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Brasilien

«Es entsteht so etwas wie Goldgräberstimmung»

Die Atlantiküberfahrt ist geschafft. Die Esperanza hat in der brasilianischen Stadt Belem einen Zwischenstopp eingelegt, um Proviant zu bunkern und die Wissenschaftler aufzunehmen. Kurz vor der Weiterfahrt zeigt sich, dass die Kampagne erste Erfolge feiern kann.

Im Hafen: Die Crew belegt das Schiff mit armdicken Trossen. Im Hintergrund ist die Skyline von Belem zu sehen. Bild: zvg
  • Dossier

Tagebuch: Jérôme Tschudi

Donnerstag, 29. März
«Bei der ersten Expedition wurden vom Amazonas-Riff mit einem bemannten Mini-U-Boot Aufnahmen in 185 Metern Tiefe gemacht. Nun soll das Riff  in noch grösserer Tiefe untersucht werden.
Greenpeace hat dafür einen Tauchroboter geleast. Ein Container dient als Kontrollraum, in dem der Roboter gesteuert wird. Das Amazonas-Riff ist eine Sensation: Wir gehen von einem einzigartigen bisher unerforschten marinen Ökosystem aus und erwarten die Entdeckung unbekannter Lebewesen.


Karfreitag: Kein Ausgang
Morgens auf der Brücke herrscht angespannte Ruhe: Wir teilen uns die Einfahrtsschneise zum Hafen von Belem mit Tankern und Handelsschiffen. Die Skyline verschwindet zwischendurch in einer Regenwand; in Belem regnet es häufig, das Regenwasser ist aber warm. Auf Deck werden die Trossen bereitgelegt. Sie sind so dick wie mein Handgelenk und entsprechend schwer. Der Lotse führt uns an einen Quai, einen Steinwurf von einem bekannten Markt entfernt.

Der örtliche Chef von Greenpeace informiert die Crew über die Verhaltensregeln an Land: Keine Uhren und keinen Schmuck tragen, Ausweispapiere nur in Form einer Fotokopie, möglichst nur in der Gruppe umhergehen, keinen Touristenführern folgen. Keine Kleidung mit Greenpeace-Logo: Illegale Holzfäller verstehen kein Pardon. Kein Ausgang nach 21 Uhr ausserhalb des umzäunten Areals, keine Getränke von Unbekannten annehmen und so weiter.

Ab sofort kontrollieren Wächter die Leute, die an Bord kommen wollen. Nach dieser Einführung ist mir die Lust auf Ausgang vergangen. Also trinken wir das Bier in der Schiffslounge. Die Brasilianerin tanzt zu ihrer Musik, wie ich noch nie jemanden habe tanzen sehen, dazu lacht sie fast pausenlos.


Samstag: Schwerarbeit
Den Morgen verbringen wir mit dem Bunkern von Vorräten. Es sind einige neue Gesichter aufgetaucht, da ein Teil der Crew wechselt und die Leute der Kampagne mit den Technikern eintreffen. Neuankömmlinge werden herzlich begrüsst: Man kennt sich von früheren Einsätzen her in Mexiko oder Chile. Einige sind in meinem Alter oder doch nicht viel jünger.

Die Techniker gehen sofort ans Werk, in Schutzanzug mit Helm, während wir anderen in T-Shirts und Shorts vor Hitze fast zergehen. Wir richten im Helikopterhangar das Hauptquartier der Wissenschaftler ein mit Pin-Wand, Tisch, Kühlschrank und Tiefkühltruhe für die Laborproben. Dafür müssen wir die schweren Gegenstände, die im Hangar gelagert sind, ein oder zwei Decks weiter unten verstauen; Schwerarbeit.

Zum Nachtessen gibts Pizzas und Salat. Unsere Afrikanerin fliegt morgen nach dreimonatigem Einsatz zurück zu Mann und Kind und freut sich, ihr einjähriges Kind bald wieder in die Arme nehmen zu können.


Ostern: Doch ein Ausflug
Ich nehme meine Wache zwischen Mitternacht und 4 Uhr wieder auf. Zunächst muss ich den Wächter wecken, der auf seiner Sitzbank eingeschlafen ist, von der er die Zugangstreppe zum Schiff beobachten kann. Mit starkem Kaffee versuche ich, ihn wach zu halten. Auf meinen Runden wechsle ich immer einige Worte mit ihm. Sonst kontrolliere ich, ob alle Türen verschlossen sind. Hier muss ich auch nach Eindringlingen suchen, die höflich gebeten würden, das Schiff sofort zu verlassen. Mit meinem Funktelefon bin ich mit dem wachführenden Offizier verbunden auf Pikett.

Ich empfange Ankömmlinge, die rund um die Uhr eintreffen. Ein Fidschianer erzählt erstaunt, er habe in der Stadt aus dem Taxi überall schwer bewaffnete Männer gesehen, die Strassen seien sonst wie leergefegt. Schliesslich begleite ich drei Crew-Mitglieder, die nach Hause zurückfliegen. Ich erhalte Komplimente und werde mit Umarmung en verabschiedet, wie in einer grossen Familie.

