Sie sind hier

Abo

Biel

Es drohen zwei Jahre Gefängnis: 
«Nun verträgt es gar nichts mehr»

Das Urteil ist gesprochen: Das Gericht hat den Bieler Lehrmeister zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt. Doch er darf weiterhin Lehrlinge ausbilden.

Symbolbild: Keystone

Deborah Balmer

Er ist schuldig wegen mehrfacher Ausnützung einer Notlage zum Nachteil von zwei jungen Frauen, die in seinem Betrieb in die Lehre gingen. Dafür hat ihn das Regionalgericht Berner Jura-Seeland am Freitag zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt. Die Strafe ist bedingt, die Probezeit beträgt zwei Jahre. Sollte in dieser Zeit ein weiterer Übergriff passieren, droht dem Lehrmeister ein Gefängnisaufenthalt.

Trotz der Verurteilung darf er sich allerdings auch in Zukunft um die Auszubildenden kümmern. Gerichtspräsidentin Silvia Holzer sagte am Freitag bei der Urteilseröffnung: «Dem Gericht ist diese Entscheidung zwar nicht leicht gefallen, denn die Voraussetzung für einen Entzug dieser Aufgabe wären angesichts der Höhe des Strafmasses gegeben.» Trotzdem entzieht das Gericht dem Lehrmeister die Lehrlingsbetreuung nicht: Laut dem Gericht wisse der Verurteilte nun nämlich genau, was auf dem Spiel stehe. Und weil er seit fünf Jahren nicht rückfällig geworden sei, gehe man nicht von einer grossen Rückfallgefahr aus.

Genugtuung:10000 Franken
Über diesen Entscheid dürfte sich der Geschäftsführer freuen. Als er am Freitag im Gerichtssaal – vor der Urteilseröffnung – die Gelegenheit erhielt, sich ein letztes Mal zu äussern, sagte er: Er sei ein stolzer Ausbildner. Und er lege die Hand ins Feuer, dass etwas Ähnliches nicht mehr vorkomme. «Ich habe meine Lektion gelernt.»

Nicht herum kommt er um verschiedene Geldforderungen: So muss er der heute 26-Jährigen, mit der es unter anderem bei ihr daheim in der Wohnung zu Geschlechtsverkehr kam, eine Genugtuung von 10000 Franken bezahlen. Für die psychologischen Behandlungen, die beide Frauen bis heute in Anspruch nehmen, muss er mehr als 9000 Franken an die Opferhilfe des Kantons Bern berappen. Hinzu kommen die Kosten für die Gerichtsverhandlung und dafür notwendige Voruntersuchungen, die sich auf über 24000 Franken belaufen. Noch ausstehend ist das Honorar der Anwälte der Opfer – auch das wird er übernehmen müssen.

Kalt lassen dürfte ihn das alles nicht: Bei der Urteilsverkündung reagierte der Lehrmeister am Freitag erstmals sichtlich unruhig, sein Nacken war gerötet und er kaute aufgeregt auf seinem Kaugummi herum.

«Egoistische Beweggründe»
Für das Strafmass erschwerend wirkte sich die Tatsache aus, dass der Angeklagte bei seinen sexuellen Handlungen stets egoistische Beweggründe hatte. Er nahm keine Rücksicht, obwohl er vom Missbrauch des Opfers durch den Vater wusste. Ein Missbrauch, der eventuell bereits seit der Kindheit stattfand. Und obwohl er wusste, dass sie psychisch und physisch instabil ist, näherte er sich ihr immer wieder.

Als ihm das andere Opfer beim Übergriff in seinem Büro sagte: «Sie haben doch eine Familie», habe es beim Beschuldigten noch immer nicht klick gemacht, begründete Silvia Holzer das Urteil. Er liess erst dann von ihr ab, als es an der Bürotür klopfte. Drei Tage später war er alleine mit ihr in einer Wohnung (er hatte sie unter einem Vorwand hergelockt) und versuchte es noch einmal. Dieses Verhalten bezeichnete die Richterin als «sehr dreist». Für die junge Frau hatte es dramatische Folgen: Sie musste die Lehrstelle wechseln und verlor dabei ein ganzes Jahr der Ausbildungszeit.

Strafmindernd wirkte, dass der Mann von Anfang geständig war – die sexuellen Handlungen nie abstritt. Auch sein bis anhin guter Leumund und die Tatsache, dass er nie versuchte, den Frauen eine Schuld zu geben, sprachen für ihn. «Er hat beispielsweise nie probiert, die Frauen als Verführerinnen hinzustellen, sondern er nahm die Verantwortung auf sich», sagte Silvia Holzer, die aber gleichzeitig feststellte, dass man während des Prozesses von Reue und Einsicht wenig spürte. «Es tut ihnen vor allem für sich selber und ihr Umfeld leid», sagte sie.

Verteidiger: 12 Monate
Sein Verteidiger, der sich während des Prozesses für seinen Mandanten ins Zeug legte und einmal ein rund zweistündiges Plädoyer hielt, hatte eine bedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten als angemessen betrachtet. Für das Opfer, bei dem er im Sommer 2014 übergriffig wurde, sah der Verteidiger eine Geldstrafe von 20000 Franken vor.

Im Plädoyer wollte er dem Gericht eine Strafminderung schmackhaft machen, weil sein Mandant eine sogenannt erhöhte Strafempfindlichkeit vorweise. Dieser habe einen Ruf zu verlieren, weshalb ihn eine Strafe besonders hart treffe. Das Ganze habe ihm psychisch zugesetzt, er leide an Schlafproblemen und habe für die Verhandlung Beruhigungsmittel einnehmen müssen.

Darauf ging das Gericht aber nicht ein. «Wir können nicht wegen ihres Rufs eine Ungleichbehandlung vornehmen. Das Verfahren haben sie mit ihrem Handeln selber verursacht.» Hingegen sah es das Gericht wie der Verteidiger strafmindernd an, dass seit dem letzten Vorfall im Sommer 2014 nichts mehr passiert ist.

Staatsanwältin: 24 Monate
Die Staatsanwältin forderte eine bedingte Freiheitsstrafe von 24 Monaten mit einer Probezeit von zwei Jahren. In ihrem Plädoyer machte sie klar, dass sie den Mann nicht mehr in der Lehrlingsbetreuung sehen möchte. Sie sagte weiter, dass sie ihm eine schlechte Prognose ausstelle. Unter anderem weil sie ihn während des Gerichtsprozesses uneinsichtig wahrgenommen habe – so wie dies später auch die Richterin in der Urteilsbegründung sah, sagt sie in ihrem Plädoyer: «Der Beschuldigte hat während der Verhandlung vor allem sich selbst bemitleidet.» Noch in der Einvernahme habe er sich abschätzig über die Frauen geäussert: Gegenüber einem Polizisten sagte er etwa über eine der missbrauchten Lehrtöchter: Sie sei attraktiv gewesen. «Ich habe sie schon länger nicht mehr gesehen, ich gehe aber davon aus, dass sie noch immer attraktiv ist.» Selbst zu diesem Zeitpunkt habe er also nicht begriffen, dass er als Lehrmeister massive Grenzen überschritten habe. Das sei befremdlich.

Die Gerichtspräsidentin folgte in diesem Punkt der Staatsanwältin aber nicht. Zum Abschluss des dreitägigen Gerichtsprozesses sagte sie am Freitagabend nämlich zum Verurteilten: «Es verträgt nun gar nichts mehr.  Wir glauben aber an sie und geben ihnen noch eine Chance.»

 

Nachrichten zu Biel »