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Biel

Er würde alle Kinder impfen

Der Bund empfiehlt, nur gefährdete Kinder gegen Corona zu impfen. Das sei die falsche Strategie, sagt der Bieler Kinderarzt Walter Koch.

Der Bieler Kinderarzt Walter Koch ist ein klarer Befürworter der Kinderimpfung gegen Corona. Bild: Peter Samuel Jaggi/BT
Interview: Parzival Meister
 
Walter Koch, die drängendste Frage gleich am Anfang: Sollen Eltern ihre Kinder gegen Covid impfen lassen?
Walter Koch: Ja, sie sollen ihre Kinder definitiv impfen lassen. Ich bin Kinderarzt und habe mein Leben lang geimpft. Ich habe in meiner Karriere Patienten mit Kinderlähmung betreut, ich habe Kinder sterben sehen, die eine Hirnhautentzündung hatten und ich habe erlebt, wie Kinder als Folge der Masern schwere zerebrale Komplikationen durchmachen mussten. Alle diese schlimmen Dinge können durch eine Impfung verhindert werden. Impfen ist die einfachste, effizienteste und billigste präventive medizinische Massnahme, die es gibt. Impfungen schützen und nützen, das ist mit der Corona-Impfung nicht anders.
 
Heisst das, Sie würden Kinder uneingeschränkt gegen Corona impfen? Oder nur Risikopatienten mit entsprechenden Vorerkrankungen, wie von der Eidgenössischen Impfkommission und dem BAG empfohlen?
Ganz klar uneingeschränkt. Das Prinzip ist dasselbe wie bei der Polioimpfung, der Masernimpfung, bei Starrkrampf und so weiter. Da ist auch kaum jemand dagegen. Rund 90 Prozent der Schweizer Kinder sind geimpft. Bis ein Kind einjährig ist, hat es in der Regel sieben Impfungen erhalten. Nun ist da ein neues Virus, das uns «schissig» macht. Doch es gibt einen Impfstoff dagegen. Also ist es doch logisch, dass wir uns dagegen schützen. Die Eidgenössische Impfkommission und das BAG haben entschieden, mit ihrer Empfehlung vorsichtig zu sein. Vorsicht ist nie falsch. Es ist die typisch schweizerische Eigenschaft, erst mal abzuwarten, was die anderen machen, und wenn es sich bewährt, ziehen wir nach. Ich finde, das ist keine löbliche Eigenschaft, denn damit kommen wir momentan nicht weiter.
 
Impfungen gegen Masern, Röteln, Mumps und Co. werden seit Jahren verabreicht, die Corona-Impfung ist jedoch ganz neu. Da ist es doch klar, dass Eltern, speziell, wenn es um ihre Kinder geht, Fragen zu möglichen Nebenwirkungen und Langzeitfolgen haben.
Und diese Fragen sind auch berechtigt. Aber man kann immer ins Feld führen, man habe zu wenig Daten, zu wenig Erfahrungen. Auf diesem Planeten sind nun mehr als eine Milliarde Erwachsene geimpft. Nun kommt der Kinderimpfstoff, der in den USA bereits 2,5 Millionen Kindern verabreicht wurde. Die Nebenwirkungen sind geringer als bei den Erwachsenen, es gab keine schweren Nebenwirkungen, und die Schutzwirkung ist über 90 Prozent.
 
Aber es treten Nebenwirkungen auf …
… wie bei anderen Impfungen auch. Nach einer Starrkrampf-Impfung spürt man um die Einstichstelle im Oberschenkel noch einige Tage etwas, ja. Manchmal kommt es zu grippeartigen Symptomen. Das kennen wir alles. Fakt ist: Wir haben einen Impfstoff, der wirkt und bezüglich des Nebenwirkungsprofils gut zu handhaben ist. Also warum sollten wir die Kinder nicht damit impfen? Klar, man kann spekulieren: Was ist in zehn, was in zwanzig Jahren? Diese Fragen kann man stellen, aber man wird sie heute nicht beantworten können. Das Gebot der Stunde lautet: Der Impfstoff schützt die Kinder. Da sagt mir mein gesunder Menschenverstand, dass man ihn auch anwenden soll.
 
