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Fotoreportage

Die Trouvaille ihres Lebens

Silvia und Walter Frei sind mit 91 Jahren von der Bieler Altstadt in eine Altersresidenz auf dem Land gezogen. Ihre liebsten Stücke aus der Vergangenheit haben sie in die Gegenwart mitgenommen.

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Text: Lis Eymann
Bilder: Rolf Neeser


Die lindgrüne Eingangstür der Wohnung im zweiten Stock der Altersresidenz öffnet sich langsam. Ein erstaunter Walter Frei steht in zerknitterter Hose und knallrotem T-Shirt im Eingang und fragt: «Waren Sie nicht heute morgen schon da?» Später stellt sich heraus, dass es die Pfarrerin war, die dem frisch eingezogenen 91-jährigen Ehepaar einen Besuch abstatten wollte.

Seit anfang August wohnen Siliva und Walter Frei im modernen Häuserkomplex einer Altersresidenz im Kanton Bern (auf Wunsch des Ehepaars wird der genaue Ort nicht genannt, die Redaktion). Die Residenz, die auch ein Wohn-Pflegezentrum und eine Kindertagesstätte beherbergt, steht mitten in der Natur.

Mit kleinen Schritten geht Walter Frei voran auf den Balkon. In der Zweizimmerwohnung türmen sich die noch unausgepackten Umzugskisten. In ihrem neuen Refugium sieht es aus wie auf einem Flohmarkt: Unzählige auserlesene Stücke zeugen von einer der grossen Leidenschaften des Paares: dem Sammeln von Antiquitäten. «Wir haben alles mitgenommen – einen Keller haben wir eben auch noch.» Seine Augen blitzen schelmisch. Auch der Balkon ist überstellt mit grauen Plastikkisten und kunstvollen Skulpturen. Von hier aus bietet sich eine weite Sicht auf die Berner und Freiburger Alpen. «In der Altstadt sahen wir bloss an die nächste Häusermauer.» Wehmut über das Verlassen der vertrauten Umgebung scheint keine da.

 

Rasanter Wechsel
Der Umzug kam Knall auf Fall. Weil sie die Residenz schon von Ausstellungen her kannten, fiel ihnen der Schritt jedoch leichter. Nun auf dem kleinen Balkon der Wohnung gerät die Gegenwart in Vergessenheit, reiht sich Geschichte an Geschichte aus dem vollen, vergangenen Leben des Paares. Silvia und Walter Frei bewohnten über Jahrzehnte eine dreieinhalb Zimmer Maisonette-Wohnung in der Bieler Altstadt. Die 55 Treppenstufen bis zur Wohnung im 4. Stock wurden zunehmend zum unüberwindbaren Hindernis, der tägliche Einkauf im Migros Neumarkt zur Herausforderung. Auch wenn sie sich dann als dazugehörendes Ritual eine Verschnaufpause auf dem «AHV-Bänkli» gönnten. Auf diesem Bänkli haben sie die erste Fotoreportage über sie gesehen, die vom Seeländer Rolf Neeser in der «L’illustré» Ende des letzten Jahres publiziert wurde. «An dem Tag, als sie erschien, war die ‹L’illustré› am Kiosk ausverkauft», sagt Walter Frei. «Da dachte ich: ‹Jetz wei d Bieler wüsse, wär die Spinnsieche si.›» Silvia und Walter Frei lachen wie die Lausbuben. Sie wissen, dass sie ein unkonventionelles Paar sind, das in Biel aufgefallen ist. Die Medienpräsenz kümmert sie nicht, die mit der Reportage ausgelöst wurde. Sie haben kein Radio, keinen Fernseher, keine Zeitung. «Wir reden darum auch sehr viel miteinander. Das ist doch viel schöner», sagt Silvia Frei bestimmt.

