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Samstagsinterview

Der Brückenbauer blickt zurück

Mit Gelassenheit, Selbstironie und viel Fingerspitzengefühl hat er sich um die Geschicke der Region gekümmert. In seinem letzten BT-Interview als Regierungsstatthalter redet Werner Könitzer über seine Zeit im Schloss Nidau.

Bild: Pedro Rodrigues

Interview: Eva Berger

Herr Könitzer, es gab Zeiten, in denen Sie praktisch täglich in den Medien zu Wort kamen. Sie hatten viel zu tun. Wie war es möglich, 21 Jahre lang einen kühlen Kopf zu bewahren?
Ich habe vielleicht eine natürliche Gelassenheit und kann mich auf die beeinflussbaren Dinge konzentrieren und jene zurückstellen, die ich sowieso nicht ändern kann. So habe ich es geschafft, mich nicht zu überarbeiten. Aber als Regierungsstatthalter wird die Arbeit von aussen an einen her-angetragen, das ist nicht steuerbar. Die Verteilung wichtiger Geschäfte hätte ich mir manchmal etwas besser gewünscht.

Haben Sie andere Statthalter um Ihre ruhigeren Gebiete nie beneidet? Es gibt Verwaltungskreise, in denen sicher weniger läuft. Etwa Obersimmental-Saanen, wo sich der Regierungsstatthalter um knapp 17000 Einwohner kümmern muss. Im Verwaltungskreis Biel-Bienne wohnen hingegen über 92000 Menschen.
Ich habe als Regierungsstatthalter des Amtsbezirks Nidau schon gesagt, dass ich im schönsten Bezirk des Kantons arbeite. Das sagen zwar alle meine Kollegen, aber ich bin der einzige, bei dem es stimmt. Auch jetzt, mit dem Verwaltungskreis ist es so, denn dieser ist sehr vielfältig: Wir haben viele Gewässer, den ersten Jurahügel, ein grosses Landwirtschaftsgebiet, Weinbau, Industrie und Gewerbe, Sozialhilfebezüger, Asylbewerber, die Zweisprachigkeit, gute Firmen mit grossen Namen und viele Organisationen, die das Leben hier bereichern. Das Spannende ist ja gerade die Vielfalt der Aufgaben als Regierungsstatthalter. Das Hektische darf einen nicht erschrecken.


Sie waren aber einer der Kritiker bei der Verwaltungsreform. Sie haben eine Qualitätseinbusse befürchtet, wenn sich anstatt 27 nur noch 10 Regierungsstatthalter um die Gebiete kümmern. Wie sehen Sie das heute?
Ich habe den Volksentscheid akzeptiert. Danach ging es für mich darum, ihn bestmöglich umzusetzen. Ich bin aber noch immer der Meinung, es hätte diese Reform nicht gebraucht. Man hätte die Bezirke in einem vernünftigen Mass restrukturieren können. Das Problem ist, dass die Leute mit dem Statthalter oftmals persönlich ein Problem lösen wollen. Ich nehme diese Anliegen sehr ernst und gebe mir Mühe, in Gesprächen gemeinsam Lösungen zu finden. In diesem riesigen Verwaltungskreis ist es aber nicht mehr so einfach, mit mir Termine zu finden. Dafür wohnen hier einfach zu viele Leute mit zu vielen Anliegen. Das finde ich schade, für den Kanton und seine Einwohner.

Braucht es den Regierungsstatthalter denn überhaupt noch? Die meisten Kantone kennen andere Systeme.
Ja. Denn wenn man Probleme lösen kann, bevor sie zum Justizfall werden, spart man sehr viel Geld. Die Statthalter sind Brückenbauer, die pragmatisch und lösungsorientiert arbeiten. Und dies seit 200 Jahren. Wir sind durch unsere Volkswahl legitimiert, man folgt unseren Entscheiden eher als anderen Behörden. Zudem kann man in diesem vielseitigen Kanton die Dinge nicht überall gleich beurteilen. Eine Sachlage ist im Emmental oder Oberhasli schnell anders als in Biel. Das macht es schwieriger, zentral gefällte Entscheide zu legitimieren. Das öffentliche Leben wird leider immer juristenlastiger.