Fakt ist auch: Obwohl das Virus momentan vor allem unter Kindern und Jugendlichen grassiert, gibt es bei dieser Altersgruppe kaum Spitaleinweisungen. Die Gefahr eines schweren Verlaufs ist sehr gering. Haben die Kinder Corona durchgemacht, bildet ihr Körper Abwehrstoffe. Für Eltern ist es also ein Abwägen.
Diese Überlegung greift zu kurz, auch wenn sie von Vertretern der Impfkommission und des BAG angestellt werden. Ja, natürlich, Covid-Verläufe bei Kindern sind meist harmlos und ohne Komplikationen. Aber es gibt sie, die septischen Verläufe. Dann reden wir vom sogenannten PIMS-Syndrom, das drei, vier oder fünf Wochen nach einer Covid-Erkrankung auftauchen kann. Bisher sind rund 100 solcher Fälle in der Schweiz bekannt.
 
Können Sie kurz erläutern, was dieses PIMS-Syndrom genau ist?
Es handelt sich um einen Zustand, bei dem die Kinder sehr hohes Fieber bekommen, es droht ein Multiorganversagen. Noch ist kein Kind daran verstorben, aber Betroffene brauchen intensivmedizinische Betreuung. In unserer Praxis hier haben wir drei solcher Fälle erlebt. Der Aufwand, die Kinder zu retten, ist riesig. 
 
Im Zusammenhang mit Kindern ist auch Long-Covid ein grosses Thema.
Das ist die zweite drohende Folgeerkrankung bei Corona für Kinder, die wir unterschätzen. Nach aktuellem Erkenntnisstand geht man davon aus, dass Long-Covid bei rund zwei Prozent der erkrankten Kinder auftritt. Zwei Prozent mag nicht viel sein. Rechnen wir mit einer Dunkelziffer, könnten in der Schweiz bereits 100'000 Kinder an Corona erkrankt sein, zwei Prozent davon wären also 2000 Kinder, die ein Long-Covid-Syndrom entwickeln. Das ist happig. Da kann man lange sagen, das sei nur ein kleiner Prozentsatz. Für die, die es trifft, ist es extrem hart. Diese Kinder sind müde, erschöpft, sowohl körperlich als auch von der geistigen Leistungsfähigkeit her eingeschränkt. Und zwar über Monate. Wir behandeln in unserer Praxis solche Fälle, diese Kinder gehen ein paar Meter und sind schon «futsch». Das schlägt auf ihre Moral, kann sie depressiv verstimmen. Sie gehen nicht mehr in die Schule, brechen ihre Lehre ab. Solche Fälle belasten ganze Familien, Eltern können nicht mehr arbeiten, müssen sich um ihr Kind kümmern, zahlreiche Therapien besuchen. 
 
Dass sich unsere Kinder durch eine Erkrankung natürlich gegen Corona immunisieren, ist für Sie also keine Option?
Der Körper kann sich gegen die einfachen, meist viralen Infektionskrankheiten mit den klassischen Symptomen wie Fieber, Husten, Bauchschmerzen mit Erbrechen und Durchfall et cetera gut wehren. Aber Long-Covid ist ein Syndrom, das auch das Nervensystem betreffen kann. Das Coronavirus ist ein neurotropes Virus. Bei den akuten Erkrankungen durch Corona habe ich keine Angst um die Kinder. Long-Covid ist der wahre Grund, warum ich sage, man soll alle Kinder impfen. Sehen Sie, diese Durchseuchung, die wir in den Schulen momentan erleben, wäre vermeidbar gewesen. Irgendwann hat man entschieden, da es bei Kindern nicht oft zu schweren Verläufen kommt, dass man die Schutzmassnahmen und das Testen in der Schule aufhebt. Ohne die Eltern zu fragen, ob das für sie in Ordnung ist. Und nun haben wir den Salat.
 
Sie sagen also, es war ein Fehler, die Schutzmassnahmen an den Schulen zu lockern?
Ja, ganz klar. Und jetzt brennt es in den Schulen lichterloh. Ich hätte die Schulen schon vor einer Woche geschlossen. Vier Wochen Weihnachtsferien, keine neuen infektiösen Kinder unter dem Weihnachtsbaum, die Grosseltern mit dabei, die Fallzahlen würden rasch sinken.
 