 

Erste Hochzeit mit 4 Jahren
Ihre aussergewöhnliche Liebesgeschichte erschien letzten November auch im «Bieler Tagblatt», später in «20 Minuten», in der «Migros-Zeitung», im «Blick». Die beiden haben dieses Jahr eiserne Hochzeit gefeiert, sind seit 65 Jahren glücklich verheiratet. Begegnet sind sie sich bereits in der frühen Kindheit. «Wir lernten zusammen laufen und als Vierjährige spielten wir bereits Hochzeit», sagt Walter Frei. Mit selbstgemachten Blumenkränzen in den Haaren. Damals, in den Ferien im Frühling 1931, im Engadin. Die Mutter von Walter Frei war mit Silvias Mutter befreundet. Die beiden Frauen wurden fast gleichzeitig schwanger. So glaubt Walter Frei an eine Art Bestimmung, die sie zusammengeführt haben muss.

Später wohnt Silvia in Bern. Walter in Luzern. Als er mit 20 ein Theologiestudium in Bern beginnt, sehen sich öfter. Passiert ist anfangs aber nichts zwischen den beiden. Sie seien ganz unbefangen miteinander umgegangen, hätten ihre gemeinsamen Interessen gepflegt. Damals die Musik. Das erste «Müntschi» gab es, als sie 25 waren an einem gemeinsamen Konzertbesuch. «Ein unvergesslich schönes Konzert mit dem Feuervogel von Igor Strawisnki», schwärmt Walter Frei. Sie haben Sekt getrunken und auf der Laube des Konzertsaales fragte ihn Silvia: «Du, sind wir eigentlich miteinander verwandt?» Geistesgegenwärtig habe er geantwortet: «Nein, sicher nicht!» und gewusst, jetzt ist die Zeit da. Für das erste «Münschi». Erzählt es, als ob es gestern erst gewesen wäre.

Der pensionierte Professor für Kirchengeschichte und Seelsorge an der Universität Bern und Lehrer für Musikgeschichte am Konservatorium in Biel und die Konzertsängerin verbindet ein tiefes,  unzertrennliches Band. Diese Verbundenheit entstand nicht nur durch ihre Liebe, sondern auch durch die gemeinsamen Interessen. Das Paar spielte zusammen mittelalterliche Musik, gab über 600 Konzerte. Er spielte dabei als Bläser auf bis zu 15 Instrumenten an einem Abend. Sie sang. Die beiden haben auch intensiv gemalt. Hat Walter Frei eine Leidenschaft gepackt, so regte er sie auch bei seiner Frau an. Ausser das Kleidernähen, das überliess er seiner Frau. Silvia Frei nähte ihre Kleider mit der Nähmaschine ihrer Mutter selber. «So blieb uns mehr Geld für eine weitere Liebelei: dem Kaufen von Schmuck.» Augenzwinkernd verweist er auf die Fingerringe an der Hand seiner Frau. «Sie hat davon nur profitiert», meint er liebevoll. Sie lächelt ihn glücklich an.

 

Die vielen Antiquitäten
Bei den Antiquitäten sei es so eine Sache, meint Walter Frei. «Der Besitzer findet nicht zu seinem besonderen Stück, sondern das besondere Stück findet seinen Besitzer.» Es gäbe immer Sammler auf dem Märkten, die besonders viel Geld zur Verfügung hätten und einem die Trouvaillen vor der Nase wegschnappten. Beim Hinausgehen ergreift er einen wunderschönen, alten Schirm mit Rüschen und winzigen, blauen Blumen auf dem grauen Stoff. Aber, so betont er unter der Tür, gäbe es eben auch die Situationen, dass in einem bestimmten Moment die Wohlhabenden nicht anwesend seien. Und genau da fände das besondere Stück zu seinem Besitzer. Dieser Schirm gehört zu Silvia Frei. Zu dieser bezaubernden, alten Frau mit ihrem hochgesteckten, silberenen Haar und den funkelnden, braunen Augen. Die noch mit 91 Jahren so lebendig werden als wäre sie 25 und würde das erste «Müntschi» von ihrem Walter erhalten. Der Trouvaille ihres Lebens.

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