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Steuererträge 

Die Zentren bremsen den Kanton

Biel, Burgdorf, Langenthal und auch Thun schwächeln finanziell. Obwohl die vier Städte regionale Zentren sind, ist ihre Steuerkraft unterdurchschnittlich. Biel trägt eine besonders grosse Last.

Biel hat viel günstigen Wohnraum und zieht damit Menschen mit eher tiefen Einkommen an. Bild: Jonathan Liechti/A

Stefan von Bergen

Die geografischen Voraussetzungen wären im Kanton Bern eigentlich ziemlich lukrativ. Als einziger Kanton weist das weitläufige Bernbiet mit Bern, Biel und Thun gleich drei grössere Agglomerationen auf. Hinzu kommen mehrere Landstädte und regionale Zentren, die Pendlerinnen und Pendler anziehen. Man sollte meinen, dass die dort konzentrierten Jobs und Menschen den Konsum ankurbeln und die kommunale Steuerkasse füllen.

Aber ausgerechnet die Berner Städte Biel, Thun, Burgdorf und Langenthal weisen unterdurchschnittliche Steuereinnahmen auf. Die Stadt Bern liegt gemäss Zahlen für das Jahr 2020 mit einem Wert von 136 deutlich über einem harmonisierten Steuerertragsindex (HEI) von 100. Biel und Burgdorf aber liegen mit einem Index von 83 deutlich unter dem kantonalen Schnitt von 100. Ebenso Langenthal mit 85. Thun steht mit 96 etwas besser da.

In Franken berechnet, bedeutete das 2020: Pro Einwohnerin und Einwohner wies die Stadt Bern einen jährlichen Steuerertrag von 3573 Franken aus. In Thun waren es 2513, in Langenthal bloss 2231, in Biel 2197 und in Burgdorf 2186 Franken.

Biel: Grosser Betrag, der nicht abgegolten wird

Die vier Städte sind im innerkantonalen Finanzausgleich also Empfänger- und nicht Gebergemeinden. Sie leben, so wie das der nationale SVP-Präsident Marco Chiesa polemisch überspitzt darstellt, zumindest teilweise auf Kosten von Land und Agglo. Wenn sogar mittelgrosse Zentren wie Biel, Burgdorf und Langenthal finanziell schwächeln, muss man sich nicht wundern, dass Bern bei der Steuerkraft zum hintersten Drittel der Kantone gehört.

«Diese Einschätzung, dass die erwähnten Städte schwächelnde Gemeinden sind, muss relativiert werden», entgegnet Gerhard Engel, Generalsekretär der kantonalen Finanzdirektion. Denn sie würden auch deshalb eine unterdurchschnittliche Steuerkraft aufweisen, weil ihre Zentrumslasten bei der Berechnung des Steuerertragsindex abgezogen werden.

Zentrumslasten sind Leistungen, von denen Leute anderer Gemeinden profitieren, ohne voll dafür zu bezahlen. Biel zahlte dafür zuletzt jährlich 31 Millionen, Thun 14,8 Millionen, Burgdorf, 6,1 Millionen und Langenthal 7,9 Millionen Franken. Während in Biel und Thun wie auch in Bern gut 60 Prozent dieser Summe mit einer pauschalen Abgeltung gedeckt werden, werden diese Ausgaben in Burgdorf und Langenthal bloss beim Finanzausgleich eingerechnet.

Klammere man den Zentrumslastenabzug aus, sei die Steuerleistung von Thun, Burgdorf und Langenthal fast durchschnittlich, sagt Gerhard Engel. Er bestätigt aber: «Wirtschaftsmotoren sind diese drei Zentren sicher nicht.»

Woran liegt das, dass Städte wie Biel und Thun mit über 40 000 Einwohnerinnen und Einwohnern beim Steuerertrag hinterherhinken und den Kanton eher bremsen als voranbringen? «Die Steuerkraft wird von unterschiedlichen Faktoren geprägt», sagt Gerhard Engel.

So weise die potente Gemeinde Mörigen bei Biel viele gute Steuerzahler unter den natürlichen Personen aus. In Ittigen und Lyssach aber seien juristische Personen – die Swisscom-Zentrale beziehungsweise die Fachmärkte an der Autobahn – Haupttreiber. In Muri und Saanen, den beiden Berner Gemeinden mit der höchsten Steuerkraft, sei es ein Mix von juristischen und ­zahlungskräftigen natürlichen Personen.