Sie waren sehr lange in diesem Amt. Was sticht für Sie aus dieser Zeit am meisten heraus?
Grundsätzlich kommt mir immer wieder die ganze Planung, Realisierung und der Rückbau der Expo.02 in den Sinn. Das war eine Herkules-Aufgabe für das Statthalteramt. Bei uns lag die Verantwortung für die ganzen Bewilligungsverfahren, die Sicherheit, den Balance-Akt zwischen Gastfreundlichkeit und Rücksicht auf die Einwohner. Ein ganz anderer Schwerpunkt, der mir immer bleiben wird, ist die Arbeit im sozialen Bereich. Ich habe teilweise Leute über zehn oder 20 Jahre begleitet. Ich musste sie sanktionieren oder in Institutionen einweisen, und es kam ab und zu vor, dass mir Leute später dafür gedankt haben, dass ich sie etwa zum Alkohol- oder Drogenentzug oder zur psychiatrischen Behandlung eingewiesen habe.

Sie selber wurden wenige Male von höheren Instanzen kritisiert. Etwa als sie 2010 vom Verwaltungsgericht zurück-gepfiffen wurden, weil Sie den Porter Gemeindepräsident formell falsch diszipliniert hatten.
Das Verwaltungsgericht hat mich formell zurückgepfiffen, weil ich dem Porter Gemeindepräsidenten damals nicht das rechtliche Gehör gewährt hatte. Das nehme ich so entgegen, und ich hätte den Formfehler so nicht mehr gemacht. Aber in der Sache war es kein Fehler.

National sind Sie mit Ihren Bemühungen für die Arbeitsbedingungen in der Prostitution in Erscheinung getreten. Vor allem mit dem ersten behördlich regulierten Bordell im Hotel Schloss in Nidau, das sie so institutionalisiert hatten. Auch das war eine grosse Sache...
...und eine gute. Das Hotel Schloss wird seit zirka 14 Jahren als Kontaktbar geführt. Eine Bewilligung brauchte es aber nur für den gastgewerblichen Betrieb, bei der Prostitution gab es keine Kontrolle. Hingeschaut wurde nur von der Polizei, die versucht hat, strafbare Taten so gut wie möglich zu ermitteln. Es ist uns aber nie gelungen, Regelungen für dieses Gewerbe aufzustellen. Mein Ziel nach der Razzia vom 27. Februar 2007 war, einen Betrieb so führen zu lassen, dass er nicht zu Lasten der betroffenen Frauen geht. Meine Meinung ist heute immer noch die gleiche wie damals: Eine Frau soll selber entscheiden können, ob sie ihren Körper verkaufen will und wann sie aufhören will. Es ist nur Aufgabe von uns Behörden, zu versuchen sicherzustellen, dass keine Frau ausgebeutet und missbraucht wird.

Die Diskussion ist ja jetzt gerade wieder aktuell. Sie stehen also einem Prostitutionsverbot negativ gegenüber?
Ein solches Verbot ginge wieder nur zu Lasten der Frauen. Denn Prostitution kann man nur eliminieren, wenn man sämtliche Männer der Erde eliminieren würde, und das wäre dann doch sehr ein-tönig. So lange es Männer gibt, wird es auch Frauen geben, die ihren Körper für materielle Güter verkaufen. Ich schliesse hier auch junge Frauen ein, die einen alten Multimillionär heiraten, um in Saus und Braus leben zu können. Auch diese geben ihren Körper für materielle Güter hin. Das ist für mich auch Prostitution. Verbieten kann man Prostitution einfach nicht. Aber man muss sie regulieren.

Sie haben auch gefordert, dass Prostitution als Beruf anerkannt wird.
Das wäre das Beste. Aber es ist eine Utopie. Genau gleich, wie dass man die Prostitution mit Verboten aus der Welt schaffen könnte. Je mehr wir verbieten, desto mehr geschieht Prostitution in den Hinterhöfen und in den Kellern, wo die Frauen noch viel schutz- und wehrloser sind, als wenn man es näher an die Oberfläche bringt, wo viele Amtsstellen hinschauen.