Nachmittags gibts in der Gruppe einen kleinen Ausflug zu Fuss zum Markt und zur angrenzende Altstadt. Ausser einigen Obdachlosen ist kaum jemand zu sehen, der Markt ist wegen des Feiertages grösstenteils geschlossen. Im Tropenregen geht es zurück an Bord. Der Regen ist so dicht, dass er aussieht wie Nebel und ans Seeland im Herbst erinnert.

Am Abend findet eine Informationsveranstaltung zur Kampagne statt. Die bisherigen Forschungsresultate zeigen Wirkung: Kleinere Ölfirmen haben die Pläne für Probebohrungen am Riff aufgegeben, BP hat die Priorität des Projekts zurückgestuft, aber Total hat noch nicht reagiert. Im überbelegten Messraum entsteht so etwas wie Goldgräberstimmung.

Ostermontag: Das erste T-Shirt
Für 9 Uhr haben wir die Kehrichtabfuhr bestellt. Der LKW erscheint gegen 11 Uhr. Brasilianer erklären uns, auf 9 Uhr bestellt heisse, um 9 Uhr den Wagen zu besteigen. Die Esperanza ist so voll, dass die Messe nicht Platz für alle bietet. Gegessen wird also nacheinander.
Als letzte sind Journalisten und Kameraleute eingetroffen. Sie filmen und fotografien im und auf dem Schiff. Ich öffne ihnen das «Spital» und beantworte ihre Fragen. Ich habe als Arzt schon relativ viel zu tun gehabt. Dies betraf vor allem allgemeine medizinische Probleme und die Seekrankheit. Vom Kampagnenteam erhalte ich mein erstes oranges Greenpeace-T-Shirt; es sieht toll aus.

Die Feiertage sind schon vorbei, immerhin gibts heute zwei Stunden früher Feierabend. Um Mitternacht stechen wir in See und steurn das Amazonas-Riff an.
 

Dienstag: Vor der Kamera
Die brasilianischen Behörden haben uns noch nicht kontrolliert, als die Esperanza um 1 Uhr vom Quai ablegt. Einige unserer Gäste sind auf der Brücke und verfolgen das Manöver mit Interesse. Der Chef der Wissenschaftler erzählt mir mit mitreissender Begeisterung von der Forschung. Es wird vermutet, dass das Amazonas-Riff einen Durchgangskorridor für Lebewesen darstellt zwischen den beiden Ökosystemen der Karibik und des Amazonas.

Der Tauchroboter wird es erlauben, rund um die Uhr das Riff bis auf 1000 Meter Tiefe zu filmen sowie Boden-und Wasserproben zu entnehmen. Die Genanalyse von  Fischen soll die Frage klären, ob ein Austausch zwischen der Karibik und der Amazonasmündung stattfindet. Brasilianische Journalisten der «Deutsche Welle» interviewen mich.

Zur Kompensation der Überzeit an Ostern kriegen wir am Nachmittag frei. Ich benutze die Zeit für Fotos und mein Tagebuch. Dann findet noch der Drill zum notfallmässigen Verlassen des Schiffes statt. Wir sind nun eindrücklich viele Personen auf Deck. Appell, Ausgabe der Schwimmwesten und Überlebensanzüge, nur das Besteigen der Rettungsinsel fehlt.

Nach dem Nachtessen lerne ich einen jungen Italiener kennen, der für die «New York Times» in Somalia war. Er schwärmt von Belem, das er ausgiebig besucht hat. Im Vergleich zu Mogadischu ist Belem wohl ein sicheres Pflaster.


Mittwoch, 4. April
Gestern haben wir den Äquator überquert und fahren nun mit zehn Knoten Geschwindigkeit nach Norden in unser Einsatzgebiet. Auf meiner Wache begleiten uns bis zu 15 Fischerboote in einem Umkreis von drei Meilen.

Der Wind hat aufgefrischt und verursacht eine Kreuzsee mit Dünung. Die Esperanza reagiert ruppig und ich stolpere über die nassen Decks. Die See ist hier unglaublich schön: Unter dem grauen Streifen am Horizont liegt sie samtig schwarz und die brechenden Wellen leuchten intensiv fluoreszierend grün auf. Ronaldo, der Chef der Wissenschaftler, schwärmt von der Zusammenarbeit mit Greenpeace. Unser Alltag ist von der Hilfeleistung an die Forscher geprägt. Die Crew hilft beim Einrichten des Labors, sucht nach Lösungen, zum Beispiel zum Schutz gegen die heftigen tropischen Regenfälle, die das geschützte Achterdeck in Nebel hüllen und tropfnass zurücklassen. Der Tauchroboter ist einsatzbereit. Alle warten gespannt auf den ersten Tauchtag.» Bearbeitung: pst

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