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Reform

«Einige Kantone haben zu tiefe Steuersätze für Unternehmen»

Die Kantone müssten den Steuerwettbewerb einschränken, fordert die Bieler Finanzchefin Silvia Steidle. Die Freisinnnige wurde gestern zur neuen Präsidentin der städtischen Finanzdirektoren gewählt.

Silvia Steidle kämpft für die Interessen der Städte. Gehe es Ihnen gut, gehe es dem ganzen Land gut, betont die Bieler Finanzdirektorin. Bild: Nicole Philipp

Interview: Fabian Fellmann

Silvia Steidle, Sie sagen Ja zur AHV-Steuer-Vorlage. Gegen die Vorgängervorlage USR III kämpften Sie an vorderster Front. Woher kommt der Sinneswandel?
Silvia Steidle: Die aktuelle Staf-Vorlage ist völlig anders als die USR III. Für mich geben drei Gründe den Ausschlag. Erstens können die Städte dank einer Gemeindeklausel bei den Kantonen ihren Anteil an den zusätzlichen Bundesgeldern verlangen. Diese zusätzlichen Gelder sind der zweite Punkt: Die Kantone erhalten mehr von der direkten Bundessteuer. Drittens, und das wurde bis jetzt noch kaum diskutiert, bringt die Staf eine gewisse Harmonisierung der Besteuerung.

Inwiefern?
Die Kantone müssen Dividenden neu mit mindestens 50 Prozent besteuern. Zudem wird eine Grenze für die Steuererleichterungen für Firmen eingeführt: Diese dürfen höchstens 70 Prozent des Gewinns betragen. Es ist das erste Mal, dass die Kantone solche Regeln akzeptieren, damit unfaire Besteuerungen erschwert werden.

Gerade Biel kriegt ein Problem: Ihr Nachbarkanton Solothurn will die Gewinnsteuer stark senken, sie wäre noch knapp halb so hoch wie in Bern.
Solothurn geht drastisch nach unten, was grössere Konsequenzen hätte. Aber das ist nicht Teil der Bundesvorlage, sondern der kantonalen Umsetzung. In Solothurn wird über beides am selben Tag abgestimmt, was ich für die Bundesvorlage gefährlich finde. Es muss aber klargemacht werden, dass die Solothurner separat über die beiden Geschäfte abstimmen können.

Hoffen Sie, dass Solothurn die Steuersenkung ablehnen wird?
Das müssen die Solothurner Stimmbürger entscheiden. Aber die Bundesvorlage Staf muss dazu dienen, die Gewinnsteuersätze unter den Kantonen zu harmonisieren, damit wir einander nicht mehr die Firmen abjagen. Dafür werde ich mich als neue Präsidentin der Konferenz der städtischen Finanzdirektorinnen und -direktoren einsetzen.

Wollen Sie den Steuerwettbewerb ausschalten?
Nein. Aber auch als liberale Politikerin finde ich das Rennen um immer tiefere Steuersätze bedenklich. Wir brauchen eine Bandbreite, in der sich die Kantone bewegen müssen. So kann weiterhin ein gewisser Wettbewerb stattfinden. Neuenburg hätte vielleicht weiterhin ein bisschen tiefere Steuersätze, wir in Biel dafür gute Verkehrsverbindungen und den neuen Innovationspark.

Welcher Steuersatz schwebt Ihnen vor?
Ich will noch keine Zahl nennen. Die Reform will wohlüberlegt und durchgerechnet sein, mit allen Folgen für den Finanzausgleich und die kantonalen Budgets. Dieser Prozess wird lange dauern, aber wir müssen ihn jetzt angehen.

Mit der AHV-Steuer-Vorlage würde faktisch eine Bandbreite eingeführt: Die meisten Kantone werden zwischen 12 und 14 Prozent Gewinnsteuer verlangen. Zu wenig?
Es muss eine Anpassung nach oben geben, einige Kantone haben zu tiefe Steuersätze. Die Erfahrung in Luzern und Neuenburg hat gezeigt, dass die Städte in grosse Schwierigkeiten geraten, wenn die Sätze zu tief sind. Die Steuersenkungen sind weder nötig noch gesund. Ich verstehe nicht, warum in einigen Kantonen nun solche Hektik ausgebrochen ist. Die Schweiz ist ein attraktiver Firmenstandort, und sie bleibt es auch, wenn die Gewinnsteuer nicht halbiert wird. Der Steuersatz ist nur ein Element, mindestens ebenso wichtig sind Sicherheit, Infrastruktur und gut gebildete Arbeitskräfte.