Biels Vorteil 
verpufft

Die Industriestadt Biel, führt Engel aus, habe zwar eine starke Wirtschaft mit dem Flaggschiff Swatch, die viele Unternehmenssteuern abliefere. Allein bei den juristischen Personen ist Biels Steuerertragsindex mit 148 überdurchschnittlich hoch. Dieser Vorteil verpufft aber, weil Biel eine Arbeiterstadt mit der höchsten Sozialhilfequote des Landes ist. Die relativ billigen Wohnungsmieten ziehen Menschen mit eher tiefen Einkommen an. Der Steuerertrag bei den natürlichen Personen ist in Biel mit einem Index von 81 markant unterdurchschnittlich. Unter dem Strich resultiert so ein Gesamtindex von 83.

Auf dieser tiefen Marke bewegt sich auch Burgdorf. «Es ist seit Jahren eine Besonderheit Burgdorfs, dass sein Steueraufkommen tiefer ist als in anderen Städten», sagt Stadtpräsident Stefan Berger (SP). Die Ursachen dafür seien nicht ergründet. Berger verweist auf einen hohen Anteil junger Einwohnerinnen und Einwohner, die noch kaum steuerbares Einkommen haben.

Der Anteil an Steuereinnahmen durch juristische Personen sei mit 10 Prozent relativ tief. Überdies seien in Burgdorf Klein- und Mittelbetriebe mit durchschnittlichem und konstantem Steuerertrag angesiedelt, nicht aber Grossfirmen, die hohe Gewinne versteuern.

Pendler garantieren nicht Steuerpower

«Die Anzahl von Personen mit sechsstelligen und noch grösseren steuerbaren Einkommen ist zwar in Langenthal respektabel, aber eben doch nominell tiefer als in Bern oder Köniz», sagt Stadtpräsident Reto Müller (SP). Seine Stadt beherberge zwar viele Gewerbebetriebe, deren Gewinne und die Löhne der Angestellten seien aber nicht überdurchschnittlich hoch.

Müller verweist auch darauf, dass zahlreiche zupendelnde Arbeitskräfte gleich jenseits der nahen Kantonsgrenze in den steuergünstigeren Kantonen Solothurn, Aargau und Luzern wohnen. Sie zahlen ihre Steuern nicht in Langenthal. «Von einer guten Arbeitsplatzstruktur und vielen Pendlern kann man nicht auf die Steuerkraft schliessen», bilanziert Müller.

Thuns Stadtpräsident Raphael Lanz (SVP) sieht seine Stadt «auf dem richtigen Weg» zum kantonalen Indexschnitt von 100. Es fehlen nur noch vier Punkte. Der Steueranteil juristischer Personen sei halt unterdurchschnittlich. «Und der Steuerzuwachs bei den natürlichen Personen verläuft generell träger als bei Unternehmen», sagt Lanz.

Thuns Hypothek als Militärstadt

Er blendet zurück in die Geschichte. Thun sei lange ein undynamischer Wirtschaftsplatz gewesen: eine Militärstadt mit unterdurchschnittlich bezahlten Waffenplatzangestellten, die relativ wenig Steuern bezahlt hätten. Neben der stark präsenten Armee habe es nur kleine Betriebe gegeben. «Solche Strukturen verändern sich nur über Generationen», sagt Lanz.

Seit dem partiellen Rückzug des Militärs habe Thun eine Krise durchlebt, sich nun aber diversifiziert. «Der ökonomische Mix von Thun ist mittlerweile robust genug, dass wir den Angestelltenrückgang beim Solarunternehmen Meyer-Burger von 500 auf noch 60 verkraftet haben», illustriert Lanz Thuns wachsende Kraft. Mit Blick auf die in Finanznöten steckende Stadt Bern findet Lanz: «Wir gehen in Thun sehr haushälterisch mit den Mitteln um und könnten die Steuern markant senken oder uns wesentlich mehr leisten, wenn wir die gleiche Steuerkraft wie die Stadt Bern hätten.»

Dass sich Thuns Steuerkraft aber nur langsam verbessert, hat auch damit zu tun, dass es eine «residentielle Ökonomie» aufweist. Heike Mayer, Professorin für Wirtschaftsgeografie an der Universität Bern, versteht darunter eine Wirtschaftsstruktur, die auf die lokale Nachfrage der Einwohnerinnen und Einwohner ausgerichtet ist. «Solche Städte haben eher kleinere Firmen im Dienstleistungsbereich», sagt Heike Mayer. Diese Branche zahle eher tiefere Löhne, der Steuerertrag ihrer Angestellten sei nicht besonders hoch.

