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Biel

«Die Prostituierten wurden sexuell ausgebeutet»

Wegen Menschenhandels muss eine ehemalige Bieler Bordellbetreiberin für 40 Monate ins Gefängnis. Das Regionalgericht ist zum Schluss gekommen, dass die thailändisch-schweizerische Doppelbürgerin die Freiheit von Prostituierten erheblich eingeschränkt habe.

Die erste Hauptverhandlung im Bieler Amthaus hatte die Beschuldigte noch im Ausland geschwänzt, weshalb ihr Pass vorerst eingezogen bleibt. rp/a

Lino Schaeren

Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland hat eine 63-Jährige in drei von vier angeklagten Fällen des Menschenhandels schuldig gesprochen. Beim Strafmass folgt das Kollegialgericht in Dreierbesetzung den Anträgen der Staatsanwaltschaft: 40 Monate Freiheitsstrafe und eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen von 30 Franken seien angemessen, sagte Gerichtspräsidentin Sonja Koch gestern bei der Urteilseröffnung. Die Geldstrafe wird aufgeschoben mit einer Probezeit von zwei Jahren.

Zudem hat das Gericht den Einzug der Passpapiere der thailändisch-schweizerischen Doppelbürgerin um sechs Monate verlängert, damit sie sich nicht ins Ausland absetzen kann; diese Massnahme wurde im Februar überhaupt erst verordnet, weil die ehemalige Bordellbetreiberin zur ersten angesetzten Hauptverhandlung im Dezember 2017 nicht erschienen war, da sie nicht in der Schweiz weilte. Eine Sicherheitshaft, so Koch, sei deshalb aber nicht angebracht.

 

Verschleiert und anonymisiert
Bordellbetreiberin? Das wollte die Angeklagte auch an den Prozesstagen am Regionalgericht partout nicht sein. Sie sei Masseurin, habe an der Mattenstrasse ihren Massage-Salon betrieben. «Für mich hat nie jemand gearbeitet», sagte sie. Abgenommen hat ihr das vor Gericht niemand. «Es hat sich um ein Bordell gehandelt, das ist klar», sagte Gerichtspräsidentin Koch. Und die Betreiberin habe nicht nur Prostituierte beschäftigt, sie habe auch ihre eigenen Dienste angeboten.

Die Beschuldigte hatte angegeben, die Opfer in dem Prozess gar nicht zu kennen. Sie habe ihren Salon jeweils weitervermietet, wenn sie in Thailand gewesen sei. Die Schuld wies sie weit von sich und ihren angeblichen Untermieterinnen zu. Als Beweis brachte die Verteidigung handgeschriebene Mietverträge vor.

Alles Scheinverträge, alles fiktiv, hielt Koch fest: «Wir haben sehr aufschlussreiche Kontodaten», meinte sie. Die regelmässigen Kontobewegungen, alle von der Beschuldigten in der Schweiz ausgelöst, würden zeigen, dass sie sich ständig in der Schweiz aufgehalten habe und nicht etwa in Thailand. «Sie hat mit Prostitution in erheblichem Masse Geld verdient», so die vorsitzende Richterin, sie sei ihre einzige Einnahmequelle gewesen. Das Geld habe sie mit den zahlreichen Überweisungen ins Ausland verschleiert und anonymisiert: zwischen 2008 und 2012 insgesamt mehr als 140 000 Franken.

Entscheidend für das Strafmass aber war: Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die heute 63-Jährige die Freiheit von mehreren Prostituierten erheblich eingeschränkt, sie sexuell ausgebeutet, ihnen die Einnahmen abgenommen und falsche Versprechungen gemacht hat. Die Argumentation der Verteidigung liess das Gericht nicht gelten, wonach die Angeklagte Analphabetin sei und deshalb nicht habe erkennen können, ob die Prostituierten über eine gültige Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung verfügten. Man nehme ihr nicht ab, dass sie nicht lesen und schreiben könne, sagte Koch. «Ihr Mann schreibt ihr Textnachrichten, sie erstellt selber Preislisten inklusive der angebotenen Dienstleistungen und ist in der Lage, selbstständig Überweisungen zu machen.» Die Beschuldigte könne lesen, zumindest soweit es für die Führung ihres Geschäfts nötig gewesen sei.

