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Biel

Ein Kontrast zur hektischen Welt

Stefan Zweig und Albert Einstein waren Gäste in den Cafés Odéon. Ein solches existiert heute noch in Biel. Hier wird die Langsamkeit zelebriert.

Das «Odéon» in Biel: Unverändert seit 87 Jahren. Selbst die versenkbaren Scheiben der Fensterfront funktionieren immer noch mit dem selben Mechanismus. Bild: Frank Nordmann
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Odéon – der Name geht aus dem griechischen Odeion hervor. Das war die Bezeichnung von Einrichtungen, in denen im überdachten Halbrund Darbietungen und Wettkämpfe zum Besten gegeben wurden. Später erteilte in Frankreich König Louis XVI. den Auftrag,ein Theater in Paris, das noch heute bestehende Theater Odéon, zu bauen. Mit Sicherheit waren diese kulturellen Referenzen im Hinterkopf derjenigen, die 1911 das Grand Café Odéon in Zürich eröffneten. Dieses Café der Flaneure und Bohémiens knüpfte Anfang des 20. Jahrhunderts an die Wiener Kaffeehaus-Tradition an und hatte zum Ziel, einen Ort der Kultur, des Austausches und gar der Demokratie zu sein, wie es Stefan Zweig formulierte: «Das Kaffeehaus stellt eine Institution besonderer Art dar, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann. Täglich sassen wir stundenlang, und nichts entging uns.»

Das erste wohl bekannte Künstlercafé entstand 1720 in Venedig: das «Caffè Florian». Meist ranken sich um diese Cafés Legenden, welche Intellektuellen sich hier mit welchen trafen und diskutierend die Welt neu erfanden. So soll das «Florian» auch schon von Jean-Jacques Rousseau besucht worden sein. In ganz Europa waren diese Kaffeehäuser en vogue. In Prag besuchte man das «Slavia», in Wien das «Herrenhof» und die deutschen Emigranten, die aus Nazi-Deutschland flohen, traf man – eben – im Zürcher «Odéon». Auch in Zürich sollen sich Hans Arp, Sophie Taeuber, Albert Einstein und die Dadaisten die Klinke in die Hand gegeben und zur Stammkundschaft gezählt haben. Auf dieselben Referenzen bezieht sich das Café Odéon in Biel. Das geschützte Interieur des Bieler «Odéons» ist seit der Eröffnung 1930 unverändert. Zuletzt bei der Übernahme des Betriebs durch die aktuellen Betreiber hat man sich zu einer sanften Renovation entschieden. Die Stofftapeten wurden durch Waschen von Tabak- und Essensdünsten befreit. Das Resultat war eine sichtliche Aufhellung im Innern, die nun dank des Rauchverbots im Innern von Restaurantbetrieben länger andauern wird. Hier wurde ein Stück Zeitgeschichte bewahrt – eine unübliche Entscheidung in den Zeiten von Starbucks. In solchen auf schnellen und viel Konsum ausgerichteten Betrieben sind die häufigen Sanierungszyklen besonders auffällig, wo man die Kundschaft mit einem Interieurwechsel in Konsumlaune halten will. Die Kehrseite dieses ständigen Wandels sind kurze Amortisationsfristen. So sind die Umbaubudgets eher klein gehalten und aus finanziellen Gründen wird oberflächlich renoviert und billige Normware verbaut.

Entsprechend ist der Konsum in den Coffee-to-Go-Cafés auch weniger ein Genusskonsum. Eilig wird der Kaffee aus Plastikbechern getrunken, auf dem Weg zur Arbeit, in der Pause, bevor man sich wieder irgendeiner operativen Hektik hingibt. Vorbild ist hier nicht mehr das Wienerische, Gemächliche, mit Zeit zum Reflektieren, sondern der amerikanische 
B-Promi, der beim Shopping mit Coffee-to-Go-Becher von Paparazzis abgelichtet wird. Der Kaffee verkommt zum Energieschub, um die nächsten produktiven Stunden in der Hochleistungsgesellschaft anzuschieben. Das Marketing in solchen Cafés schreit zwar den Konsum von qualitativen Produkten noch von den Plakatwänden, für mehr reicht die Zeit allerdings nicht mehr. Das Kaffeetrinken eines hochwertigen Kaffees taugt nicht mehr zum Genusserlebnis in Zeiten, in denen Erlebnisse zahllos gekauft und wahllos konsumiert werden. Nicht so im Café Odéon: Hier scheint noch heute ein anderes Raum-Zeit-Kontinuum zu herrschen. Heute noch wird der Kaffee nach einem Geheimrezept geröstet. In Nischen kann man sich zum gemütlichen Plausch oder Lesen zurückziehen, vorne an der Front, den Passanten bei einem Haus-Apéro, auch das seit eh und je ein Klassiker, beim Vorbeilaufen zusehen.

Nicht die intellektuelle Avantgarde lockt heute noch ins «Odéon», aber die heute oft unterschätzte Musse, seinen Kaffee in einer zeitlosen, entschleunigten Atmosphäre zu geniessen. À l’Odéon tout est bon!

Sabine Kronenberg

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