Sie sind hier

„Krawattenzwang“

Für über 1000 Franken auf einem Mätteli im Schulzimmer

Im persönlichen Blog berichtet Bernhard Rentsch, publizistischer Leiter der Gesamtredaktion und Chefredaktor „Bieler Tagblatt“ wöchentlich über Erlebnisse im privaten wie im beruflichen/gesellschaftlichen Leben – dies immer mit einem Augenzwinkern. Heute: Für über 1000 Franken auf einem Mätteli im Schulzimmer.

Bernhard Rentsch: Krawattenzwang

Wer möchte die Nächte während einer Ferienwoche in einem Schulzimmer am Boden auf einem dünnen Mätteli verbringen? Wer möchte nach mehrjähriger Vorbereitung für einen Sportanlass während einem einwöchigen Anlass gerade mal wenige Minuten Einsatzzeit bekommen? Niemand!

Doch – Turnerinnen und Turner tun das. Immer wieder, seit 1953 alle vier Jahre. Am Weltturnfest, der sogenannten Gymnaestrada, treffen sie sich zum friedlichen und sportlichen Zusammensein. Gymnaestrada ist ein Kunstwort als Verbindung von «Gymnastik» (Weltbegriff für alles, was mit den Turnsportarten zu tun hat), «strada» (Strasse) und «estrada» (Bühne). Sämtliche Darbietungen sind «nur» Show und Unterhaltung, werden bestaunt und beklatscht. Es ist quasi die sportliche Antithese zum bekannten Spruch, dass der Zweite der erste Verlierer sei. Es ist ein Turnfestival ohne Leistungsdruck.

Ein Teil der Schweizer Gymnaestrada-Delegation machte am letzten Samstag Halt in Biel. In der Tissot Arena wurde zweimal eine Premiere des Schweizer Abends aufgeführt. Dies als Hauptprobe auf das internationale Treffen, das im Juli im österreichischen Dornbirn geplant ist. Über 500 Aktive begeisterten in 14 Auftritten im Nonstop-Programm und überzeugten durch Sport, Bewegung, Farbe und Formen.

Die Auftritte in Biel gefielen und lösten bei den rund 4000 Anwesenden Begeisterungsstürme aus. Im Gegensatz zu den zwei Vorstellungen im Juli in Dornbirn, die bereits restlos ausverkauft sind, ist es allerdings (noch) nicht gelungen, mit wenig bekannten Show-Formen das Publikum in der Region in ganz grossen Scharen anzulocken. Noch – ganz bewusst. Lassen wir uns doch generell von den Veranstaltern mehr anlocken und überraschen. Wir werden viel Tolles entdecken. Wer am Samstag zum Beispiel nicht anwesend war, hat etwas verpasst.

Zurück zum Schlafen auf dem Boden: Es ist tatsächlich so, dass die Teilnehmenden während einer Gymnaestrada nicht im Hotel, sondern in leer geräumten Schulzimmern wohnen und nächtigen und in improvisierten Kantinen essen. Diese speziellen Massenlager sind ein Teil des Erlebnisses. Das hat eine grosse Faszination und Anziehungskraft, interessieren sich doch allein aus der Schweiz alle vier Jahre rund 4000 Turnerinnen und Turner für die Teilnahme, weltweit sind es rund 25 000 aus über 60 Ländern.


brentsch@bielertagblatt.ch

Twitter: @BernhardRentsch

Nachrichten zu Biel »