Auch die intellektuellen Fähigkeiten der Beschuldigten, die Verteidiger Dieter Caliezi in Zweifel gezogen hatte, sah das Gericht keinesfalls als Grund, von unbedarftem Handeln auszugehen. Das Verhalten sei viel mehr berechnend gewesen, sie habe ihre Aussagen im Laufe der Untersuchungen angepasst, wenn sie sich in einer Sackgasse wähnte, habe versucht, Zeugen zu beeinflussen. Mit dem Abstreiten aller Vorwürfe versuche die ehemalige Bordellbetreiberin einfach, sich zu schützen, so Koch.

 

«Nicht allzu schwerer Fall»
Trotz der Verurteilung zu 40 Monaten Gefängnis – das Regionalgericht sprach die Angeklagte auch in einigen Punkten frei. So könne ihr in einem von vier Fällen Menschenhandel nicht nachgewiesen werden, ebenso in drei von sechs Fällen Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz und in einem Fall Geldwäscherei.

Und Gerichtspräsidentin Koch ging auch in einem weiteren Punkt mit der Verteidigung einig: Seine Mandantin sei keine ranghohe Person in der Szene des Menschenhandels. «Es handelt sich hier um einen nicht allzu schweren Fall», sagte sie mit Blick auf den Strafrahmen für das Delikt Menschenhandel, der Freiheitsstrafen von bis zu 20 Jahren vorsieht. «Für die Opfer ist das Vorgefallene aber natürlich trotzdem gravierend.»

Die Beschuldigte hatte nicht selber Frauen in Thailand abgeholt, war demnach nicht Strippenzieherin, sondern «nur» Abnehmerin von Frauen in Biel. Da gebe es ganz andere Kaliber, wie vor der Gerichtspräsidentin nebst dem Verteidiger auch bereits Staatsanwältin Susanna Moor festgehalten hatte. Ein solches angeblich hohes Tier unter den Schleppern steht in zweieinhalb Wochen in Biel vor Gericht; es dürfte einer der grössten Fälle von Menschenhandel in der Schweiz sein (siehe Zweittext).

Die Justiz weiterhin beschäftigen könnte aber auch der gestern erstinstanzlich abgeschlossene Prozess: Das Verdikt kann ans bernische Obergericht weitergezogen werden.

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Grosser Prozess wegen Menschenhandels folgt im Juli

Kaum ist der Prozess wegen Menschenhandels am Regionalgericht Berner Jura-Seeland abgeschlossen, steht der nächste schon bevor, und dazu noch einer mit deutlich grösserem Ausmass: Anfang Juli steht wiederum eine Thailänderin in Biel vor Gericht, und die Vorwürfe gegen sie sind happig. Sie soll sich zwischen 2009 und 2014 in 88 Fällen des gewerbsmässigen Menschenhandels schuldig gemacht haben.

Die Beschuldigte soll den betroffenen thailändischen Personen unter falschen Angaben bei verschiedenen Botschaften in Bangkok gültige Visa besorgt und die Flüge in die Schweiz organisiert und finanziert haben. In der Schweiz angekommen, sollen sie dann an Bordelle vermittelt worden und ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung der Prostitution nachgegangen sein. Wie im gestern erstinstanzlich abgeschlossenen Fall sollen sich die Prostituierten mit der Reise in die Schweiz mit bis zu 30 000 Franken verschuldet haben. Ihr Verdienst soll dann zur Hälfte an die Gläubiger gegangen sein, die andere Hälfte soll die jeweilige Bordellbetreiberin einkassiert haben.

Weiter wird der Beschuldigten Förderung der Prostitution in 30 Fällen vorgeworfen, da sie zusammen mit der jeweiligen Bordellbetreiberin das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Opfer verletzt habe. Zudem muss sich die Thailänderin auch wegen Geldwäscherei in 93 Fällen verantworten. Die Beschuldigte ist teilweise geständig und befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug. Die Gerichtsverhandlung in Biel wird vom 2. bis 7. Juli dauern. lsg

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