macht ihre Agentur Betriebsferien?
Es ist tatsächlich so, dass wir im September runterfahren. Ab Oktober sind wir dann wieder voll dahinter. Natürlich nicht so intensiv wie jetzt, wir gönnen uns auch mal ein verlängertes Wochenende oder ein paar Tage frei, aber grundsätzlich ist dann wieder einiges los.

 

Was machen Sie als erstes, wenn Sie im Oktober die Arbeit aufnehmen?
Die Konzeptionierung und Planung des nächsten Jahres. Wir treffen uns mit unseren Partnern, machen Brainstormings, gleisen auf, was neu ist. Ziemlich schnell treffen wir uns dann mit den Behörden, um abzuklären, ob auch von dieser Seite her alles in Ordnung ist.

 

Und wann beginnt die Suche nach den Künstlern?
Beim Booking sind wir zum Teil schon dran. Bei den Grossen muss man früh anfragen, damit sie einen auf dem Radar haben.

 

Wie muss man sich das als Laie vorstellen: Sie setzen sich mit ihren Partnern zusammen und überlegen sich, wen man auf die Bühne holen will?
Wir haben ganze Listen mit Acts, die wir gerne haben wollen. Ob wir sie bekommen, ist eine andere Frage. Freundeskreis (Hauptact des diesjährigen Royal Arena Festivals, die Redaktion) haben wir vor zwei Jahren in Zürich gesehen und haben dann sofort die Fühler ausgestreckt. Für dieses Jahr hat es dann geklappt.

 

In einem «normalen» Jahr kümmert sich ihre Eventagentur um die Organisation des Royal Arena Festivals und führt weitere, aber kleine Anlässe durch. Heuer haben Sie mit ihren Partnern von Mitte Juni bis Mitte Juli das Public Viewing auf dem Seemätteli Nidau organisiert, dann haben Sie das Lakelive Festival durchgeführt und nächste Woche laden Sie zum Orpundart und zum Royal. Wie steht es um Energiereserven von Ihnen und Ihrem Team?
Alle diese Events innerhalb von nur zwei Monaten: Das ist schon extrem hart am Limit. Mehr geht nun wirklich nicht. Die Jungs bringen das Material direkt vom Seeufer nach Orpund. Normalerweise schliessen wir einen Event richtig ab, aber jetzt geht es gleich weiter. Das ist nicht immer sehr menschlich.

 

Das Royal Arena Festival organisieren Sie seit über zehn Jahren. Das Public Viewing auf dem Seemätteli haben Sie schon zum vierten Mal durchgeführt. Events also, die zwar Aufwand mit sich bringen, die Sie aber im Griff haben. Beim Lakelive war alles neu.  
Es gab für uns nach langem mal wieder eine neue Herausforderung, die allen gut getan hat. Böse Zungen behaupten, dass wir uns in den letzten Jahren in der Komfortzone bewegt haben: Alle Events laufen, das Risiko ist einigermassen berechenbar. Wir haben die Events zwar immer wieder aufgepeppt, dafür gesorgt, dass wir Neues bieten können. Aber die Grundkonzepte waren schon da. Beim Lakelive mussten wir von Null an beginnen, das ist etwas völlig anderes.

 

Die Initialzündung für das Lakelive Festival kam von den Gemeinden Biel und Nidau. Sie suchten per Ausschreibung einen Veranstalter, der für die Bielerseebucht einen Event entwickelt. Sie haben sich darum beworben, auch im Wissen, dass da viel Arbeit auf Sie zukommt.
Lustigerweise haben wir schon vorher an einem Sommerevent herumgetüftelt. Wir hatten bei der Stadt einen Antrag für ein Fest auf der Esplanade eingereicht. Aber dann wurde relativ schnell klar, dass zum Beispiel die Dezibel-Beschränkungen auf der Esplanade eine zu grosse Einschränkung darstellen würde. Gewisse Rahmenbedingungen müssen einfach stimmen, wenn man so etwas realisieren will.