Im Unterschied zu Thun ist Biel eine Hightech Town, in der die Exportnachfrage der ökonomische Schrittmacher ist. Auch der Ypsomed-Standort Burgdorf ist laut Mayer eine – allerdings etwas weniger dynamische – Hightech Town. Ostermundigen mit dem Milchverarbeiter Emmi definiert sie als Lowtech Town.

Heike Mayer hat mit ihrer Doktorandin Rahel Meili die 152 kleineren und mittelgrossen Schweizer Städte mit einer Bevölkerung von 5000 bis 50 000 Menschen einer Cluster-Analyse unterzogen und in Typen wie die oben erwähnten eingeteilt. Dabei zeichnet sie ein grosses Bild, in das auch die wirtschaftlich und finanziell schwächelnden Berner Städte passen.

Die zehn grossen Schweizer Städte mit über 50 000 Einwohnerinnen und Einwohner haben sich laut Mayer seit den 1970er-Jahren erholt. Sie sind gewachsen, haben Schulden reduziert und locken Jobs und immer mehr Pendlern an. Die kleineren Städte im Schatten der grossen könnten aber nicht im selben Masse von der Anziehungskraft der grossen Ballungsräume profitieren.

 

 

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​Kleinstädte können profitieren 

Die in Thun lebende Wirtschaftsgeografin Heike Mayer sieht für ihren Wohnort und die Städte von vergleichbarer Grösse eine gute Möglichkeit für eine ökonomische und steuerliche Stärkung. Kürzlich referierte sie in Thun unter dem Titel «Verdichtung als Chance» an einem Regionalgespräch des Berner Forums für Universität und Gesellschaft. Verdichtung sollte laut Mayer nicht nur als Wohn- und Immobilienstrategie, sondern auch als Wirtschaftsstrategie gesehen werden. Denn ein diverser Mix von Dienstleistungsangeboten auf engem Raum schaffe viele Begegnungen sowie viel Austausch und kurble den Konsum an. Die Corona-Pandemie könne gerade in kleineren Städten die positiven Effekte der Verdichtung noch verstärken, erklärte Mayer. Neue Arbeitsmodelle mit Home­office würden dazu führen, dass man nicht mehr jeden Tag von Thun zur Arbeit wegpendeln müsse. Es gebe so auch in Thun eine erhöhte Nachfrage der zu Hause Arbeitenden nach Co-Working-Räumen, nach Begegnung und Identifikation im Stadtzentrum, ja sogar in Quartierzentren.

Thun rät sie an Hotspots wie am Bahnhofplatz zu einem dichten Angebot an Läden, Büros, Gastronomie. «Einwohner und Pendler müssen animiert werden, möglichst in Thun zu konsumieren, und nicht noch schnell in Bern, bevor sie nach Hause fahren», sagt Mayer. svb

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Biel: «Motor für eine ganze Region»

Bremsen finanzschwache Städte wie Biel den Kanton Bern? Stadtpräsident Erich Fehr (SP) wehrt sich entschieden gegen diese These. Er verweist auf das Wachstum in Biel in den vergangenen zwei Jahrzehnten, dieses sei deutlich grösser als im kantonalen Schnitt und um einiges rasanter als in den Nullerjahren prognostiziert. Fehr geht soweit, zu sagen, dass Biel «eine Boomregion» sei. Die Stadt nur nach ihrer Steuerkraft zu beurteilen, greife deutlich zu kurz, meint Fehr, da Biel als Industriestadt über viele Arbeitsplätze verfüge, aber längst nicht alle Beschäftigte auch hier lebten. «Biel ist ein Motor für eine ganze Region und darüber hinaus», so der Stadtpräsident. Dass die Pro-Kopf-Steuerkraft in Biel viel kleiner ist als etwa in Bern, habe zudem weniger mit der hiesigen Industrie, sondern mehr mit dem günstigen Wohnangebot zu tun. «Andere Gemeinden haben keinen Platz mehr für weniger zahlungskräftige Personen.» Den Vergleich mit Bern findet Fehr sowieso nicht fair, sei die Bundeshauptstadt mit der ganzen Bundesverwaltung doch einzigartig in ihrer Struktur. Trotzdem ist auch Biel bestrebt, sogenannt gute Steuerzahlende anzuziehen. «Wir streben einen guten Bevölkerungsmix an», sagt der Stadtpräsident. Denn um die sozial Schwächeren zu unterstützen, sei eine Stadt wie Biel auch auf jene angewiesen, die finanziell einen Ausgleich leisten können. lsg

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