Mittlerweile wissen wir aber auch, dass Kinder und Jugendliche stark unter den Sekundarschäden der Pandemie leiden. Pro Juventute, die Schweizer Stiftung für Kinder und Jugendliche, vermeldete vor Kurzem, dass im Coronajahr 2021 bisher fast doppelt so viele Suizid-Beratungen durchgeführt wurden wie vor der Pandemie (siehe BT vom Donnerstag). Zu strenge Schutzmassnahmen sind für die Jungen eine ernst zu nehmende Belastung.
Das stimmt. Insbesondere der lange Lockdown hat gezeigt, wie wichtig soziale Kontakte für Kinder sind. Hinzu kommt das Bildungsniveau, das darunter leidet. Grundsätzlich finde ich es gut, den Schulbetrieb aufrecht zu erhalten. Aber wir müssen aus den Fehlern lernen und Schutzmassnahmen treffen. Sonst nehmen wir bewusst in Kauf, dass Kinder angesteckt werden und es somit zu mehr Long-Covid- und Pims-Syndrom-Fällen kommt. Hinzu kommt: Alle diese angesteckten Kinder müssen ja in Quarantäne, jetzt sind sie klassenweise zu Hause in Isolation und Quarantäne. Davon sind dann auch die Eltern betroffen. Für die Betroffenen bedeutet das auch eine Art Lockdown.
 
Wären Sie als Verfechter der Kinderimpfung auch dafür, die Impfung mit einem sozialen Druck voranzutreiben, wie das bei Erwachsenen mit der Zertifikatspflicht getan wird?
Nein, da müssen wir aufpassen. Auf Kinder und Eltern darf kein solcher Druck ausgeübt werden, sie dürfen nicht sozial von irgendwo ausgeschlossen werden, wenn sie nicht geimpft sind. Wir müssen einfach den gesunden Menschenverstand walten lassen, und der sagt, dass eine Impfung für Kinder sinnvoll ist. Wir müssen diesem Virus den Nährboden entziehen, sonst entstehen immer wieder neue Mutationen, die wiederum neue Gefahren mit sich bringen können.
 
Trotzdem muss man die Gefahr von Corona für Kinder in die richtigen Relationen setzen. Auch eine Grippe oder das RS-Virus können für Kinder gefährlich sein. Auch bei diesen Infektionen kommt es in wenigen Fällen zu schweren Verläufen. Christoph Aebi, der Leiter der Abteilung Kinder-Infektiologie am Berner Inselspital, sagte im September in einem Interview, das Grippe-virus-Influenza und auch das RS-Virus hätten eine ungleich höhere medizinische Krankheitsbürde auf die Kinderpopulation als Corona. Das heisst im Klartext: Die Grippe ist für Kinder eine grössere Gefahr als Corona. Warum also setzen Sie bei Corona andere Massstäbe? Eine flächendeckende Grippeimpfung für Kinder ist ja auch kein Thema.
Wir impfen Kinder gegen Grippe und RS-Viren, halt nur die, die durch eine Vorerkrankung gefährdet sind. Aber ja, wie Corona ist auch die Grippe ein Problem für unsere ältere Bevölkerung. Jährlich sterben in der Schweiz mehrere tausend Menschen wegen der Grippe. Es sind in der Regel ältere, vorbelastete Patienten. In England zum Beispiel impft man Kinder flächendeckend gegen Grippe, was den Effekt hat, dass tausende ältere Menschen eben nicht daran sterben. Aber das ist eine andere Diskussion. Nun geht es darum, die Viruslast weltweit zu bremsen, und das erreichen wir, wenn wir impfen. Denn Corona ist definitiv schlimmer als die Grippe. 
 
Auf die Gesamtbevölkerung betrachtet, ja. Aber nicht für Kinder.
Ja, für ein einzelnes Kind ist Corona wenig gefährlich. Aber nochmals: Die möglichen Folgeschäden sind auch für Kinder nicht ohne, und aus pandemischer Sicht ist es sinnvoll, möglichst viele Menschen zu impfen, auch die Kinder. Hier können und sollen auch die Eltern ihre Verantwortung wahrnehmen, für ihre Kinder und die Gesellschaft.
 
