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Orpund

Er tötete ohne Skrupel

Das Berner Obergericht hat das Urteil nach dem Mord im Orpunder Burgerwald bestätigt. Denn der heute 43-Jährige hatte sein Opfer auf besonders barbarische Weise umgebracht.

Der Beschuldigte im vergangenen Jahr in Biel, als im Volkshaus der erstinstanzliche Prozess stattfand. Bild: Matthias Käser/A

Julie Gaudio/pl

Ein 43-jähriger Bulgare soll im Juli 2016 eine Spaziergängerin, die ihm zufällig begegnete, im Wald bei Orpund getötet haben. Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland sprach den Mann des Mordes schuldig und verurteilte ihn im vergangenen Jahr zu 20 Jahren Gefängnis und Verwahrung (das BT berichtete). Gegen dieses Urteil hat der Bulgare Beschwerde eingereicht. Beharrlich beteuert er seine Unschuld: «Ich habe niemanden umgebracht.» Am Dienstag begann vor dem Berner Obergericht die Anhörung des Mannes, der seit fünf Jahren im vorgezogenen Strafvollzug sitzt.

Der Angeklagte betritt den Gerichtssaal in grauer Jogginghose und schwarzem T-Shirt. Er trägt Fussfesseln und wird von zwei Polizisten zu seinem Platz vor den drei Richtern geleitet. Da der Bulgare kein Französisch spricht, steht ihm eine Übersetzerin zur Seite. Gerichtspräsident Jean-Luc Niklaus leitet die Verhandlung ein: «Haben Sie bis jetzt stets die Wahrheit gesagt?», fragt er den Angeklagten. Dieser erklärt daraufhin mehrfach: «Ich habe die Fragen der Ermittler unter psychischem und physischem Druck beantwortet, sodass ich heute als Schuldiger dastehe.»

Als der Präsident ihm Fotos mit der entstellten Leiche der 66-jährigen Schweizerin zeigt, hält der Angeklagte an seinen Unschuldsbeteuerungen fest. «Wie erklären Sie dann Ihre DNA-Spuren auf dem Tatwerkzeug, einem Gipserbeil, und auf der Bauchtasche des Opfers?», will Jean-Luc Niklaus wissen. Lakonisch entgegnet der Angeklagte: «Man kann vieles unternehmen, damit die DNA dort hingelangt, wo man sie sich wünscht.»

Verschwommene Aussagen

Aus den Ermittlungsakten geht hervor, dass das Opfer am Nachmittag des
17. Juli 2016 getötet wurde. Die Schweizerin war mit ihrem Hund im Burgerwald bei Orpund unterwegs. Am nächsten Tag entdeckte eine Spaziergängerin gegen neun Uhr die Leiche. Der Bulgare, der zu dieser Zeit im Wald hauste, entwendete dem Opfer die Schlüssel und flüchtete mit dessen Auto. Wenige Tage später wurde der Bulgare an der Grenze bei Schaffhausen von der Grenzwacht angehalten.

Die Ermittler schlossen ein Sexual- oder Beziehungsdelikt aus. Nichts weist darauf hin, dass sich das Opfer und der Täter zuvor schon kannten. Die Frau war dem mutmasslichen Mörder wohl zufällig auf ihrem Spaziergang begegnet. Der Angeklagte weist die Erkenntnisse der Strafverfolgung vehement zurück. Als der Präsident ihn fragt, wie er denn an die Autoschlüssel gelangt sei, liefert er eine undurchsichtige Erklärung, die nicht mit seiner Version vor dem erstinstanzlichen Gericht übereinstimmt.

Mord oder vorsätzliche Tötung?

Im Vorfeld der Wiederaufnahme des Prozesses wurde eine zweite psychiatrische Begutachtung angeordnet. Der Experte bestätigte beim Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung und eine Psychopathie. Im Gegensatz zu Psychosen begründen die beim Angeklagten festgestellten Diagnosen keine Schuldunfähigkeit. Dennoch ist eine mehrjährige Behandlung der Störungen angezeigt.

Der Pflichtverteidiger des Bulgaren bezweifelt, dass die DNA-Spuren als «unwiderlegbarer Beweis» für die Feststellung der Täterschaft taugen: «Die Laboranalysen sind unvollständig, lückenhaft.» So fänden sich keine DNA-Hinweise auf den Angeklagten unter den Fingernägeln des Opfers oder auf den Autoschlüsseln. Auf dem Gipserbeil seien nur bruchstückhafte Spuren gesichert worden, argumentiert der Strafverteidiger. Diese Spurenlage erlaube keine Erklärung zum Tatvorgang. Dafür müssten die Ermittler über eine komplette DNA-Signatur verfügen: «Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass das analysierte Erbgut auch mit anderen Personen übereinstimmt», so der Anwalt des Angeklagten.