 

Und dann kam die Ausschreibung …
Genau. Wir hatten also schon ein Grundkonzept in der Schublade, das wir dann für die Seebucht anpassen und einreichen konnten. Von Anfang an war klar, dass es sich hierbei nicht um ein reines Musikfestival handeln darf. Und so kam die Zusammenarbeit mit Fränk Hofer zu Stande. Von unserer Seite übernahmen Marcel Sallin und Lukas Hohl die Hauptverantwortung. Für uns war besonders wichtig, dass das Fest nicht nur einmal stattfinden kann. Drei Jahre wurden uns in Aussicht gestellt, aber wir beurteilen die Situation von Jahr zu Jahr neu.

 

Ist eine Fortsetzung schon sicher?
Natürlich können wir noch keine 100-prozentige Zusage geben, dazu müssen wir zuerst alles sauber analysieren und viele Gespräche führen. Aber ich kann sagen: Für die Umstände, dass das Festival neu war, lief es wirklich sehr, sehr gut.

 

Sind Sie zuversichtlich, bei einer weiteren Durchführung die angestrebten 100'000 Zuschauer anzulocken?
Wir sind natürlich etwas enttäuscht, dass wir diese Zahl nicht erreicht haben. Und die 80'000 Zuschauer, die wir jetzt erreicht haben, sind auch auf das gute Wetter zurückzuführen. Doch wir haben gesehen, dass das Potential da ist. Das erste Jahr ist immer am schwierigsten. Ausser natürlich man würde einen Act buchen in der Kategorie eines Eminem, wie dies das Openair Frauenfeld getan hat und innerhalb einer halben Stunde 50'000 Tickets absetzen konnte.

 

Aber das würde auch bedeuten, dass das Lakelive Festival in eine höhere Preiskategorie gehoben würde.
Nein, nicht unbedingt. Man könnte nach wie vor eine Mischung anbieten: An einem Abend ein grosser Act zum entsprechenden Preis, am anderen Abend dann wieder Konzerte, die zu einem tiefen Preis besucht werden könnten.

 

Das St. Gallen Openair war nicht ausverkauft. Der Gurten war nicht ausverkauft. Es scheint keine gute Zeit für Festivals zu sein.
Nein, der Zeitpunkt für ein weiteres Musik-Festival ist wirklich nicht ideal. Alle haben zu kämpfen. Wir sind langsam aber sicher einem Punkt, an dem man sagen kann: Es gibt genügend Musik-Festivals.

 

Trotzdem wollen Sie weitermachen?
Wir wussten schon im Vorfeld, wie die Festivalsituation aussieht. Auch wenn das Lakelive nicht am selben Wochenende wie andere stattfand, war klar: Die Leute haben nicht genug Geld, um jedes Wochenende ein Konzert zu besuchen. Mit unserem Angebot sind wir der Konkurrenz bewusst aus dem Weg gegangen. Die Botschaft dahinter war immer: Wir holen den Expo-Groove zurück ans Seeufer. Blicken wir auf die letzten 20 Jahre zurück, muss man  sagen, dass die Expo-Zeit die schönste Zeit in Biel war. Mit dem Lakelive wollten wir einen Anlass kreieren, der nicht einfach als Musikfestival wahrgenommen wird, sondern als der «Place to be». Als einen Ort, an den man einfach hingehen und etwas erleben kann. Wir hatten Sport-, Kultur- und Musikangebote, aber man konnte das Gelände auch einfach besuchen und etwas trinken. Wie an der Expo halt. Ich war damals jeden Abend da, habe einfach das Ambiente genossen. Diesen Groove wollten wir vermitteln und das ist uns mit dem Lakelive gelungen.

 

Sie haben angesprochen, dass Sie Ihr ursprüngliches Konzept für ein Sommerfest auf der Esplanade fallen liessen, weil die Lärmbeschränkungen zu strikt gewesen wären. Doch auch am Lakelive gab es Vorschriften. Wieso haben Sie es trotzdem gewagt?
Da der Anlass von den Städten ausgeschrieben wurde, hatten wir eine ganz andere Ausgangslage, als wenn wir als Veranstalter den Anlass initiiert hätten. Die Städte haben gesagt, dass sie das Festival wollen und Musik ein Teil davon sein soll. Somit nehmen die Behörden automatisch in Kauf, dass es während neun Tagen zu Lärmemissionen kommt.