Besteht die Gefahr solcher Folgeschäden bei der Grippe für Kinder nicht?
Nein.
 
Sie haben das Beispiel England angesprochen. Würden Sie auch in der Schweiz die Kinder flächendeckend gegen Grippe impfen lassen?
Es wäre zumindest nicht falsch. Auch die Grippe ist für die Gesellschaft eine Herausforderung. Kinder, die nicht in die Schule können, Eltern, die sich wegen der Betreuung bei der Arbeit abmelden müssen und dann vielleicht selber noch krank werden. Auch das gehört zu den Grippewellen in der Schweiz. Wir spielen das seit zig Jahren durch, können das irgendwie managen und es ist für das System verkraftbar. Ein Coronafall hat aber einen ganz anderen Impakt, da wird die ganze Familie durch Isolation und Quarantäne viel länger aus dem Leben ausgeschlossen. Und es sterben viele Menschen.
 
Sie haben gesagt, es gehe nun darum, die Virenlast weltweit zu bremsen. Wenn nun aber alle Erwachsenen geimpft wären, käme unser Gesundheitssystem nicht an den Anschlag und es wären nicht die Kinder, die das Problem für uns ausbaden müssten.
Wir dürfen die Kinder nicht dazu benutzen, die Löcher zu stopfen, die entstanden sind, weil viele Erwachsene nicht geimpft sind. Und ja, rein medizinisch könnte man sagen, wenn alle Erwachsenen geimpft wären, würde nicht mehr die Gefahr bestehen, dass die Kinder das Virus zu den gefährdeten Personen tragen. Aber es ist aus ethischer Sicht auch nicht gut, dass wir die Kinder jetzt «verheizen». Deshalb bleibe ich dabei: Es ist sowohl für das Wohl der Kinder, wegen der möglichen Folgeschäden, als auch aus epidemiologischer Sicht, wegen der Ausbreitung, sinnvoll, Kinder impfen zu lassen. Und zwar nicht nur die Risikopatienten, sondern alle Kinder. Machen wir doch einfach, was es jetzt zu machen gibt, wohlüberlegt, evidenzbasiert und mit gesundem Menschenverstand. 
 
Letzte Woche kam die Meldung, dass die Kinderimpfung von Pfizer/Biontech von Swissmedic für Kinder ab fünf Jahren zugelassen wird. Was hat das bei Ihnen in der Praxis ausgelöst?
Sehr viel. Um das zu erklären, muss ich aber kurz ausholen. Es gab schon vor zirka zwei Wochen eine Meldung, die sehr viel verändert hat. Damals erfuhr ich aus den Medien und später vom BAG, dass der Moderna-Impfstoff aufgrund von einzelnen Fällen von Herzmuskelentzündung nicht mehr an unter 30-Jährige verabreicht werden soll. Das bedeutete für uns: Wir Kinderärzte sind aus dem Impfprogramm raus. Wir haben bisher Jugendliche ab 12 Jahren geimpft. Für diese ist nun der Impfstoff von Pfizer/Biontech empfohlen und den konnten wir bisher nicht anbieten.
 
Wieso nicht?
Weil er bei Minus 70 Grad gelagert werden muss. Und eine solche Ausrüstung haben die meisten Praxen einfach nicht, nur die grossen Impfzentren. Für den Moderna-Impfstoff hingegen reicht ein Medizinal-Kühlschrank, um die Ampullen zu lagern. Seit letzter Woche wissen wir aber: Wir sind wieder dabei.
 
Was hat sich geändert?
Pfizer hat den Impfstoff weiterentwickelt, jetzt ist er auch im normalen Kühlschrank zehn Wochen haltbar. Zudem stellt Pfizer einen Kinderimpfstoff mit angepasster, reduzierter Dosis bereit. Das ist für uns ein Geschenk des Himmels, da wir unsere Patientinnen und Patienten künftig nicht mehr abweisen und zu einem Impfzentrum schicken müssen, sondern wieder selber in der Praxis impfen können.
 