Zudem unterstreicht der Verteidiger, dass die vermeintliche Tat seines Mandanten nicht als Mord qualifiziert werden könne. Wenn schon, dann handle es sich um eine vorsätzliche Tötung, für die das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von maximal zehn Jahren vorsehe. Dieser Auslegung widerspricht die Berner Generalstaatsanwältin in ihrer Rede, indem sie die juristischen Begriffe klärt: «Mord ist eine Steigerung der vorsätzlichen Tötung. Dafür muss die Tat im Voraus geplant und/oder auf besonders skrupellose Weise verübt werden.»

Eiskalt und barbarisch

Die Wege von Täter und Opfer haben sich wohl wirklich zufällig gekreuzt. Deshalb kann man ihm kaum nicht anlasten, er habe das Verbrechen geplant. Die Staatsanwältin stützt sich deshalb auf den Tatbestand der Skrupellosigkeit. Sie bezeichnet das Vorgehen als «barbarisch»: Er schlug mit seinem Beil 15 Mal auf das Opfer ein und zertrümmerte den Schädel. «Dabei hat er nicht die geringste Achtung vor dem Leben eines Mitmenschen gezeigt», so die Anklägerin. Nach der Tat habe sich der Täter die Zeit genommen, die Tote vom Tatort wegzuschleppen. Er habe die Leiche durchsucht und die Autoschlüssel gestohlen. «Man stelle sich vor, wie kaltblütig der Täter vorging. Da läuft es einem eiskalt den Rücken hinunter», kommentiert die Staatsanwältin.

Wie nicht anders zu erwarten, beantragt die Anklage die Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils in allen Punkten: Dem mutmasslichen Mörder soll keine vorzeitige Entlassung aus der 
20-jährigen Freiheitsstrafe gewährt werden. Zudem soll die vom Regionalgericht Berner Jura-Seeland verfügte Verwahrung bestätigt werden, weil das Risiko eines Rückfalls als hoch eingestuft wird. Letztere Massnahme wurde vom Strafverteidiger nicht angefochten.

Urteil vollumfänglich bestätigt

Rund 24 Stunden später folgt gestern Nachmittag die Gewissheit: «Das Gericht befindet Sie für schuldig.» Gerichtspräsident Jean-Luc Niklaus zögert nicht lange, bevor er das Urteil verkündet. «Sie haben einem Opfer auf grausame und sinnlose Weise das Leben genommen, und dafür müssen sie bezahlen», sagt der Präsident zum Angeklagten. Das Obergericht bestätigt damit vollumfänglich das erstinstanzliche Urteil des Regionalgerichts Berner Jura-Seeland vom August 2020. Der Täter bleibt bei der Verlesung des Urteils stoisch ruhig.

In seiner Begründung räumt der Präsident ein, dass es sich bei den gesammelten DNA-Teilspuren nur um Hinweise und nicht um Beweise handle. «Dennoch war die DNA des Angeklagten bereits in einer Datenbank registriert, und es wurden Spuren auf dem T-Shirt gefunden, welches das bei der Tat verwendete Beil umgab», so Niklaus. «DNA-Spuren lügen nicht, im Gegensatz zu ihnen», fährt er an den Täter gerichtet fort. Dass der Angeklagte im Auto des Opfers angehalten wurde, «als niemand wusste, wer es entwendet hatte», war für das Gericht ein zusätzlicher Anhaltspunkt.

Das Gericht weist auch darauf hin, dass der Täter in diesem Fall überhaupt nicht kooperierte. «Sie haben sich immer so verhalten, als ob sie nicht betroffen wären», betont Präsident Niklaus. «Diese Verweigerung der Zusammenarbeit hindert uns daran, den Ablauf der Ereignisse nachzuvollziehen, nicht aber daran, sie schuldig zu sprechen.» Der Angeklagte muss nun weitere 15 Jahre im Regionalgefängnis Biel absitzen. Wegen des hohen Rückfallrisikos, das unter anderem auf seine Psychopathie zurückzuführen ist, wird ausserdem eine Verwahrung angeordnet. «Die völlige Abwesenheit von Selbstreflexion zeigt, dass er jederzeit wieder straffällig werden kann», so der Präsident.

Stichwörter: Mord, Gericht, Biel, Orpund, Bern, Urteil

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