 

Die Lärm-Bestimmungen waren für Sie also passabel?
Wir mussten einen Konsens finden und ein Kompromiss bedeutet für beide Seiten immer auch Einschränkungen. Mit der Situation konnten am Ende beide Seiten leben.

 

Können Sie uns ein Beispiel für Einschränkungen nennen?
Die meistgenannte Kritik der Besucher war, dass die Musik um Mitternacht oder 1 Uhr morgens abrupt abgestellt wurde, obwohl noch 500 Leute am Tanzen waren.

 

Sie plädieren dafür, an den Abenden die Musik länger laufen zu lassen?
Nicht unbedingt. Das ist immer eine Betrachtungsweise. Klar, wir und die Besucher würden uns das so wünschen. Aber wir müssen auch an die Lärmbetroffenen denken. Man kann von niemandem erwarten, dass er wegen eines Festivals seine Wohnung für neun Tage verlässt. Da können noch so viele Leute sagen, es sei ja nur einmal im Jahr: Wenn du arbeiten musst, Kinder hast und deswegen nicht zur Ruhe kommst, wird das zu einer Belastung.

 

Für die einen ist es Leben, für die anderen Lärm.
Das ist so. Und ich frage mich: Wie weit gehört das zu einem urbanen Raum dazu? Wie weit darf man gehen?

 

Gute Frage: Erträgt die Region noch weitere Anlässe?
(überlegt). Es liegt nicht an mir, diese Frage zu beantworten. Eine Gemeinde muss entscheiden, was sie ihrer Bevölkerung zumuten kann. Wobei, es gab da so eine Situation: Vor ein paar Jahren haben wir die Überlegung angestellt, ob wir das Royal an zwei Wochenenden veranstalten sollten. Die Nachfrage wäre gross genug. Aber den Gedanken haben wir schnell wieder verworfen. Das würden wir den Orpundern nie antun wollen.

 

Sie fühlen sich offenbar gut aufgenoben in Orpund.
Ja, wir haben aber auch viel investiert. Es hat viel Zeit, viele Gespräche und Kompromisse gebraucht, damit die Orpunder uns akzeptiert haben und uns mittlerweile sogar cool finden. Deshalb haben wir 2011 das Orpundart lanciert, um den Einwohnern etwas zurückzugeben.

 

Erachten die Orpunder das Orpundart denn auch als Geschenk?
Ich glaube schon. Der Hauptgrund damals war, dass wir den Leuten einen Grund geben wollten, auf das Gelände zu kommen. Es gab viele Reklamationen. Doch wir haben gemerkt, dass sich die Leute über etwas beschweren, dass sie noch nie gesehen haben. Sie wussten nicht, was wir hier aufbauen, wie viel Liebe in diesem Festival steckt. Wir wollten, dass sie uns besuchen und haben deshalb die Preise beim Orpundart tief gehalten. Sie müssen wissen: Rein finanziell rechnet sich das nicht, das Orpundart wird über das Royal finanziert. Aber wir haben gespürt, dass seit der Lancierung die Akzeptanz gestiegen ist. Das Orpundart ist zu einem Orpunder-Anlass geworden. Wir verkaufen mehr Tickets in der «Linde», als über alle anderen Verkaufsstellen, inklusive dem Internet.

 

Das Public Viewing in diesem Jahr war ein Erfolg, Sie ziehen zum Lakelive eine positive Bilanz und sind zufrieden mit dem Vorverkauf für das Orpundart und Royal Arena Festival. Wie gross ist der Einfluss des Wetters auf Ihr Geschäftsjahr?
Beim Public Viewing zum Beispiel spielt das Wetter eine sehr entscheidende Rolle. Bei bezahlten Konzerten, wie beim Royal zum Beispiel, ist der Ticketverkauf entscheidend dafür, ob der Anlass gedeckt ist. Das Wetter hat dann Einfluss darauf, ob du 10, 1000 oder 10'000 Franken im Plus bist. Beim Lakelive war der Faktor Wetter sehr wichtig, da die Konzerte nicht ausverkauft waren. Also waren wir davon abhängig, dass die Leute kommen und konsumieren. Wir können also in dem Fall sagen, dass uns das Wetter gerettet hat.