Einige Ökonomen raten aber dazu, Unternehmen möglichst tief zu besteuern und sie deswegen beim nationalen Finanzausgleich gar nicht mehr einzuberechnen.
Das klingt in der Theorie gut. Aber die Unternehmen müssen mit Steuern ihren Teil zum Gemeinwohl beitragen, damit sie auch in Zukunft Akzeptanz geniessen. Nur Arbeitsplätze anzubieten, genügt nicht, die Angestellten von städtischen Firmen wohnen ohnehin oft ausserhalb der Städte. Um ihre Dienstleistungen finanzieren zu können, sind die Städte auf eine faire Besteuerung der Firmen angewiesen. Das gehört zum Fundament unseres Staats.

Die Kantone verteidigen ihre Steuerhoheit eifersüchtig. Wie wollen Sie sie von Ihren Plänen überzeugen?
Ich möchte dieses Thema jetzt aufs Tapet bringen. Als die Konferenz der städtischen Finanzdirektoren 2014 gegründet wurde, gingen die Kantone auf Distanz. Sie wollten uns nicht einmal zur Generalversammlung der kantonalen Finanzdirektoren einladen. Inzwischen hat sich das geändert, wir waren ein erstes Mal dabei. Die Kantone haben eingesehen, dass sie mit den Städten und Gemeinden zusammenarbeiten müssen, wenn sie etwas erreichen wollen. Das haben wir bei der Abstimmung über die USR III eindrücklich bewiesen. Und nach der Staf wird es weitere Revisionen brauchen.

Wie meinen Sie das?
Die Schweiz steht international im Wettbewerb mit anderen Standorten und wird international beobachtet. Mit der Staf führen wir Steuererleichterungen für Patente ein. Wie lange diese Patentboxen international noch akzeptiert werden, ist derzeit offen. Es wird mit Sicherheit in einigen Jahren eine neue Reform brauchen.

Die Forderung nach einer Harmonisierung der Unternehmenssteuer ist ein traditionell linkes Anliegen. Wie wollen Sie die bürgerlichen Parteien, allen voran gerade Ihre FDP, dafür gewinnen?
Die Staf ist ein Kompromiss, den FDP und SP ausgehandelt haben. Wenn diese zwei Parteien zusammen eine Lösung finden, dann sind Mehrheiten möglich, dann können wir etwas bewegen in diesem Land. Für sich allein kommt niemand weiter, wir brauchen eine Gesamtlösung zum Wohl des Standorts Schweiz. 84 Prozent unserer Wirtschaftsleistung wird in Städten erarbeitet. Wenn es den Städten gut geht, geht es auch dem ganzen Land gut.

Wenn die Städte so boomen, warum schreiben dann fast zwei Drittel von ihnen rote Zahlen?
Wir haben einen grossen Nachholbedarf an Investitionen, damit steigt der Aufwand für Zinsen und Abschreibungen. Das ist die Kehrseite der gesunden Dynamik, dass wieder mehr Familien in Städten wohnen. Wir müssen Schulen und Tagesschulen bauen, wir bieten Kultur und soziale Netze. Die Städte müssen jetzt investieren, damit sie in Zukunft attraktiv bleiben.

In kleineren Gemeinden auf dem Land halten die Bürger die Staatsausgaben im Zaum. Den Städten fällt es einfacher, über ihre Verhältnisse zu leben.
Nein. In Biel zum Beispiel schaut das Parlament genau hin, ab 3 Millionen Franken Ausgaben ist ein Finanzreferendum möglich. Wir leben bescheiden und nutzen unsere Ressourcen effizient. Aber Städte müssen Aufgaben erfüllen, die es in kleinen Gemeinden nicht gibt.

Noch einmal zurück zur AHV-Steuer-Vorlage. Der Bund schätzt die Steuerausfälle in Kantonen und Gemeinden auf 1,4 Milliarden Franken, nur 100 Millionen weniger als bei der Vorgängerreform.
Einspruch. Die Steuerausfälle entstehen nicht durch die Bundesvorlage, sondern durch die Umsetzung in den Kantonen. Darüber wird in jedem Kanton separat entschieden. In der Staf haben wir es aber geschafft, die neuen Steuererleichterungen für Patente und Forschung zu präzisieren und einzuschränken. Der Bundesrat hat die Verordnungen rechtzeitig vorgelegt und Transparenz geschaffen.

Einige Steuerfachleute misstrauen solchen Beteuerungen: Die Ausfälle seien kaum vorhersehbar.
Die Gefahr ist klein. Wir können diesmal fast auf den Franken genau berechnen, wie viel die Einführung der neuen Steuererleichterungen maximal kostet. Die städtischen Finanzdirektorinnen und -direktoren waren von Anfang an einbezogen bei der Ausarbeitung der Vorlage. Wenn jetzt noch jemand Bedenken anmeldet, dann ist es vermutlich aus rein ideologischen Gründen, weil man Steuersenkungen für Unternehmen grundsätzlich ablehnt.

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