Wann legen Sie los? Und mit welchen Kapazitäten können Sie die Kinder impfen?
Sobald wir mit Impfstoff beliefert werden. Momentan ist damit zu rechnen, dass es Januar wird. Wir werden uns wohl zuerst auf unsere Patientinnen und Patienten fokussieren, ich schätze, wir werden bei uns wohl so 10 bis 20 Kinder pro Woche impfen. Wir könnten natürlich auch mehr. Aber bei der vom Bund abgegebenen, zurückhaltenden Empfehlung werden es wohl gar nicht so viele sein.
 
Könnte man bei der Kinderimpfung das gleiche Tempo einschlagen wie bei den Erwachsenen? 
Nicht ganz. Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren wissen, was sie wollen. Sie kommen rein, legen die Schulter frei, bekommen den Piks und fertig. Aber ein Sechsjähriges, das strampelt und sich sträubt, kann man nicht einfach so impfen. Vielleicht muss man die Übung abbrechen, die Eltern nochmals darüber schlafen lassen. Es braucht definitiv eine feinfühligere Herangehensweise. Deshalb müssten die Kinderimpfungen eigentlich bei uns Kinderärzten durchgeführt werden.
 
Impfzentren sind Ihrer Meinung nach also nicht dafür geeignet?
Nein. Es braucht uns Pädiater. Wir sind Spezialisten in diesem Gebiet, wir impfen täglich Kinder. Ich habe bereits ein  Mail des Vereins Berner Haus- und Kinderärzte erhalten, in dem Kinderärzte angefragt wurden, wer bereit wäre, mit seinem Team in ein Impfzentrum zu kommen. Aber ich schliesse doch nicht unsere Praxis für einen Tag, um in einem Impfzentrum das zu tun, was wir geradesogut hier machen könnten. Deshalb mein Appell an die Behörden: Versorgt die Pädiater möglichst schnell mit Impfstoff, dann klappt das alles reibungslos. Die Eltern werden mit ihren Kindern nicht in anonyme Impfzentren gehen.
 
Wie gehen Sie mit Situationen um, in denen Eltern und Kind sich bezüglich der Impfung nicht einig sind? Das Gesetz sagt nicht explizit, ab welchem Alter ein Kind selber entscheiden darf, sich impfen zu lassen. Es muss urteilsfähig sein.
Um herauszufinden, ob ein Kind urteilsfähig ist, muss ich mit ihm reden. Ich frage, was es über die Impfung weiss, ob es über mögliche Nebenwirkungen informiert ist. Wenn nun eine 12-Jährige kommt und ich merke, dass sie sich informiert hat, würde ich sie impfen, selbst wenn die Eltern dagegen wären. Das wäre nicht illegal.
 
Hatten Sie schon einen solchen Fall?
Nein, zum Glück nicht. 
 
Was wäre im umgekehrten Fall: Die Eltern wollen, das Kind aber nicht?
Ich würde sicher keine 12-Jährige oder 10-Jährige impfen, die das nicht will. Bei Jüngeren ist das anders. Ein 7-Jähriger etwa kann noch nicht entscheiden, ob die Impfung richtig oder falsch ist für ihn. Wenn er den Piks nicht will, können die Eltern trotzdem entscheiden, ihn zu impfen, weil sie ihn schützen wollen und zum Schluss gekommen sind, dass es das beste für ihn ist. Aber die Eltern müssen überzeugt sein und helfen.
 
Wie lange praktizieren Sie schon als Kinderarzt?
Seit 1988.
 
Erinnern Sie sich noch, welche Kinderimpfungen im Laufe der Jahre neu dazugekommen sind?
Ja, da gibt es etliche. Die Zeckenimpfung zum Beispiel. Oder Pneumopocken. Und natürlich die Impfung gegen Hirnhautentzündung.
 
Ist jede neue Impfung bei der Einführung auf Skepsis gestossen?
Ja. Immer. Und je mehr Zeit vergeht, desto akzeptierter sind die Impfungen.
 
Sie haben also schon immer eine gewisse Grundskepsis erlebt?
Die hat es immer gegeben, aber die Tendenz ist ganz klar abnehmend. Früher musste ich mehr mit den Menschen reden, um sie von einer neuen Impfung zu überzeugen. 
 