 

Wie gehen Sie damit um, dass ihre Existenz auch an einem Faktor hängt, den Sie nicht beeinflussen können.
Man lernt über die Jahre, damit umzugehen. Ich bin jetzt 19 Jahre als Organisator tätig und dieser Umstand stresst mich nicht mehr so, wie er es früher tat. Wir haben das Glück, auf mehrere gute Jahre zurückblicken zu können. Damit könnten wir auch ein schlechtes Festivaljahr abfedern. Und wir gehen vorsichtig mit unserem Geld um, bleiben zurückhaltend.

 

Wie war das am Anfang?
Am Anfang hatten wir gar nichts. Damals, als wir in Täuffelen angefangen haben, waren unsere Eltern die Reserven. Und sie mussten uns über mehrere Jahre immer wieder aushelfen. Nach der Fusion und dem Umzug nach Orpund (siehe auch Infobox) ging es ziemlich schnell aufwärts. Seither sind wir viel entspannter.

 

Machen Sie sich zum Beispiel beim Booking weniger Sorgen, weil Sie darauf selber Einfluss nehmen können?
Ein gewisser Respekt ist immer da, denn es ist stets ungewiss, wie die Leute auf dein Programm ansprechen werden. Diesen Respekt hat man nur dann nicht, wenn man das Geld oder das Glück hat, einen Künstler verpflichten zu können, der einem ein ausverkauftes Haus garantiert. Das war heuer wie erwähnt mit Eminem in Frauenfeld der Fall. Wir konnten letztes Jahr Cypress Hill verpflichten und wussten damals schon im Vorfeld, dass der Ticketverkauf gut laufen würde. Heuer hatten wir diesen Garanten nicht. Aber auch in einem Jahr, in dem du zum Beispiel ausverkauft bist und das Wetter mitspielt, weisst du bist zum Festivalende noch nicht, ob alles gut kommt. Es können diverse unvorhergesehene oder schlimme Sachen passieren, die wir nicht kontrollieren können – und dann nützt dir alles andere nichts.

 

Auf welchem Stand befindet sich Ihr Sorgenbarometer aktuell?
(schmunzelt). Ich bin sehr entspannt. Einfach, weil ich an uns und unsere Arbeit glaube. Wir sind keine Agentur mit zehn bis zwanzig Angestellten. Wir sind immer noch dieselben vier, fünf Jungs, die noch immer aus Freude das machen, was vor 19 Jahren begonnen hat. Es ist ein sehr befriedigendes Gefühl, keinen Chef zu haben, niemandem Rechenschaft schuldig zu sein und gestalten zu können, wie wir wollen. Das bedeutet zwar auch, dass wir hin stehen müssen, wenn etwas schiefgeht. Aber wie gesagt, ich bin sehr entspannt.

 

Die Arbeit ist aber noch nicht getan.
Nein, ich bin natürlich im Stress, so kurz vor dem Festival. Aber vor zehn Jahren wäre ich innerlich unruhig gewesen, das bin ich heute nicht mehr. Wir wussten, dass ein anstrengender Sommer auf uns zukommt und die Müdigkeit ist auch schon spürbar. Zwei Drittel sind nun vorbei und ich bin in erster Linie froh, dass alles ohne schlimmere Zwischenfälle über die Bühne gegangen ist.

 

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Zur Person

- Nicolas Dähler, 37-jährig, aufgewachsen in Aegerten, lebt heute mit Frau und Kindern (3- und 7-jährig) in Bern.

- Ursprünglich Lehre zum Kaufmann bei Tourismus Biel Seeland, heute selbstständiger Eventorganisator.

- Als Organisator erstmals 1999 mit dem Royal Openair in Täuffelen in Erscheinung getreten – 2007 Fusion mit dem Arena Festival Orpund, die Geburtsstunde des heutigen Royal Arena Festivals.

- Selbstständig seit 2010 mit der Gründung der Royal Arena GmbH und der Eventra GmbH mit drei weiteren Partnern.

- Bekannte Events der Firmen: Public Viewing Seemätteli Nidau, Lakelive-Festival Biel/Nidau, Royal Arena Festival Orpund, zudem diverse Eventorganisationen für private Unternehmen wie zum Beispiel Red Bull

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