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Gastronomie

«Es war halt nicht möglich, alle zu retten»

Vor kurzem schloss das «Autrement» im Stadtzentrum seine Tore. Der Inhaber zog den Stecker, bevor die Pandemie ihn in die Schulden trieb. Groll hegt er keinen.

Noch klebt der Schriftzug: Claudio da Silva vor seinem früheren Restaurant. Bild: Barbara Héritier

Maeva Pleines/pl

Am 1. April 2016 ging der Traum von Claudio da Silva in Erfüllung: Er eröffnete sein eigenes Restaurant, das «Autrement». Es war «sein Baby», wie er das Geschäft liebevoll nennt. Letzten Monat fand das Abenteuer sein Ende. Dabei hatte der Gastwirt viel Herzblut in sein Lokal gesteckt. «Noch heute fällt es mir schwer, an der Jean-Sessler-Strasse 1 vorbeizulaufen», gesteht der Mittvierziger. Bisher konnte er sich nicht durchringen, den Schriftzug des «Autrement» zu entfernen: Das soll der Eigentümer der Liegenschaft veranlassen.

Aus dem Gefühl heraus kämpfte Claudio da Silva für das Überleben des Restaurants, aber am Ende siegten nackte Zahlen und der Verstand: «Ich habe die Erfolgsrechnung angeschaut und traf einen vernünftigen Entscheid, denn bei der Arbeit Geld zu verlieren, ist unsinnig», so der Wirt.

 

Erfolgreiches Konzept

Dabei stand das «Autrement» von Anfang an unter einem guten Stern: Da Silva hatte sich rasch eine treue Kundschaft aufgebaut. «Das Konzept gefiel», erklärt der Gastronom, der seine Berufslehre in Biel absolviert hat. Sein Geschäftsmodell baute auf erstklassige Produkte und einer mediterranen Küche zu fairen Preisen.

Bei der Eröffnung im Jahr 2016 beschäftigte das Restaurant drei Angestellte; kurze Zeit später hatte sich die Zahl verdoppelt. Im Verlauf der Covid-Krise schmolz die Belegschaft auf ihren Anfangsbestand zurück.

Der Inhaber des «Autrement» erinnert daran, das der Aufbau eines Gastrobetriebes in der Regel drei bis vier Jahre benötigt. In dieser Zeit stehen die Rückzahlung des Geschäftskredites und die Gewinnung eines Kundenstamms im Vordergrund. Erst dann kann das Unternehmen Reserven für schlechte Zeiten bilden. «Dieses Polster hatten wir bei Ausbruch der Pandemie nicht», stellt da Silva nüchtern fest. Der Lockdown traf ihn im ungünstigsten Moment.

 

Häufung von Massnahmen

Der Gastwirt des «Autrement» wehrt sich keineswegs gegen die Massnahmen des Bundesrates, zu denen auch das Covid-Zertifikat gehört. Rückblickend stellt er fest: «Ich glaube nicht, dass allein die 2G-Regel mein Ende eingeläutet hat.» Den Grund für den geschäftlichen Rückgang erkennt er in der andauernden Flut von Bestimmungen, die nach und nach immer mehr Menschen vom Restaurantbesuch abgehalten hätten. Dabei denkt er an die Maskenpflicht, die Trennscheiben und die Abstandsregeln.

«Jedes Mal, wenn eine neue Vorschrift in Kraft trat, spürten wir einen Umsatzeinbruch. Aber nach einiger Zeit gewöhnten sich die Gäste daran und kehrten zurück», beobachtete Claudio da Silva.

 

40 Prozent Einbruch

Trotz staatlicher Unterstützung erlitt der Gastrounternehmer einen Ertragsausfall von rund 40 Prozent. Damit hatte er keinen Anspruch auf regelmässige Leistungen aus öffentlichen Geldern. «Diese Hilfe war sehr willkommen. Aber am Ende machten uns verschiedene Grenz- und Schwellenwerte einen Strich durch die Rechnung: Wir bekamen nicht mehr», bestätigt da Silva.

Er zeigt volles Verständnis für das Handeln des Bundesrates. Immerhin galt es, den Geldsegen zu reglementieren, um Missbräuchen vorzubeugen. «Es war halt nicht möglich, mit dieser Lösung alle zu retten», stellt der Gastwirt ohne Groll fest und zieht Bilanz: «In jeder Krise gibt es Gewinner und Verlierer. Ich habe das Handtuch rechtzeitig geworfen, um nicht in der zweiten Kategorie unterzugehen.»

Tatsächlich endet das «Autrement» als Nullsummenspiel: weder Verlust noch Gewinn. Die Mitarbeitenden seien laufend über die Geschäftslage informiert worden und hätten den Entscheid zur Schliessung verstanden, so da Silva.

 

Optimistisch in die Zukunft

Als erstes gönnt sich der Seeländer ein paar Tage wohlverdienter Ferien bei seiner Familie, «aber erst, wenn alle behördlichen Pflichten erledigt sind».

Sein Traum vom eigenen Restaurant hat ihn nicht verlassen. Ab März hat er immerhin eine Arbeitsstelle im Gastgewerbe in Aussicht. «Sobald die Krise endgültig vorüber ist, will ich mich wieder selbstständig machen», verspricht Claudio da Silva. Sein Projekt will er nur angehen, «wenn alle Zeichen auf Grün stehen», denn in sein «Autrement» hatte er die Ersparnisse aus zwanzig Jahren investiert.

Trotz allem gibt sich der Gastronom zuversichtlich: «Mein Reichtum ist meine Erfahrung als Unternehmer, und die lässt sich nicht mit Geld aufwiegen.» Jedenfalls geht er mit dem guten Gefühl, «nicht persönlich» für die Schliessung seines Restaurants verantwortlich zu sein. Er fühlt sich durch sein breites soziales Netzwerk und sein Fachwissen im Beruf bestätigt. Als Gastgeber mit Leib uns Seele bedankt sich Claudio da Silva bei allen Menschen, die ihm beim Aufbau des «Autrement» beiseitegestanden sind. Optimistisch, wie er ist, ruft er seinen Freunden und Gästen zu: «Ich hoffe von Herzen, euch in Zukunft wieder zu sehen.»

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