Sie sind der Begründer des kantonalen Prostitutionsgesetzes. Wie zufrieden sind Sie damit?
Ich bin stolz darauf, dass der Kanton Bern der erste Deutschschweizer Kanton ist, der zum Schutz der Frauen möglichst präzise Regeln aufstellt, sodass möglichst ohne kriminelle Hintermänner und -frauen gearbeitet werden kann. Und zwar ohne die Prostitution zu verbieten oder zu leugnen. Keiner von uns kennt die Schicksale und Beweggründe der Frauen, die freiwillig in der Prostitution arbeiten. Und darum ist es nicht unsere Sache, über sie zu urteilen. Wir müssen sie in erster Linie als Menschen respektieren, auch wenn man dem Beruf gegenüber moralische Vorbehalte hat. Das muss das Ziel aller Behörden, aber auch der Freier sein. Gerade Freier könnten den Behörden nützliche Informationen über Frauen unter Zwang geben, denn sie kommen den Sexarbeiterinnen ja am nächsten und müssten spüren, wenn eine Frau psychisch oder physisch leidet. Leider haben die meisten Freier aber keinen Mut, ihre Beobachtungen uns zu melden, obschon sie sicher sein können, dass ihr Name vertraulich behandelt wird.

Das Gesetz ist seit April 2013 in Kraft. Gibt es erste Erfahrungen?
Dafür ist es zu früh. Es ist ein lebendiges Gesetz, das eine Grundlage schafft, aber sich den Facetten des Milieus immer wieder anpassen muss.

Wir Medien erhalten immer wieder Meldungen von Ihnen, dass Sie Betriebe wegen illegalem Glücksspiel schliessen. Warum kommt das so häufig vor?
Man müsste tatsächlich meinen, es habe sich herumgesprochen, dass der Könitzer solche Betriebe konsequent schliesst, und dennoch gibt es immer wieder Leute, die diesen Fehler machen. Man erfährt es ja auch ziemlich einfach, dass irgendwo illegal gespielt wird. Den wirtschaftlichen Schaden haben dann die Betreiber, es kann sich einfach nicht lohnen. Und bestraft werden sie dann ja auch noch.

Für Sie spielt das bald keine Rolle mehr. Am 1. Januar übernimmt Ihr Nachfolger Philippe Chételat Ihren Arbeitsplatz. Einen schöneren als diesen im Schloss hatten Sie sicher nie.
Nein. Ich habe das Schloss über diese Zeit sehr gerne bekommen. Dieses Haus bringt einen manchmal etwas zur Demut zurück. Im Rittersaal hängen die Familienwappen der Berner Landvögte. Es sind dort über Jahrhunderte Entscheide gefällt worden. Mir zeigt das Schloss, dass ich nicht der Nabel der Welt, sondern nur während einer kurzen Zeit in eine wichtige Position eingesetzt worden bin. Man nimmt sich dann selber nicht so wichtig und ernst, sondern behält den Humor und kann auch einmal über sich selber lachen. Ich bin ja grundsätzlich ein humorvoller Mensch, mit einer gesunden Portion Selbstironie. Das hat aber nichts mit «Larifari» zu tun, sondern es behält mich auf dem Boden.

Stichwort Humor: Im nächsten Jahr sind Sie Prinz Karneval. Sind Sie ein Fasnächtler?
Nein, überhaupt nicht, aber ich bin vermutlich geeignet für dieses Amt. Ich kann mir vorstellen, dass man jemanden gesucht hat, über den man auch Sprüche und lustige Schnitzelbänke machen kann. So ist man wohl auf mich gekommen. Natürlich hätte ich das als Statthalter aber nicht gemacht. Viele Leute hätten dann wohl das Gefühl, ich sei nicht seriös.

Was machen Sie am 3. Januar?
Ausschlafen. Ich freue mich darauf, die Biologie und nicht die Arbeit entscheiden zu lassen, wann ich wach sein soll.

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