Sie sind hier

Abo

Budgetdebatte

Die Steuern sollen erhöht werden – aber noch nicht jetzt

Beim Budget 2022 gehen im Bieler Stadtrat einzig SVP und GLP auf die Barrikaden – trotz bedenklicher finanzieller Schieflage. Die linke Ratsmehrheit macht aber keinen Hehl aus den mittelfristigen Absichten.

Der Stadtrat hat das Budget diskutiert (Symbolbild). copyright:psj/bielertagblatt

Lino Schaeren
Die Stadt Biel hat grosse finanzielle Probleme. Das zeigt sich im Budget 2022, das ein operatives Defizit von 31 Millionen Franken vorsieht. Und das nur dank der Auflösung von Buchwerten auf dem Papier ausgeglichen daherkommt. Dass die Stadtfinanzen ein Sanierungsfall sind, darin waren sich gestern Abend auch im Bieler Stadtrat alle einig. Bei der Frage, ob es sich um ein Einnahmen- oder doch eher ein Ausgabenproblem handelt, gehen die Überzeugungen zwischen dem linken und dem rechtsbürgerlichenLager allerdings weit auseinander. Trotzdem war die gestrige Debatte von schon fast erstaunlicher Einigkeit geprägt: Einigkeit darüber, dass die globale Covid-Krise bei aller Unzufriedenheit der falsche Zeitpunkt ist, einschneidende Massnahmen zu beschliessen.
Als FDP-Sprecher Peter Bohnenblust zu Beginn der allgemeinen Debatte Unterstützung für den Voranschlag signalisierte, war bereits klar, dass das Budget von Finanzdirektorin Silvia Steidle (PRR) kaum gefährdet sein dürfte. Auch Steidle hatte sich gegen grosse Einschnitte ausgesprochen – das Budget 2022 sieht weder eine Steuererhöhung noch eine Kürzung bei den Subventionen vor. Gleichzeitig soll die Investitionstätigkeit trotz katastrophalem Selbstfinanzierungsgrad nicht gedrosselt werden. Anders als vor einemJahr, als Steidle die Budgetdebatte im Parlament krankheitshalber verpasste, konnte die Finanzdirektorin gestern auch wieder auf die Gefolgschaft ihrer eigenen Partei, dem Welschfreisinn, zählen.
Massive Steuererhöhung?
Weil die allermeisten Parteien in der Krise den falschen Sanierungszeitpunkt sehen, haben gestern Abend viele Parteivertretende am Rednerpult über das Budgetjahr 2022 hinausgeblickt. Dabei zeichnete sich klar ab, was auf die Bieler Bevölkerung zukommt: eine Steuererhöhung. Nicht im kommenden Jahr, aber 2023. Zumindest, wenn es nach der Fraktion SP/Juso geht. Höhere Steuern müssten in einemJahr zwingend diskutiert werden, sagte Sprecher Levin Koller. Er sprach nicht nur von einer angespannten Finanzlage, sondern auch von einer überlasteten Stadtverwaltung und von der Notwendigkeit, neue Stellen zu schaffen. Die SP, machte Koller klar, geht davon aus, dass eine Erhöhung der Steueranlage um «mindestens zwei Zehntel» nötig sein wird, um in zwei, drei Jahren eine finanzielle Fremdbestimmung durch den Kanton zu verhindern – dann nämlich könnten gemäss Finanzplan des Gemeinderats die städtischen Reserven aufgebraucht sein. Dass eine Steuererhöhung früher oder später unumgänglich sein wird, konstatierten auch die Grünen.
Gleichzeitig stellten die Sozialdemokraten aber auch die Forderung in den Raum, dass die Steuern für die Unternehmen um 20 Prozent höher angesetzt werden müssten als jene für die natürliche Bevölkerung. Zudem erneuerten die Genossen ihr Verlangen nach städtischen Wohnungsbau und stellten einen Vorstoss in Aussicht, der weitere Einnahmequellen, etwa durch Landkäufe, aufzeigen solle.
SVP und GLP lehnen Budget ab
Forderungen, die gestern auf bürgerlicher Ratsseite kaum Reaktionen auslösten. Einzig Leonhard Cadetg (FDP) monierte als Einzelsprecher, dass der skizzierte Weg der SP «in den realexistierenden Sozialismus» führe – was auf linker Ratsseite für ironisches Gelächter sorgte. Es war ein kleiner Vorgeschmack auf heftige politische Auseinandersetzungen, die spätestens in einem Jahr, wenn es um die Haushaltssanierung gehen wird, auf den Stadtrat zukommen dürften. Auf die Barrikaden beim Budget 2022 ging gestern im Parlament vor allem die Fraktion SVP/Die Eidgenossen. Sprecher Joël Zumstein nannte das Verweisen auf die Covid-Auswirkungen und sonstige äussere Einflüsse Ausreden. Die finanzielle Schieflage reiche deutlich weiter zurück, sie sei hausgemacht. Die SVP wirft dem Gemeinderat vor, die Finanzen nicht im Griff zu haben. Sie fordert Massnahmen auf der Ausgabenseite: Mit der Überprüfung von Prozessen und Strukturen, zeigte sich Zumstein überzeugt, könnten erhebliche Einsparungen erreicht werden, ohne entscheidend Leistungen abzubauen.
Dass das budgetierte Minus beim operativen Ergebnis nicht alleine mit der Covid-Krise begründet werden könne, betonte auch Dennis Briechle für die GLP. Diese sei «höchstens die Hälfte des Problems». Trotzdem sehen auch die Grünliberalen «in der Talsohle der Krise» nicht den Moment für Korrekturen. Korrekturen, die laut Briechle aber in den kommenden Jahren «unzweifelhaft» folgen müssten.
Dringenden Handlungsbedarf sieht auch der Gemeinderat. Er will zum einen bei Bund und Kanton lobbyieren, um mehr Ausgleichszahlungen für die Stadt zu erreichen. Die Stadtregierung arbeitet aber offenbar auch an Massnahmen innerhalb der Verwaltung. Finanzdirektorin Silvia Steidle stellte gestern Abend in Aussicht, der Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Stadtrats in den kommenden Monaten Vorschläge vorzulegen. Danach stieg das Parlament in die Detailberatung ein. Diese dauerte dann nicht mehr lange, die Positionen waren bezogen. Zum Schluss lehnten SVP und GLP das Budget 2022 ab, der Voranschlag wurde mit 38 zu 13 Stimmen bei einer Enthaltung aber sehr deutlich angenommen. Im November wird nun das Stimmvolk das letzte Wort haben.

Nachrichten zu Biel »