Ist die Skepsis gegenüber dem Covid-Impfstoff auf einem anderen Niveau als das, was Sie früher erlebt haben? Oder werden die Vorbehalte auch hier mit der Zeit verschwinden?
Ich glaube, die Sache wird sich schon einpendeln. Aktuell spürt man halt wieder die schweizerische Eigenart, erst mal abzuwarten. «Es betrifft mich ja sowieso nicht.» Und dann gibt es plötzlich Fälle, im Dorf, in der Verwandtschaft, die Einschläge kommen näher. Die Betroffenheit nimmt zu und damit die Einsicht: Vielleicht sollte ich meine Kinder trotzdem impfen lassen. Dieser Ablauf wird sich wiederholen, die Impfbereitschaft wird zunehmen.
 
Bei den Standard-Impfungen in der Schweiz liegt die Impfquote bei um die 90 Prozent. Denken Sie, diese Quote wird bei Corona auch irgendwann erreicht werden?
Ich denke ja. Dann haben wir endlich mehr Ruhe. Wir erleben momentan eine schwierige Zeit, es gibt viele Unsicherheiten, die Menschen sind angespannt. Unser Telefon klingelt öfter als je zuvor. Eltern sind verunsichert, wenn ihr Kind sich nicht wohlfühlt. Hinzu kommen Social Media und Smartphones, die Bildschirme sind quasi geöffnet für Falschmeldungen, speziell, wenn es um die Impfung geht. Wir Ärzte haben Zugriff auf die medizinische Literatur, auf die Erkenntnisse der Wissenschaft. Klar, auch das ist nie der Weisheit letzter Schluss, sondern entspricht dem heutigen Stand des «Irrtums»; wir haben eine kritische Vernunft, Immanuel Kant sei Dank. Deshalb wage ich zu sagen: Es ist aus heutiger Sicht sehr plausibel, dass es richtig ist, die Kinder jetzt zu impfen. Uns geht es darum, die Kinder zu schützen, darauf können Sie vertrauen.
 
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Als Kinderarzt bald im Ruhestand
Walter Koch praktiziert seit 1988 als Kinderarzt in Biel. Damit ist bald Schluss. Wie der 66-Jährige selbst sagt, befindet er sich «auf dem Sprung in die Pension». Bereits in diesem Jahr hat er seine Konsultationen mit den jungen Patientinnen und Patienten reduziert, ab dem nächsten Jahr praktiziert er dann nur noch als Kinderarzt, wenn in seiner Gruppenpraxis Not am Mann ist.  Die Gruppenpraxis befindet sich an der Unionsgasse in den Räumlichkeiten des Medizinischen Zentrums Biel (MZB). Dieses hat Koch initiiert und seit der Eröffnung im Jahr 2013 als Geschäftsführer geleitet. Das Zentrum hat er im April 2021 verkauft und damit auch das Amt des Geschäftsführers abgegeben. Behalten hat er jedoch die Pädiatrie-Abteilung – von dieser bleibt er weiterhin Inhaber und Geschäftsführer. «Als Arzt kann man arbeiten, so lange man Lust und Freude daran hat», sagt Koch. Er sei deshalb gewillt, weiterhin einzuspringen, wenn gerade viel los sei im Zentrum. Vorausgesetzt natürlich, dass er gerade vor Ort ist und Zeit hat. Denn im Ruhestand könnte er öfter am Segeln sein. Oder in seinem Ferienhaus in Südfrankreich, wo es immer etwas zu tun gebe. Ansonsten beschäftigt er sich künftig mehr mit seinen Gärten oder seinen Enkelkindern, gibt er zu Protokoll. Daneben hat er noch ein paar Beratungsmandate.  pam
 
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Zur Person
- Walter Koch, 66-jährig, aufgewachsen und nach wie vor wohnhaft in Biel, ist verheiratet, hat vier Kinder und vier Enkel
- Er ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Lehrarzt der Uni Bern für Medizinstudentinnen und Praxisassistenten
- Initiant und bis April 2021 Geschäftsführer des Medizinischen Zentrums Biel (siehe auch Zweittext unten)
- Vize-Präsident der Bieler Stiftung Wildermeth 
 

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